Montagdemobewegung verbreitern!

Regierung in Panik

Die Bewegung gegen Hartz IV wächst weiter. Nachdem letzte Woche circa 150.000 Menschen auf der Straße waren, sind am gestrigen Montag, 23.8.2004, Demos in 150 Städten Städten durchgeführt worden. Es gab also eine Ausweitung und nicht – wie der Spiegel u.a. behaupten – ein “Abebben” der Demonstrationen. Eine genaue Gesamteinschätzung gibt es noch nicht. In vielen Orten waren die Demonstrationen gleichgroß oder größer. Vor allem gab es mehr Demos im Westen. In Berlin folgten 30.000 einem Auruf des Bündnisses von Gewerkschaften, PDS, Attac und linken Gruppen. In Chemnitz demonstrierten 6000. In Leipzig waren laut Veranstater 30.000 auf der Straße.
Die Herrschenden sind zerstritten und in Panik. In der SPD wird über “Nachbesserungen” diskutiert. Sigmar Gabriel hat eine Diskussion angestossen, ob man nicht die Senkung des Spitzensteuersatzes vom 1.Januar an verschiebt. Die FDP schlägt vor Hartz IV um ein Jahr zu verschieben, da die Umsetzung nicht gewährleistet wäre.
Der Druck – speziell auf die SPD – wird zudem mit den anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen in NRW, Sachsen, Brandenburg u.a. zunehmen. In NRW sind viele Kommunalwahlkandidaten der SPD dazu übergegangen, das SPD-Logo von ihren Plakaten zu nehmen. In Sachsen ist ein Scheitern der SPD an der 5 Prozent-Hürde möglich.
Das alles heißt: Die Regierung kann den Konflikt um Hartz IV verlieren – die Bewegung gegen Sozialabbau einen realen, nicht nur symbolischen Erfolg erringen. “Hartz IV muss weg” ist weiterhin der zentrale Slogan für die Montagsdemobewegung.

Politische Führung in der Bewegung

Die Bewegung ist von einer sehr großen Dynamik und Spontaneität geprägt. Zugleich ist ein Teil ihrer Führung politisch im Osten unerfahren. Im Westen dominiert die radikale Linke das Bild. Das macht die Bewegung instabil.
Im folgenden einige Herausforderungen für die Bewegung gegen Hartz IV:

I. Kampf gegen die Ausgrenzung von Parteien und Gewerkschaften
Eine große Schwäche der Montagsdemos ist noch eine mangelnde gewerkschaftliche Beteiligung. Auch die Präsenz der PDS und ihr Engagement im Aufbau der Demonstrationen ist noch zu schwach – auch wenn sie vielerorts mit dabei sind.
Teile der Bewegung sehen dies aber nicht als Schwäche, sondern als Stärke der Bewegung. Ihr Argument ist: Wir wollen keine großen Verbände und Parteien, die instrumentalieren den Protest ja nur. “Wortführer” in diese Richtung ist der Organisator der Magdeburger Montagsdemonstrationen, Andreas Ehrholdt. Sie wird aber auch von verschiedenen radikalen Linken geteilt.
Am zugespitztesten trat diese Debatte in Leipzig zutage – wo ein Teil der Aktiven (unkluger Weise am Bündnis vorbei) Oskar Lafontaine eingeladen hat. Der andere Teil des Bündnisses um die Pastoren Fürer und Helbig und das Sozialforum haben dem kategorisch widersprochen, man wolle keine “Parteipolitiker, die sich profilieren wollen.”
Es sei dahingestellt, ob das Vorgehen der Leipziger Lafontaine-Anmelder richtig war oder nicht. Wenn das Ziel ist, die Regierung zu schwächen und Hartz IV zu verhindern, dann muss alles getan werden, um einen Keil in das Regierungslager und die SPD zu treiben.
Ein Auftritt von Lafontaine dient diesem Zweck. Lafontaine ist der prominenteste Schröderkritiker in der SPD – ein Dauerproblem für den Kanzler.
Darüber hinaus ist die Präsenz von politischen Parteien und Verbänden eine Realität, die man nicht durch Parteienverbote verhindern kann und sollte.
Denn sie können ein wichtiges Rückgrat der Mobilisierung stellen und mehr Menschen mobilisieren. Sie sollen offen mitarbeiten können, ein Verbot verschleiert ihre Präsenz, die es dennoch geben wird. Auserdem wird den Nazis so das Feld überlassen, die wissen, wie man als organisierte Kraft auftritt.
Wenn starke Bündnisse aufgebaut werden, können einzelne Parteien oder Gewerkschaftführer auch nicht dominieren.

