Protest in Betriebe tragen

Einerseits Montagsdemos gegen Hartz IV, andererseits längere Arbeitszeiten bei Daimler. Linksruck sprach mit Gewerkschaftern aus Stuttgart über den Widerstand gegen Sozialabbau.


Bernd Riexinger führt den ver.di-Bezirk Stuttgart und arbeitet in der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit mit.
Tom Adler, IG Metall, arbeitet bei DaimlerChrysler in Stuttgart und ist dort Mitglied des Betriebsrats.

In der Druckausgabe von Linksruck 182 heißt es auf Seite 12, dass Bernd Riexinger im Bundesvorstand der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) mitarbeitet. Diese Information ist falsch. Bernd Riexinger arbeitet in der WASG mit, aber er ist nicht im Bundesvorstand. Wir bitten um Entschuldigung.
Die Redaktion

Der Abschluss bei Daimler

Vorstand und Gesamtbetriebsrat (GBR) haben vereinbart, dass bis 31.12.2011 auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet wird und dass die vorher vom Vorstand in Frage gestellte Investition für verschiedene Produktlinien einzelner Werke jetzt stattfindet. Die Zahl der Arbeitsplätze, die es heute gibt, ist damit nicht garantiert.
Im Gegenzug hat der GBR ein Sparpaket in Höhe von 500 Millionen Euro akzeptiert, wie es der Vorstand gefordert hat. Dazu gehört auch eine Senkung der Lohnlinie ab 2006 um 2,79 Prozent.
Für so genannte „Dienstleistungsbereiche“ wurde eine unbezahlte Arbeitszeitverlängerung auf 39 Stunden vereinbart. Das bedeutet eine Stundenlohnkürzung um rund 10 Prozent plus Lohnsenkung ab 2006 um 3 Prozent. Dafür sollen die entsprechenden Bereiche nicht ausgegliedert werden.
Ab sofort gelten für Neueingestellte und nach der Ausbildung übernommenen Kolleginnen und Kollegen ein um 20 Prozent abgesenkter Einstell-Lohn und ein dauerhaft um 8 Prozent niedrigeres Lohnniveau als bei der bisherigen Stamm-Belegschaft.
Wer solche Vereinbarungen macht, bringt die Gewerkschaften auf eine so schiefe Ebene, dass es kein Halten mehr gibt. Die US-Gewerkschaft UAW kehrte in den 80er und 90ern von dem gewerkschaftlichen Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ab und verursachte damit einen Mitglieder –und Machtverlust.
von Tom Adler

Bundesweit beteiligen sich Zehntausende an Montagsdemos gegen Hartz IV. Wie sollen sich die Gewerkschaften dazu verhalten?
Bernd: Ich bin nicht sicher, ob genau diese Form die richtige ist. Aber auf alle Fälle müssen die Gewerkschaften jetzt auch im Westen Proteste gegen Hartz IV organisieren.
Tom: Das sehe ich auch so. Dort, wo die Montagsdemos laufen, müssen aber die Gewerkschaften und die Linke das Bild prägen, um die Versuche der Rechten zu verhindern, die Bewegung zu instrumentalisieren.

Das Gesetz Hartz IV trifft vor allem Arbeitslose, nicht Arbeiter. Ist das überhaupt ein Thema für die Gewerkschaften?
Bernd: Die Kürzungen bedrohen nicht nur Arbeitslose, sondern auch alle, die noch Arbeit haben. Hartz IV soll die Kollegen disziplinieren.

Sehen die Kollegen im Betrieb das genauso?
Tom: Ja, unter den Kollegen hat sich viel verändert. Letztes Jahr konnte die Bild-Zeitung Arbeitslose wie „Florida-Rolf“ noch als Blitzableiter missbrauchen. Diese Rechnung geht heute nicht mehr so einfach auf. Viele haben selbst eine Zeit der Arbeitslosigkeit hinter sich. Alle wissen, dass Hartz IV einen sozialen Absturz bedeuten würde, wenn sie in diese Situation kämen. Der Zorn unter den Kollegen ist groß.

Wie drückt sich der Zorn aus?
Tom: Als im Juli Daimler eine Arbeitszeitverlängerung durchsetzen wollte, entstand die lebendigste Bewegung, die ich in den letzen 28 Jahren hier erlebt habe.
Darin kommt nicht bloß der Ärger über die Erpressungsversuche der Top-Absahner Ausdruck, sondern den Zorn über die gesamte Entwicklung. Die Leute sind genauso sauer über Agenda 2010 wie über den täglichen Druck und die Demütigung im Betrieb.
Sie haben es so satt, sich als Fußabstreifer von Politik und Unternehmern behandeln zu lassen. Deshalb waren die Leute schnell dabei zu streiken und die vierspurige Bundesstraße B 10 zu besetzen.
Ich habe nur 1996 bei den Streiks gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung so viel Zuspruch von außen erlebt. Die öffentliche Meinung, auch in den Medien, hatte sich gegen den Daimler-Vorstand und die erpresserischen Unternehmerpraktiken gedreht. In dieser Situation wäre über den Betrieb hinaus viel mehr möglich gewesen.
Die Aktionsbereitschaft der Daimler-Kollegen hätte man zu gemeinsamer Aktion mit den Belegschaften anderer Betriebe bündeln können.

Warum ist das nicht passiert?
Tom: Den Betriebsräten und Gewerkschaftern, die die Verhandlungen geführt haben, fehlte die Bereitschaft, die vorhandene Kampfbereitschaft der Belegschaft für eine schärfere Gangart gegen den Vorstand zu nutzen. Durch Zögern und Zurückweichen hat noch nie jemand die Welt bewegt.
Sie schließen grundsätzlich von ihrer eigenen Zaghaftigkeit auf die der Kollegen in den Betrieben und erkennen so mögliche Wendepunkte überhaupt nicht, weil sie den Kollegen kaum zutrauen, dass sie sich entwickeln.

Im Frühjahr hat die IG Metall die flächendeckende Einführung der 40-Stunden-Woche noch verhindert. Warum halten sich die Bosse nicht daran?
Tom: Der Tarifvertrag von Pforzheim bietet den Unternehmern sogar ohne Vertragsbruch die Möglichkeit, die Arbeitszeiten Betrieb für Betrieb aufzubohren. Jetzt nutzen sie diese Chance. So lange von unserer Seite keine massive koordinierte Gegenmobilisierung betrieben wird, können sie Betrieb für Betrieb umso leichter knacken. Aber ob Vertragstreue für Unternehmer ein wichtiges Rechtsgut ist, hängt nur davon ab, wie stark sie sich fühlen.
Bernd: Wir erleben eine Kapitaloffensive wie noch nie seit dem Krieg. Sie haben es schon geschafft, die Sozialsysteme zu knacken. Jetzt geht es um das Arbeitsrecht und die Tarifverträge. Das Ziel ist es, die soziale Regulierung über Tarifverträge zu zerstören, die die Gewerkschaftsbewegung früher einmal erkämpft hat.

Was sollten die Gewerkschaften tun?
Bernd: Wir müssen klare politische Forderungen stellen: Weg mit Hartz IV, keine Arbeitszeitverlängerung, weg mit den Zuzahlungen im Gesundheitssystem. Die politischen Forderungen müssen wir im Herbst mit der beginnenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst verbinden. So können wir die Proteste stärker in die Betriebe tragen. Tarifliche Aktionen sind in den Betrieben immer leichter zu starten als politische.
Tom: Diese Bündelung ist zentral. Wir können das gesellschaftliche Klima nicht über Auseinandersetzungen in einem einzelnen Betrieb drehen.Das Gespräch führte Jan Maas

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