Griechenland: „Wir machen es wie die Franzosen“

Eine Massenbewegung der griechischen Studenten und Streiks haben vorerst verhindert, dass die Regierung die Bildung privatisiert.


Die größte Studentenbewegung in Griechenland seit 15 Jahren: 415 von 456 Universitäten sind besetzt worden. Im Herbst soll der Protest weitergehen

Die rechtskonservative griechische Regierung plant große neoliberale Angriffe – und beißt auf Granit. Mit ihrem Plan, noch vor der Sommerpause das staatliche Universitätswesen zu privatisieren, Zwangsexmatrikulationen für angebliche „Langzeitstudierende“ und andere Kürzungen durchzusetzen, hat sie die größten Studentenproteste seit 15 Jahren losgetreten.

Von Anfang Mai bis Anfang Juli haben Griechenlands Studierende mit Universitätsbesetzungen und großen Demonstrationen auf den Angriff reagiert. Bildungsministerin Marietta Giannakou musste Mitte Juni verkünden, dass die Bildungs„reform“ verschoben wird. Doch das reichte den Studierenden nicht. Nun ist sie weiter zurückgewichen und bietet an, dass Lehrbücher nicht wie geplant kostenpflichtig werden. Die neuen Bestimmungen zu Zwangsexmatrikulationen will sie abmildern. Über die „Reform“ der Hochschulen hat sie den Studierenden „Gespräche“ angeboten – von der Privatisierung will die Regierung bisher nicht abrücken. Die protestierenden Studenten lehnen deshalb Verhandlungen ab.

Vier Dinge haben den ersten Erfolg der Bewegung gebracht. Erstens hat es nicht nur vereinzelte Studentenstreiks und Protestaktionen gegeben, sondern die Universitäten wurden eine nach der anderen besetzt. Bis Ende Juni waren 415 Hochschulen besetzt – von insgesamt 456 im ganzen Land. Und die Studierenden sind gut organisiert. „Jede Woche haben tausende Studierende an den Versammlungen der einzelnen Fachbereiche teilgenommen. Diese Versammlungen haben beschlossen, die Besetzungen weiter zu führen“, berichtet Niki Argiri, Philosophiestudentin an der Universität der Hauptstadt Athen. Nach Demonstrationen in Athen „haben offene Treffen des landesweiten Koordinierungskomitees der Besetzungen stattgefunden.“

Zweitens haben die Studierenden der Öffentlichkeit ihre Probleme und Anliegen durch die Versammlungen, aber darüber hinaus auch durch die Demonstrationen und Informationsmaterial, das sie öffentlich verteilten, nahe gebracht.

Entscheidend für den bisherigen Erfolg war drittens auch die konsequente Haltung der Studierendenvertretungen. Sie ließen sich mit der Regierung nicht auf Verhandlungen ein, die nur zu einem faulen Kompromiss hätten führen können.

Viertens haben sich die Studierenden bemüht, die Unterstützung der Gewerkschaften zu gewinnen. Die Verbindung der Studenten mit Arbeitern ist der wesentliche Unterschied zu früheren Studentenprotesten. In einer öffentlichen Erklärung hat die „Vollversammlung der Studierendenvertretungen der besetzten Universitäten“ dargelegt, dass die „Reform“ der Bildung mit einer „Reform des Arbeitsmarktes“ einhergeht. Die Regierung will den Bossen dabei helfen, die Arbeitszeiten verlängern, Löhne zu senken und den Billiglohnsektor auszuweiten. Das alles soll den „Standort Griechenland“ international konkurrenzfähiger machen. Die Vollversammlung macht in ihrer Erklärung darauf aufmerksam, dass mit den verschiedenen „Reformen“ EU-Beschlüsse umgesetzt werden sollen. Die Angriffe auf Studierende und Arbeiter sind Teil derselben „Lissabon-Strategie“, mit der die EU in den globalen Wettkampf ziehen will.

Die Studierenden haben Delegationen zu Gewerkschaften geschickt, mit Arbeitern gesprochen, Flugblätter verteilt und Geld für den Uni-Protest gesammelt. Daraufhin hat der Gewerkschaftsdachverband im öffentlichen Dienst ADEDY für den 22. Juni zu einem 24-stündigen Generalstreik aufgerufen. Der Gewerkschaftsdachverband im privaten Sektor GSEE rief zu einer 3-stündigen Arbeitsniederlegung auf. An beiden Solidaritätsstreiks für die Studenten haben sich hunderttausende Arbeiter in ganz Griechenland beteiligt, obwohl nach Aussagen von Aktivisten die Gewerkschaftsführungen kaum mobilisiert hatten. Die Solidaritätsstreiks haben den Druck auf die Regierung massiv erhöht. Sie fürchtet, dass die Proteste an den Unis zu einer Radikalisierung der Arbeiter führen können, die ebenfalls unter Sozialabbau leiden.

Die Gewerkschaft der Professoren POSBEP beteiligt sich an den Uni-Protesten. Nach mehreren ein- und zweitägigen Warnstreiks trat sie Ende Mai in einen unbefristeten Arbeitskampf.

Auch Delegierte der Gewerkschaften der Grundschul- und Gymnasiallehrer haben sich an den Demonstrationen der Studenten beteiligt. Die Lehrergewerkschaften haben für September einen 5-tägigen Streik für höhere Löhne und eine bessere Ausstattung der Schulen angekündigt.

Die gemeinsame Aktion von Studierenden und Arbeitern ist durch die erfolgreiche Bewegung von Schülern, Studierenden und Arbeitern in Frankreich gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes inspiriert worden. „Die griechischen Studenten sagen: ‚Wir machen es wie die Franzosen’“, berichtet die Athener Philosophiestudentin Niki Argiri. Studenten aus Frankreich kamen Anfang Mai zum europäischen Sozialforum nach Athen. Auf diesem wichtigen internationalen Treffen von Globalisierungskritikern berichteten sie ihren griechischen Kommilitonen davon, wie sie gewonnen in Frankreich gewonnen haben. Die französische Bewegung hatte ab Ende Januar elf Wochen lang gekämpft. Durch Besetzungen von Schulen und Universitäten, Massendemonstrationen in ganz Frankreich und einen Generalstreik der Arbeiter hat die Bewegung die Regierung in die Knie gezwungen. Sie musste die geplante Lockerung des Kündigungsschutzes fallenlassen.

Die Vertretungen der griechischen Studierenden sind sich einig, dass die Proteste mit Beginn des nächsten Semesters im September weitergehen sollen.

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