II. Gewerkschaften in die Pflicht nehmen
Die Ausrichtung “Volksprotest, keine Beteiligung von Verbänden, Parteien und Gewerkschaften” spielt Teilen der gewerkschaftlichen Bürokratie in die Hände. Denn in den Gewerkschaften gibt es sowohl Uneinigkeit darüber, in welchem Maß die Montagdemos unterstützt werden sollen als auch Differenzen über das Kampfziel: “Weg mit Hartz IV” oder Nachbesserungen.
DGB-Chef Sommer hat am 3. April bei der Großdemonstration in Berlin gegen die Agenda 2010 vor 500.000 Protestierenden versprochen, dass der DGB die Zumutbarkeitsverschärfung durch Hartz IV niemals hinnehmen wird. Jetzt spielt Sommer den großen Mahner und warnt davor, daß die Montagsdemos “Extremisten” und “Feinden unser Demokratie” in die Hände fallen könnten. Mal davon abgesehen, dass die auch von Sommer betriebene permanente Gleichsetzung von PDS und NPD unerträglich ist– das Entscheidende ist, das Nazis erst durch Abwesenheit von Gewerkschaften Raum gegeben wird.
Es ist gut dass DGB-Vizechefin Engelen-Kefer die Montagsdemos begrüßt und Sommer den DGB-Gliederungen freigestellt hat, sich an den Montagsdemos zu beteiligen. Damit ist die Auseinandersetzung in den Gewerkschaften eröffnet zwischen denjenigen, die Hartz IV kippen wollen und denjenigen, die Schröder retten wollen. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, einzelne Mitglieder der Gewerkschaften, aber auch Gewerkschaftsgliederungen und ganze Gewerkschaften für die aktive Beteiligung an den Montagsdemos zu gewinnen.
In Berlin unterstützen seit dieser Woche – neben der GEW – auch ver.di, IG BAU, IG Metall die Montagsdemonstration. Dies ist ein hervorragende Entwicklung und kann helfen, die Gewerkschaftsgliederungen auch in anderen Städten für eine aktive Unterstützung zu gewinnen.

III. PDS ebenfalls in die Pflicht nehmen
Die PDS ist im Osten eine wichtige Kraft. Vielerorts hält sich in der Organisierung zurück oder interveniert kaum. Damit entzieht sie sich mancherorts der Verantwortung, die Proteste aufzubauen und für eine linke Ausrichtung der Bewegung zu argumentieren. Wer die PDS aus Bündnissen ausgrenzt, macht es den Teilen der Partei, die zwar die Wählerstimmen abschöpfen, aber nicht die Bewegung aufbauen wollen, leicht. Die Aktiven der PDS, die in vielen Fällen kritisch zu der Parteiführung stehen, werden geschwächt.
In Berlin argumentieren viele Linke, dass die PDS wegen ihrer Regierungspolitik in Berlin aus dem Bündnis ausgegrenzt werden soll. Aber das würde eine Schwächung der Bewegung bedeuten.
Eine Beteiligung der PDS im Bündnis macht die Bewegung stärker, eine Stärkung der Bewegung wird den Keil in die PDS treiben, zwischen diejenigen, die die Berliner Politik tragen und diejenigen, die wollen, dass ihr Partei aus der Regierung in Berlin geht.

IV. Die WASG zum Motor des Widerstands machen Neben den Protesten hat die Schröderregierung vor allem Angst davor, dass sich eine neue politische Kraft etabliert, die als anti-neoliberale Wahlalternative all die Millionen von Menschen anspricht, die die SPD durch ihre Politik des Sozialabbaus in den letzten Jahren vergrault hat.
Die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit unterstützt bundesweit die Montagsdemos und hat dazu ein Flugblatt herausgebracht (www.wahlalterntive-asg.de). Zudem spielen ihre Mitglieder in vielen Orten eine wichtige Rolle im Aufbau des Protestet.
Leider ist die Bundesebene momentan offenbar nicht in der Lage neben den oben genannten Flyern Materialien (Plakate, Transparente) zur Verfügung zu stellen und auf Vorstöße der Regierung – wie zum Beispiel den 1 €-Jobs – zu reagieren.
Den Aktivitäten der Regionalgruppen kommt von daher eine besondere Bedeutung bei. So war die Gruppe Südost der Berliner Wahlalternative auf der letzten Montagsdemonstration mit eigenem Transparent und Schildern sichtbar. Zudem gab es von der Berliner WASG Flyer mit Kontakt-emails und Telefonnummern.
Über Hartz IV-Veranstaltungen in den Stadtteilen kann die WASG helfen, die Verankerung der Mobiliserung in den Stadtteilen zu verstärken.

V. Die Rechten isolieren
Gerade im Osten versuchen Naziorganisationen und dubiose rechte Bürgerinitiativen aus der Bewegung Profit zu schlagen. Es ist aber falsch davon zu reden, dass die Rechten die Montagsdemonstrationen übernehmen.
Die richtige Reaktion ist es, im Bündnis für eine klare Linie gegenüber den Nazis zu argumentieren (sie haben auf den Montagsdemos nichts zu suchen) und auch praktische Konsequenzen zu diskutieren, das heißt wie Nazis von der Demo geworfen werden, falls sie trotzdem kommen.
Redner sollten gegen die Nazis argumentieren und offensiv ihre Argumente auseinandernehmen: Warum die Ausländer nicht das Problem sind, warum wir internationale Solidarität brauchen, um uns gegen die Angriffe zu wehren etc.

