Für Profit und Vaterland

Fußballweltmeisterschaften werden seit Jahrzehnten von Regierungen und Konzernen missbraucht, so wie jetzt in Deutschland.

Es war keine große Weltmeisterschaft. Die Franzosen schienen ihr Kombinationsspiel verlernt zu haben und schieden in der Vorrunde aus. Die Portugiesen wirkten derart müde, als hätten sie die Nächte vor den Spielen mit Saufgelagen verbracht und die Argentinier liefen so planlos übers Feld, dass der Verbleib im Turnier eine Strafe für die Fans gewesen wäre. Im Endspiel 2002 stand dadurch eine deutsche Mannschaft, die selbst nicht wusste, wieso sie nicht vorher geschlagen wurde.

Trotzdem schauten in Deutschland und weltweit so viele Menschen wie nie zuvor die Fußballweltmeisterschaft im Fernsehen an. Dieses Jahr werden es noch mehr sein: Die Fernsehsender rechnen damit, dass alle Spiele zusammengenommen 30 Milliarden Zuschauer haben werden. Bei einer Weltbevölkerung von 6,5 Milliarden bedeutet das, dass jeder Mensch auf der Erde durchschnittlich 4,6 Spiele der Weltmeisterschaft sehen wird.

Nichts wird im Fernsehen so viel gesehen wie Fußball und kein Mannschaftssport wird so häufig aktiv ausgeübt. 242 Millionen oder 4 Prozent aller Menschen spielen regelmäßig.
Regierungen und Konzerne auf der ganzen Welt werden das Turnier missbrauchen, um die Begeisterung der Fans für „ihre“ Mannschaften in Begeisterung für „ihre“ Regierung oder die Sponsoren der WM umzulenken. Doch es gab eine Zeit, in der Fußball Menschen einfach nur Spaß gemacht hat, ohne Nationalstolz und Vermarktung.

Die Verbreitung des Fußballs mit den heutigen Regeln begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England. Wie jeder andere Sport war Fußball zunächst Zeitvertreib für reiche junge Männer an teuren Schulen und Universitäten.

Weil Fußball im Gegensatz zu anderen Sportarten wie Rudern oder Reiten recht billig gespielt werden konnte, wurde das Spiel bald auch unter Arbeitern beliebt. Dass die Arbeiter das Spiel immer weiter verbesserten und dadurch immer mehr Zuschauer kamen, lag vor allem daran, dass der britische Fußballverband als weltweit erster Sportverband die Bezahlung von Spielern erlaubte und 1888 eine Profiliga einführte. Den 1:0-Sieg von Burnley über Liverpool im Pokalfinale 1914 sahen 120.000 Menschen.

Doch durch die Begeisterung für den Fußball erkannten Politiker, dass sie den Sport missbrauchen konnten, um die Menschen für sich zu gewinnen. Schon bei der zweiten Weltmeisterschaft 1934 in Italien erklärte der faschistische Diktator Mussolini den Erfolg der italienischen Mannschaft zum Erfolg seiner Herrschaft.

Um diese Propaganda möglich zu machen, zwang Mussolini die Schiedsrichter, Italien zum Titel zu pfeifen. Der italienische Stürmer Raimundo Orsi schrieb später über das Endspiel gegen die Tschechoslowakei: „Wir hatten panische Angst, bei einer Niederlage auf Befehl Mussolinis hingerichtet zu werden. Nicht auszudenken, wenn Eklind (der Schiedsrichter) nicht auf unserer Seite gewesen wäre.“

Bei der nächsten Weltmeisterschaft 1938 wäre Österreich einer der Favoriten gewesen, wenn Deutschland es nicht kurz vorher besetzt hätte. Bei der WM zwangen die Nazis den deutschen Trainer Sepp Herberger sechs Deutsche und fünf Österreicher aufzustellen, was misslang, weil beide Mannschaften völlig verschiedene Spielweisen pflegten. Favorit Deutschland verlor im Achtelfinale 2:4 gegen die Schweiz.

Als Westdeutschland 1954 beim „Wunder von Bern“ sensationell den Titel gewann, missbrauchten viele Zeitungen den Erfolg der Fußballer, um den Menschen wieder den Nationalstolz einzuimpfen, der nach dem Zweiten Weltkrieg sehr unbeliebt war. Bei der Siegerehrung sangen tausende Zuschauer zur Hymne die erste Strophe des Deutschlandlieds: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt …“.

