Der neoliberale Umbau der Hochschulen

Das gesamte Bildungssystem ist ins Fadenkreuz der neoliberalen Strategen aus Wirtschaft und Politik geraten. Mehr Markt, Wettbewerb und Konkurrenz lautet die Devise. Von Hochschule zu Hochschule gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen und Modernisierungsvorschläge.

Überfüllte Hörsäle, schlechte Betreuung, zu wenig Bücher, eingeschränkte demokratische Mitbestimmung, zu wenig Professoren, Chaos – die Situation an den Hochschulen ist katastrophal. Der Grund für das Chaos liegt auf der Hand: Seit Jahrzehnten sind die Hochschulen gänzlich unterfinanziert.

Bildung als Bürgerrecht

Studieren ohne ökonomische Peitsche Noch Ende der 60er Jahre wurden die Hochschulen und das Bildungssystem massiv ausgebaut. Diese Sozialreformen waren ein großer Schritt nach vorne. Sie ermöglichten nun auch zunehmend Arbeiterkindern und Menschen aus den unteren sozialen Schichten die Aufnahme eines Studiums. Bildung wurde zum Bürgerrecht und damit eine allgemeine Öffnung der Hochschulen durchgesetzt. Neue Gebäude wurden gebaut, mehr Professoren eingestellt, Studiengebühren abgeschafft und das Bafög eingeführt. Heute erleben wir das exakte Gegenteil davon. Zwar entsprach der Ausbau des Bildungswesens den Anforderungen der Wirtschaft, welche eine steigende Nachfrage nach akademischem Fachkräftepotential hatte. Aber die Reformen fielen aufgrund des Druckes der Studentenbewegung von 1968 viel weitreichender aus, als die Industrie es wollte. Mit der einsetzenden Wirtschaftskrise 1974 wurde eine Trendwende in der Bildungspolitik eingeläutet.

Die Überlastung wird Normalzustand

Schon 1977 wurde der Grundstein für die chronische Unterfinanzierung der Universitäten gelegt. Der sogenannte Doppelbeschluß garantierte zwar, die Hochschulen weiterhin für alle Studierwilligen offen zu halten, andererseits aber die Finanzierung der Hochschulen einzufrieren. So sank der Anteil der Hochschulausgaben am Bruttosozialprodukt von 1,3% Mitte der 70er Jahre auf 0,9% Anfang der 90er Jahre. Jahrzehntelang wurden so die Hochschulen und das Bildungssystem insgesamt finanziell ausgetrocknet. Während die Ausgaben von 4,3 Milliarden DM 1970 auf 3,9 Milliarden DM 1994 sanken, verdoppelte sich in diesem Zeitraum die Zahl der Studierenden. Mit einem geringeren Etat mußten also doppelt soviele Studierende und darüber hinaus durch die Wiedervereinigung insgesamt mehr Hochschulen finanziert werden.

Neoliberale Offensive

Die miserable Situation des Bildungssystems und insbesondere die untragbaren Zustände in den Hochschulen bieten den Modernisierern eine willkommene Angriffsfläche für ihr Projekt. Doch ist das Ziel der Neustrukturierung nicht, den Interessen der Mehrheit der Studierenden nachzukommen. Vielmehr geht es darum, die Hochschulen noch mehr als bisher zu einem reinen „Zulieferbetrieb“ für die Wirtschaft zu machen. Um das durchzusetzen, schalten sich die Herren aus den Chefetagen wie seit langem nicht mehr in die Bildungspolitik ein. Mit Hilfe von verschieden Institutionen, sogenannten Think Tanks, werden die Konzepte der Industrie in die Entscheidungsgremien für Bildungspolitik geschleust. Zu den wichtigsten dieser Think Tanks gehören der European Roundtable of Industrials (ERT) und das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Diese Lobbyvereine torpedieren die Öffentlichkeit laufend mit Tagungen, Kongressen und Positionspapieren zu allen für entscheidend gehaltenen Fragen von Abiturreform bis Studiengebühren.