VI.Kontroverse um den Slogan “Wir sind das Volk”
In vielen Bündnissen gibt es eine Kontroverse um den Slogan “Wir sind das Volk”. Einige Linksradikale verstehen den Slogan als “völkisch”-nationalistisch, andere – mit eher stalinistischem Hintergrund – finden den Slogan problematisch, da sie den Untergang der DDR als einen Rückschritt empfinden.
Wir meinen, dass der Slogan nicht rechts ist.
Der Slogan kommt aus Georg Büchners Stück “Dantons Tod”. Büchner hat mit dem “Hessischen Landboten”, bekannt durch das unsterbliche Anfangszitat “Friede den Hütten, Krieg den Palästen” eine der besten revolutionären Zeitungen jemals gemacht. Damals, 1834, war “Wir sind das Volk” eine Kampfansage an die Aristokratie und das rechte Bürgertum , die Deutschland in der auf den Wiener Kongress folgenden Restaurationszeit fest im Griff hatte.
1989 benutzten die Menschen in der DDR den Slogan gegen den undemokratischen Charakter des DDR-Regimes zu protestieren. Heute drückt der Slogan “Das Volk sind wir” in erster Linie die Anklage von den Menschen in Ostdeutschland aus, die die Opfer des Abbruch Ost geworden sind und eine neue, soziale Wende einfordern.
Es ist eine Anklage an eine Regierung, die ihr traditionelles Wählerpotential verraten und verkauft hat. Deshalb hat der Slogan “Wir sind das Volk” selbstverständlich seinen Platz auf den Montagsdemonstrationen.

VII. Der Umgang mit der MLPD
Eine “Partei” ist in den letzeren Wochen in mehreren Städten aufgefallen – die MLPD. Bei ihr handelt es sich um eine abgeschottete Organisation mir diversen Vorfrontorganisationen (Solidarität International, Frauenverband Courage, Montags-gegen-2010…).
Im Gegensatz zu vielen anderen Organisationen hat sie sich nicht an den gemeinsamen Aktivitäten und Neuformierungsprozessen im Zuge der globalisierungskritischen Bewegung beteiligt.
Vielmehr behindert sie in sektiererischer Art und Weise die Entstehung breiter Bündnisse. So wäre die Demonstration am 1.11.2003 fast gescheitert, da die MLPD breitere Kräfte draussen halten und ihre Redner auf der Kundgebung platzieren wollte. In Berlin hielt sie sich nicht an Bündnisabsprachen und dominierte letzte Woche defacto die erste Montagsdemonstration. Es war nicht möglich, die MLPD in Berlin dazu zu bewegen, ihr Organisationsinteresse dem gemeinsamen Bündnisinteresse unterzuordnen. In Berlin gibt es nun ein MLPD-Bündnis und ein “Aktionsbündnis weg mit Hartz IV – Montagsdemos in Berlin”, in dem neben Erwerbslosenintitiativen diverse Gruppen wie Attac, Gewerkschaften und PDS mitarbeiten.
Wo einzelne MLPDler bereit sind in breiten Bündnissen mitzuarbeiten ist das ihr gutes Recht. Wo sie versuchen Bündnisse zu monopolisieren und von sich abhängig zu machen – zum Beispiel dadurch, dass sie die Demo anmelden und von daher laut Versammlungsrecht bestimmen dürfen was während der Kundgebung/Demo passiert – wird es in den meisten Fällen notwendig sein, sich von ihr zu trennen und eigenständige Bündnisse aufzubauen.

Wie weiter für die Bewegung – Termine und Überlegungen.

11./12.9. Treffen zur Vorbereitung des Sozialforums in Deutschland (2005) in Erfurt
Montagsdemoakteure einladen, sich an dem Vorbereitungsprozess zu beteiligen. (www.dsf-gsf.org)

18./19.9. Hessenweite Demo in Frankfurt und Aktionskonferenz
Ziel der Aktionskonferenz ist es, über die Montagsdemo und Hartz IV-Proteste hinaus eine Vision für den Widerstand 2005 zu entwickeln.

2./3.10. Idee einer bundesweiten Demonstration in Berlin und eines „Weg mit Hartz IV“-Kongresses

14.-17.10. Europäisches Sozialforum (ESF) in London
Großes Interesse der europäischen Bewegungen an Entwicklungen hierzulande, gleichzeitig braucht unser Widerstand eine internationale Perspektive. Deshalb sind alle Interessierten aufgerufen sich am ESF zu beteiligen, bzw. Delegierte zu schicken.
Am Freitag, den 15.10. wird es wieder ein Treffen der Teilnehmer aus Deutschland geben, auf dem weitere Schritte beraten werden. (infos: www.dsf-gsf.org oder www.fse-esf.org)

30.10. Weltspartag
Aktionen in Ostdeutschland

6.11. bundesweite Demonstration in Nürnberg

17.11. ehemaliger Buß und Bettag. Bundesweiter Aktionstag gegen SozialabbauBundesleitung, 24.8.2004

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