Die im Endspiel unterlegenen ungarischen Spieler wurden danach von der kommunistischen Diktatur verhört und überwacht. Einem Fußballer wurde Folter angedroht, weil der Geheimdienst vermutete, dass der Mercedes, den er von der WM mitbrachte, ein Bestechungs-Geschenk für eine absichtliche Niederlage war.

Seit Konzerne ihre Waren auf der ganzen Welt verkaufen, ist die Fußballweltmeisterschaft für sie die ideale Bühne zur Vermarktung. Bei keinem anderen Sportereignis sehen so viele Menschen die Werbeparolen neben Sportlern, die für viele Helden sind, wie kaum jemand anders.

Dementsprechend wird die WM dieses Jahr vor allem 15 weltweiten Konzernen wie adidas und der Deutschen Telekom nutzen. Sie haben sich für jeweils 24 Millionen Euro das Recht gekauft, weltweit mit der Fußballweltmeisterschaft zu werben.

Für adidas wurde die Wiese auf dem Berliner Platz der Republik vorm Reichstag komplett betoniert und alle Bäume wurden gefällt. Jetzt steht dort die „adidas WORLD OF FOOTBALL“, ein Stadion mit 10.000 Plätzen, in dem man die Spiele gegen Eintritt auf Leinwänden sehen und adidas-Produkte kaufen kann.

Die Deutsche Telekom durfte die Besucherkugel des Berliner Fernsehturms mit Folie bekleben, so dass die Kugel einem überdimensionalen Ball in der Telekom-Farbe Magenta gleicht, auf dem ein großes „T“ steht. In einem Anfall von Größenwahn behauptete Telekom-Vorstand Raizner bei der Einweihung: „Berlin hat nun wie Paris mit dem Eiffelturm oder New York mit dem Empire State Building ein unverwechselbares Wahrzeichen.“ Wolfgang Niersbach, Vizepräsident des WM-Organisationskomitees, erklärte ergriffen: „Eines wissen wir jetzt schon. Die Telekom gehört zu den Gewinnern der WM.“

Die Unternehmen werden sich ein Mehrfaches ihrer Ausgaben von den Menschen zurückholen: Während der wesentlich kleineren Europameisterschaft 2004 konnte Carlsberg weltweit 13 Prozent mehr Bier verkaufen als davor, weil der Konzern mit dem Turnier werben konnte. Für die Weltmeisterschaft hat Anheuser-Busch für 40 Millionen das Recht erworben, als einziger Konzern in den Stadien Bier zu verkaufen.

Um sicherzustellen, dass deutsche Konzerne den größtmöglichen Profit aus der Weltmeisterschaft ziehen, gibt die Regierung Millionen Steuergelder aus. Denn laut Regierung ist „im WM 2006-Gastgeberkonzept der Bundesregierung das Standort-Marketing ein zentraler Baustein“.

Allein 10 Millionen werden für die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ aus dem Fenster geworfen. Das größte Projekt der Initiative ist der „Walk of Ideas“ in Berlin. Er besteht aus sechs hässlichen Plastikskulpturen, darunter der zwölf Meter lange „moderne Fußballschuh“ von adidas oder die Skulptur „Meilensteine der Medizin“, eine zehn Meter hohe Aspirintablette von Bayer.

Außerdem verschenkte der Weltfußballverband FIFA zwei Drittel der Karten an Konzerne, Fußballverbände und Reiche. Dadurch konnte nur jeder Zehnte, der eine Karte bestellt hatte, auch eine kaufen.

Wer so viel Glück hatte, musste beispielsweise fürs Eröffnungsspiel Deutschland gegen Costa Rica mindestens 75 Euro zahlen. Weil es für andere Vorrundenspiele einige wenige Karten für „nur“ 35 Euro gab, behauptete das Organisationskomitee, bei der Festlegung der Preise sei eine „Sozialkomponente“ zum Tragen gekommen.

Fußball war mal ein Spiel, das Menschen nur Spaß machen sollte. Heute soll es Regierungen beliebt und Konzerne reich machen.

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