Unterwegs im Auftrag der Bosse

Im Zwischenbericht des ERT zur Neugestaltung der europäischen Erziehung und Bildung gilt es beispielsweise als selbstverständlich, daß „Kinder ab dem ersten Schuljahr mit dem Konkurrenzkampf konfrontiert und dadurch geschult werden, um den Wettbewerb um soziale Privilegien kennenzulernen. […] Eine erfolgreiche Schule im Jahr 2000 muss von erfolgreichen Gewinnern geführt werden.“.

Das 1994 als Kooperationsprojekt der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektoren Konferenz (HRK) gegründete Centrum für Hochschulentwicklung zielt in dieselbe Richtung ab. Das CHE arbeitet neuerdings mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zusammen, dem Treuhänder und Verwalter von über 250 wissenschaftsfördernden Einzelstiftungen. Dieser hat sich ebenfalls vorgenommen, im Rahmen seines Förderschwerpunktes Wettbewerb und Leistung–Initiativen zur Hochschulreform „den Wettbewerbsgedanken im Hochschulsystem zu verankern“. Finanziert wird das CHE vollständig von der Stiftung des Bertelsmann-Konzerns, die ebenfalls bildungspolitisch aktiv ist und beispielsweise den Deutschen Bildungskongress unter der Schirmherrschaft von Roman Herzog veranstaltete und so immer wieder großen Einfluss auf die öffentliche Diskussion nimmt.

Humankapital

Die Industrie will sich durchsetzen. Um in der Aufholjagd mit den USA wirtschaftlich gleichzuziehen und im Konkurrenzkampf zu gewinnen, erhöht sie den Druck auf Regierung und Hochschulgremien. Doch worum geht es den Bossen konkret? Stefan Baron, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, formuliert es sehr deutlich: „Die Berufsbildung steht an der Pforte zur Menschwerdung. Der Weg zum idealen Menschen führt über den brauchbaren Menschen.“ Der Zynismus, der sich hinter dieser Aussage verbirgt, bringt ein geradezu unmenschliches Bild von der Gesellschaft zum Ausdruck: Nur der für die Industrie optimal „verwertbare Mensch“ hat das Recht auf Bildung. Für die „hohen Herren“ sind die Hochschulen also nichts anderes als Produktionsfabriken von „Humankapital“, welches so billig wie möglich produziert und so schnell wie möglich einsatzfähig sein soll. Nach dem Willen der Wirtschaft soll einer hochqualifizierten Elite, der „technischen Intelligenz“, eine weitgehend „entqualifizierte“ Masse billiger Arbeitskräfte gegenüberstehen, die nicht mehr Bildung erhalten als unbedingt für die spätere Tätigkeit notwendig ist. Die Lehrinhalte sollen noch mehr als bisher schon von der Industrie bestimmt werden können und die Kosten für Bildung schrittweise von privaten Investoren übernommen werden.

Neoliberaler Umbau

Damit dieses Projekt Fuß fassen kann, muß der Wettbewerb als Steuerungsprinzip zur Regulierung des Verhältnisses von Hochschule und Staat aber auch in der Binnenstruktur der Hochschulen verankert werden. Der Wettbewerb soll also die Strukturen der inneren und äußeren Hochschulverfassung völlig durchdringen. Öffentlich wird dies vor allem unter dem Etikett der stärkeren „Autonomisierung“ der Hochschulen verhandelt. Nach dem Vorbild USA ist jedoch das Ziel, die Universitäten durch Wettbewerb um staatliche Gelder in Dienstleistungsunternehmen zu verwandeln, die ihre „Ware“ Bildung nach kapitalistischen Verwertungsinteressen ausrichten. Wie ein Konzern sollen sich die Unis in Konkurrenz mit anderen Hochschulen auf einem Wissenschaftsmarkt behaupten. In der Zeitschrift „Forschung und Lehre 2000“ beschreibt Professor Priddat seine Vision von zukünftigen Universitäten:

