Der Streik in 14 Ländern

Solidarität statt Standortkonkurrenz: In den letzten Jahren haben Arbeiter aus ganz Europa gemeinsam gegen Kürzungen und Entlassungen gekämpft. Zwei Beispiele von Jan Maas.


US-amerikanische Hafenarbeiter der Gewerkschaft ILWU unterstützen den Streik ihrer europäischen Kollegen in 14 Ländern

Letztes Jahr, am 20. November, jubelten Hafenarbeiter in ganz Europa: Nachdem sie jahrelang gekämpft hatten, lehnte das EU-Parlament die geplante Hafenrichtlinie ab.
Ein Mitarbeiter der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di meinte: „Dieser Erfolg ist vor allem dem Protest und den Warnstreiks von tausenden Hafenarbeitern und Lotsen zu verdanken.“

Die EU wollte den Reedereien erlauben, ihre Schiffe von den Seeleuten an Bord statt von Hafenarbeitern festmachen und entladen zu lassen. Außerdem sollte die Vorschrift, im Hafen einen Lotsen zu nutzen, teilweise entfallen.

Die Reedereien drücken seit langem die Löhne für Seeleute durch das so genannte „Ausflaggen“: Sie melden ihre Schiffe in Ländern an, in denen niedrigere Löhne erlaubt sind. Die Hafenrichtlinie hätte die europäischen Hafenarbeiter in Konkurrenz zu diesen Billiglöhnen gestellt. Sicherheitsbestimmungen, Ruhezeiten und die Verkehrssicherheit in den Häfen hätten gelitten.

Den Widerstand dagegen hat die Internationale Transportarbeitergewerkschaft (ITF) organisiert. Sie tritt weltweit für die Rechte der Arbeiter ein und kann auch Tarifverträge abschließen. Die meisten anderen internationalen Gewerkschaftsbünde sind nur Dachverbände ohne Einfluss.

Vor den Protesten gegen die Hafenrichtlinie hatten die Arbeiter aus einem Fehler gelernt. Der Betriebsrat der Hamburger Hafenarbeiter Bernd Kamin erzählt Linksruck: „Vor Jahren hatten wir einen Konflikt im Hamburger Hafen, als niederländische Schlepper rein kamen, um die Containerschiffe zu Dumpingpreisen einzuschleppen.

Wir haben Aktionen dagegen organisiert, und unter anderem das größte Containerschiff der Welt „Regina Maerks“ blockiert. Da ist die Maerks-Reederei zur HHLA, dem Betreiber der Hamburger Hafenanlagen gegangen und hat gedroht: Wenn die Schiffe weiter blockiert werden, dann wickeln wir künftig die Containerverladung komplett in Rotterdam ab.

Die HHLA sagte es dem Betriebsrat, der Betriebsrat den Kollegen und danach sind die Aktionen zusammengebrochen.“

Für die Reedereien ist es recht einfach, die Hafenarbeiter in verschiedenen Ländern gegeneinander auszuspielen, solange sie sich nicht über Grenzen hinweg organisieren. Aber die Gewerkschaft reagierte schnell.

„Die ITF hat eine internationale Arbeitsgruppe zusammengestellt, welche die Zusammenarbeit koordinieren sollte. Ich bin Teil dieser Gruppe gewesen. Wir haben sichergestellt, dass nicht nur in Hamburg protestiert wird, sondern auch in Rotterdam und anderen Häfen. So haben wir die Bosse ausgehebelt und gewonnen.“

Im Sommer 2002 protestierten rund 10.000 Hafenarbeiter in Deutschland, Island, Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark gegen die Hafenrichtlinie. Der Hamburger ver.di-Landesbezirksleiter Wolfgang Rose damals: „Wenn sich hier in Zukunft mächtige Kapitaleigner aus Hong Kong und Singapur einkaufen können, dann dauert es nicht mehr lange, bis asiatische Sozialstandards mit Tagelöhnerei und Minibezahlung, mit Heuern und Feuern hier an Land gebracht werden.“

Die nächste Aktion folgte im März 2003: der erste Länder übergreifende Streik in elf Staaten gleichzeitig. Die EU hatte die Hafenrichtlinie nach den ersten Protesten nur oberflächlich verändert. Es war jedoch nicht gesichert, dass Hafenarbeit nur von Hafenarbeitern gemacht werden darf.

