Ein Programm für Bewegung

WASG und Linkspartei.PDS diskutieren ihr künftiges gemeinsames Programm. Was uns ein Programm nutzen kann und was man am Entwurf verbessern könnte, erläutern Volkhard Mosler und Stefan Bornost.


Eckpunkte II – ein Rechtsruck?
Es gibt sowohl in der WASG als auch in der Linkspartei.PDS eine Enttäuschung darüber, dass die jetzt vorliegenden Eckpunkte für ein gemeinsames Parteiprogramm kein Bekenntnis zum Sozialismus enthalten. In der Linkspartei gibt es Stimmen, die den Entwurf deshalb für einen Rechtsruck gegenüber dem bisher gültigen „Chemnitzer Programm“ von 2003 halten.
Darauf ist erst einmal zu entgegnen: was im Chemnitzer Programm unter dem Abschnitt „Sozialismus“ steht, hat damit nichts, aber auch gar nichts zu tun. Im Abschnitt „Sozialismus – Ziel, Weg und Werte“ lesen wir: „Unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen sind wichtige Voraussetzungen für Innovation und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.“ (Fast wortgleich taucht diese Formulierung auch in den „Eckpunkten“ auf.) Und: „Wir unterstützen den Übergang staatlichen Eigentums in die Verfügung anderer (!) Träger, wenn diese wirtschaftlich effektiv und auf sozial und ökologisch orientierte Weise zusammenwirken und die Verfügungsmacht im Interesse des Gemeinwohls gestärkt wird.“ Sozialismus auf der Basis „unternehmerischen gewinnorientierten Handelns“ und der Privatisierung staatlichen Eigentums?
Dieses eindeutige Bekenntnis zu Privateigentum an Produktionsmitteln, Marktwirtschaft und Konkurrenz des Kapitalismus läuft ja zugleich auf eine theoretische Kapitulation vor der den Massenentlassungen bei BenQ und der Allianz hinaus, die gerade ihren Gewinn verdoppelt will, indem sie die Geschäfte mit 5000 Angestellten weniger durchführen will und vor immer neuen zerstörerischen Maßahmen gegen den Sozialstaat. Hinter all dem steht „unternehmerisches Handeln und Gewinninteresse“.
Diese Formulierung betont die „produktive“ innovative Seite der Kapitalakkumulation, die schon Marx im Kommunistischen Manifest betont hat und unterschlägt die destruktive, die uns alle in neue Barbarei zu führen droht. Natürlich gibt es im Chemnitzer Programm genauso wie in den Eckpunkten eine Reihe von einschränkenden Forderungen und Wünschen. Aber die Zeiten, in denen das „Wünschen noch geholfen“ hat, sind lange vorbei und man kann nicht ein bisschen Gewinnstreben haben, man kann nicht „gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln“ haben ohne die Folgen, nämlich Konzentration und Zentralisation des Kapitals, Klimaerwärmung und militärisch ausgetragene Konkurrenz auf den Weltmärkten um knappe Rohstoffreserven. Denn auch dies sind alles notwendige Folgen „gewinnorientierten unternehmerischen Handelns“.
Im Chemnitzer Programm heißt es im Satz, der auf das Lob des „unternehmerischen Handelns“ folgt: „Doch solange sie“ (unternehmerisches Handeln und Gewinninteresse) „auf die betriebswirtschaftliche Logik beschränkt bleiben und dem Profitstreben des Einzelkapitals unterworfen sind, verwandeln sie sich in ihr Gegenteil.“ Das ist „starker Tobak“ für Sozialisten. Was soll damit gemeint sein: das „Gewinninteresse“ von der „betriebswirtschaftlichen Logik“ zu befreien? Es kann eigentlich nur gemeint sein, dass das „Gewinninteresse“ vom Einzelkapital auf die Ebene des Gesamtkapitals erhoben wird. Aber es gibt zwar ein „ideelles Gesamtkapital“ in Form des bürgerlichen Staates, aber kein reales Gesamtkapital. Oder anders ausgedrückt: Auch als „ideeller Gesamtkapitalist“ kann der Staat nicht daran vorbei, dass es Kapital in Realität nur als gegeneinander konkurrierende Einzelkapitale gibt, dass es ein wirkliches gesamtkapitalistisches Interesse, das sich über und gegen die Einzelkapitale stellt, nicht geben kann, solange es kapitalistische Konkurrenz gibt. Marx hat diesen Widerspruch von individuellem („betrieblichen“) Interesse und Gesamtinteresse am Beispiel der Konsumnachfrage so ausgedrückt: „Das im Kapitalverhältnis gesetzte widersprüchliche Interesse jedes Einzelkapitalisten an größter Konsumtionskraft aller Arbeiter mit Ausnahme der von ihm angewendeten und an möglichst niedrigen Lohn seiner eigenen Arbeiter, kann auch der Staat nicht überspringen.“ Keine Linksregierung wird deshalb zur Ankurbelung des Massenkonsums hohe Löhne per Dekret erlassen können, ohne in scharfen Gegensatz und Widerspruch zur gesamten Kapital zu geraten.