„Die [bisherige] Organisationsform von Universitäten wird sich auflösen. Bildungsunternehmen werden neue Marktangebote erstellen. In diesem Fall werden Konzerne wie Disney, Bertelsmann, Warner etc. in den Bildungsmarkt einsteigen. Natürlich bleiben die bisherigen Universitäten bestehen, aber an den Rändern bedrängt durch Bildungsunternehmen, die sich die ‚high-level-education‘ herausnehmen, um sie für alle, die ihre Ausbildung als ‚investment in personal human capital‘ steuern wollen, als Bildungsinstitut anzubieten.“

Der Weg zum Bildungskonzern

Die regionale Umsetzung dieser Vision findet auf mehreren Ebenen statt. Ein erwünschter Effekt der Autonomisierung ist eine Differenzierung der Hochschullandschaft. Denn um miteinander konkurrieren zu können, müssen sich die einzelnen Hochschulen voneinander unterscheiden und profilieren können. Universitäten sollen sich auf einzelne Fachbereiche konzentrieren und diese zu ihrem Markenzeichen ausbauen. Dabei spielt die Evaluation, also die Bewertung der durch die Hochschulen erbrachte Leistung in Forschung und Lehre, eine zentrale Rolle. Ausdruck findet dies in sogenannten Rankings der Hochschulen, die dann im Spiegel und anderen Zeitschriften veröffentlicht werden.

Der durch Evaluation und Erfolgsvergleich allenfalls indirekt erzeugte Ansporn der Hochschulen zur Effizienzsteigerung soll durch die leistungsorientierte Mittelvergabe erhöht werden. Im Januar 1996 hat sich die Kultusministerkonferenz (KMK) auf Kriterien geeinigt, die bei der Vergabe von Geldern Berücksichtigung finden sollen: Anzahl der Studienanfänger, Anzahl der Studierenden, die in der Regelstudienzeit abschließen, Zahl der abgelegten Prüfungen, Umsatz eingeworbener Drittmittel etc.. Die Erfolge und Mißerfolge einer Hochschule werden nach diesen Maßstäben in finanzielle Anreize bzw. Sanktionen umgemünzt werden.

Der Hochschulrat

Ergänzt wird dies durch die Errichtung eines externen hochschul-Aufsichtsrates. Diese Idee stammt aus den Privathochschulsystemen der USA. „Über diese Organe machen die privaten Träger der Hochschulen ihren Anspruch auf Kontrolle und ggf. auch Steuerung der von ihnen finanzierten Einrichtungen geltend.“ Bildung ist keine Ware – Keine StudiengebührenDie Entscheidungsinstanz für die Entwicklung der Hochschulen ist also weder beim Staat noch bei den Studierenden oder Professoren, sondern bei Dritten angesiedelt – zum Beispiel bei „Sachverständigen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung“, wie das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium 1996 in seinen „Leitlinien einer Funktionalreform“ vorschlug. Detlev Müller-Böling bringt das auf den Punkt. Es geht um „die Einrichtung eines Hochschulrates im Sinne von Aufsichtsräten, welche an der strategischen Führung der Hochschulen mitwirken“. Klar ist, dass in diesen Räten keine Beteiligung der Studierenden vorgesehen ist, sondern lediglich von Vertretern der Industrie. Von dort aus können sie direkten Einfluss auf die Politik der Hochschule nehmen. Denn im Einzelnen sieht der Wissenschaftliche Beirat in seinem Papier absolut weitreichende Übertragung von hochschulpolitischen Kompetenzen an den Hochschulrat vor. Von der Genehmigung der Grundordnung der Hochschule bis zur Errichtung und Aufhebung von Fachbereichen und Instituten kann der Hochschulrat alle wesentlichen Änderungen bestimmen. Hand in Hand geht dieser Abbau demokratischer Rechte mit dem Vorhaben, die Universitäten komplett zu privatisieren. „Die Einführung eines Hochschulrats kann verbunden werden mit einer Rechtsformänderung der Hochschule, beispielsweise der Überführung in eine Stiftung.“ Genau das soll gerade in Berlin an der Freien Universität umgesetzt werden und auch der Präsident der Hamburger Universität spielt seit geraumer Zeit mit diesem Gedanken.