Bernt Kamin: „Wir wollten mit unserem Protest verhindern, dass die sozialen Mindeststandards aufgebrochen werden und wir Verhältnisse kriegen wie in der Seeschifffahrt mit ihren Billigflaggen.“

An dem Aktionstag im September 2003 streikten dann Hafenarbeiter in 14 Ländern. Wenige Wochen später zog die EU das Gesetz zurück.

Gemeinsam sind wir stark. Diesem alten Leitsatz der Arbeiterbewegung sind die Hafenarbeiter gefolgt, als sie gegeneinander ausgespielt werden sollten. In den letzten Monaten haben viele Konzerne gedroht, Arbeitsplätze zu verlagern, um ihre Angestellten zu erpressen: Siemens, DaimlerChrysler oder Volkswagen zum Beispiel.

Ein weiteres Beispiel für internationalen Widerstand kommt aus der Autoindustrie. Als der französische Konzern Renault sein Werk im belgischen Vilvoorde schließen wollte, kämpften Kollegen in ganz Europa dagegen: Das Wort „Eurostreik“ wurde geboren.

Als der Renault-Vorstand seine Pläne am 27. Februar 1997 ankündigte, besetzten die belgischen Arbeiter sofort die Fabrik. Am 2. März überquerte eine Gruppe die Grenze zu Frankreich. Die Kollegen besetzten einen großen Parkplatz, auf dem Renault-Autos verladen werden.

Fünf Tage später wurde Renault in vier Werken bestreikt. In Vilvoorde, wo die Fabrik besetzt war, beteiligten sich alle Arbeiter am Streik. In Sevilla in Spanien legten zwei Drittel der Kollegen die Arbeit nieder, in Orleans in Frankreich die Hälfte. In Brüssel in Belgien schleuderten wütende Arbeiter ein Fahrgestell gegen die Polizeibarrikaden, die vor der französischen Botschaft standen.

Am 11. März wollte sich Renault-Chef Schweitzer mit der Konzernspitze in Paris beraten. Noch vor Morgengrauen verließ ein Konvoi von 80 Bussen Vilvoorde. 3000 belgische Arbeiter protestierten in der französischen Hauptstadt, während französische Gewerkschafter vor der Konzernspitze ihre belgischen Kollegen verteidigten. Sie forderten, die Arbeitszeit für alle Renault-Arbeiter zu senken, um alle Arbeitsplätze zu sichern.

Schweitzer gab nicht nach. Zwei Tage später fuhren die Kollegen aus Vilvoorde ins französische Douai und demonstrierten durch die dortige Renault-Fabrik. Sechshundert Kollegen schlossen sich sofort an und legten die Produktion lahm.

Schon vor dem Streik hatten Arbeitslosenaktivisten für den 16. März zu einer europaweiten Demo nach Brüssel aufgerufen. Die Renault-Arbeiter nutzten die Demo, um ihren Streik in ganz Europa bekannt zu machen. Zwischen 70 und 100.000 Menschen kamen. Viele französische Gewerkschafter haben mitdemonstriert. Auch aus Großbritannien und den Niederlanden waren kleinere Gruppen gekommen.

Einige Tage später versprach der französische Ministerpräsident Juppé, für jeden Renault-Arbeiter aus Vilvoorde 125.000 Euro für eine Abfindung und für Umschulungen auszugeben. Das Angebot hatte Juppé nur erfunden. Es war aber groß genug, um den gemeinsamen Kampf der Arbeiter auseinander zu reißen: Renault konnte das Werk in Vilvoorde schließen.

Als kürzlich General-Motors-Arbeiter aus verschiedenen Ländern ihre Solidarität mit den Kollegen erklärten, die bei der General-Motors-Marke Opel in Bochum gegen Lohnkürzung und Entlassungen streikten, führten sie diese Tradition von gemeinsamem Widerstand fort.

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