Studiengebühren

Studiengebühren sind der Türöffner für den neoliberalen Umbau der Hochschulen. Nicht ohne Grund fordern Unternehmensverbände und Politiker in Permanenz die Einführung von Studiengebühren. Die soziale Selektion ist nur ein Effekt unter vielen.

Es geht auch um den Aspekt der Hochschulfinanzierung, entscheidender ist aber, dass dadurch das politische Verständnis eines Dienstleistungsunternehmens Hochschule zementiert wird. Insofern stellt die Einführung von Studiengebühren im Kontext der gegenwärtigen Hochschulstrukturreform nach der Evaluation, der leistungsorientierten Mittelvergabe und dem Abbau demokratischer Rechte den weiteren Schritt in Richtung Wettbewerb als Steuerungsprinzip dar. Daraus ergibt sich, dass die Hochschulen bzw. deren Untergliederungen um die Kaufkraft der studentischen Kundinnen und Kunden konkurrieren müßten, die nun nach Qualitäts- und Kostenkriterien entscheiden, bei welcher Anbieterin sie ihre Hochschulausbildung erwerben wollen. Es käme also, so CHE-Chef Detlev Müller-Böling „zu einem Wettbewerb um Studierende, der über konkurrenzfähige Studiengangsprofile und attraktive Studienbedingungen geführt werden könnte.“.

Die Uni der Konzerne

Es wird deutlich, wie perfide diese verschiedenen einzelnen Maßnahmen zusammenwirken. Die Zweiteilung des Studiums in Bachelor- und Master-Studiengänge bewirkt zum einen die angestrebte „Entqualifizierung“ für die Masse und zum anderen die Elitenbildung für die Minderheit der Studierenden. Studiengebühren und eine leistungsbezogene Bezahlung der Professoren verschärfen die Selektion und erhöhen den Druck. Die Finanzierung über private Sponsorings und sogenannte Drittmittel erhöhen indirekt, die neuen Hochschulräte direkt den Einfluss der Industrie auf die Lehrinhalte und die Politik der Hochschulen. Der Spiegel beschreibt, wie sich dieses Konzept auf die Hochschulen in Holland auswirkte: „Die Dozenten haben ihre akademische Freiheit verloren, die in ein straffes Pensum eingebundenen Studierenden haben kaum mehr Spielraum zur persönlichen Entfaltung.“ Leistungsdruck, Konkurrenz, Selektion, Egoismus und Entqualifizierung sind die Merkmale der „modernen“ Uni nach dem Geschmack der Wirtschaftsbosse.

Rot-Grün

Statt sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Studierenden und den eigenen sozialdemokratischen Werten der Chancengleichheit zu orientieren, setzt die rot-grüne Bundesregierung jedoch dem Konzept der Wirtschaft nichts entgegen.

Im Gegenteil: Sie ist tragender Teil des Ganzen. Auch Bundeskanzler Schröder ist sich sicher, daß wir eine „Elite“ brauchen, und fordert ebenso mehr Flexibilität und Leistungsorientierung sowie eine stärkere Position bundesdeutscher Hochschulen im internationalen Wettbewerb. Demokratie, studentische Mitbestimmung und menschliche Entfaltung werden so auf dem Altar der Wirtschaft geopfert.

Demonstration, Besetzung, Streik

Um der neoliberalen Politik entgegenzutreten, müssen wir den Widerstand organisieren. Bereits zum Ende des Sommersemesters 2000 mobilisierte das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) 12.000 Studierende, die „für ein gebührenfreies Studium ohne Wenn und Aber“ demonstrierten. Das darf nur der Anfang gewesen sein.

Letztlich müssen wir den Widerstand auf eine höhere Stufe heben. Ziel muss ein bundesweiter Besetzungsstreik aller Hochschulen sein. Die Erfahrungen des Streiks 1997 sind hier wichtig. Rot/Grün hat die versprochenen acht Milliarden den Hochschulen nicht gegeben, auf sie können wir nicht zählen. Und: einen lucky Streik wird es kein zweites Mal geben. Er wird angry sein.

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