Als Marx 1875 den Satz schrieb, wonach „jeder Schritt wirklicher Bewegung wichtiger ist als ein Dutzend Programme“, wollte er nicht der theoretischen Beliebigkeit das Wort reden. Sonst hätte er es sich sicher erspart, über 20 Seiten Kritik an einzelnen Formulierungen des Programmentwurfs für eine Vereinigung der damals bestehenden zwei Linksparteien – die „Eisenacher“ und die „Lassalleaner“ – zu schreiben.

Es ging ihm vielmehr darum, hervorzuheben, dass die Vereinigung der beiden Parteien die Perspektive einer Stärkung der Arbeiterbewegung eröffnete – auch wenn die neu entstehende vereinigte Partei sich noch nicht zu einem Programm auf der Basis des wissenschaftlichen Sozialismus durchringen konnte.

In diesem Sinne ist auch die Vereinigung der beiden heutigen Linksparteien WASG und Linkspartei.PDS ein „Schritt wirklicher Bewegung“ im Kampf gegen Neoliberalismus. Ein Schritt zur Wiedergeburt einer sozialistischen Arbeiterbewegung in Deutschland – auch wenn der vorliegende Programmentwurf (Eckpunkte II) nicht nur kein sozialistisches Programm ist, sondern darüber hinaus im Grundsätzlichen wie auch im Aktionsteil Schwächen enthält. Wenn Linksruck deshalb Veränderungsvorschläge zur Debatte stellen, dann nicht mit der stillen Hoffnung, die Vereinigung zu Fall zu bringen. Unabhängig von den jetzt noch vorhandenen programmatischen Schwächen werden wir die neue Linkspartei unterstützen.

Linksruck geht davon aus, dass die Zeit noch nicht reif ist für eine sozialistische und marxistische Massenpartei. Solche Formationen sind historisch in Zeiten sehr zugespitzter Klassenauseinandersetzungen entstanden. Die schiere Brutalität des Kapitalismus und seiner Verwalter in den Regierungen hat in solchen Zeiten Millionen Menschen zum Schluss gebracht, das ihre Lebensinteressen nicht mit diesem Wirtschaftssystem vereinbar sind. Die Agenda 2010 ist für uns ein Schritt in die Richtung derartiger gesellschaftlicher Zustände . Sie signalisiert den Anfang eines Generalangriffs, dessen Ende nicht abzusehen ist. Aber noch wirkt die jahrzehnte Tradition der Sozialpartnerschaft nach – ebenso wie die Desillusionierung vieler, die sich am vermeintlichen „Sozialismus“ der DDR orientierten. Die neue Partei wird diesen Stand erst einmal reflektieren.

Dazu kommt, dass mit der WASG und der Linkspartei.PDS außerdem zwei Parteien sehr unterschiedlicher Tradition, Klassenzusammensetzung und politischer Kulturen aufeinander treffen. Die PDS ist aus der ehemaligen Staatspartei SED entstanden, die über 40 Jahre einen bürokratischen Klassenstaat mit sozialistischer Ideologie verkörperte. Den Anstoß zur WASG gab im Wesentlichen eine Gruppierung ehemals sozialdemokratischer Gewerkschaftsfunktionäre, die sich durch den Rechtskurs der Schröderregierung gezwungen sahen, einen politischen Widerstandskern zu bilden.

Die PDS hat hingegen nach 1990 ideologisch eine Rechtsentwicklung durchgemacht: Die „Sozialdemokratisierung“ einer ehemals stalinistischen Partei mit marxistischer Ideologie. Die WASG ist wesentlich geprägt durch linkssozialdemokratische oder linkskeynesianische Ideen, aber auch durch ihre Anbindung an die Gewerkschaftsbewegung und damit an Protestbewegungen, auch wenn diese nicht „auf der Höhe der Zeit“ sind.

Diese unterschiedlichen Wurzeln von WASG und Linkspartei.PDS haben zur Folge, dass der Prozess der politischen Selbstverständigung, wie er in einem Programm zum Ausdruck kommt, über Jahre fortdauern wird.

Zur Zeit zieht die neue Linkspartei ihre praktische Stärke aus ihrer programmatischen Schwäche, nämlich dass sie ein breites Bündnis sehr unterschiedlicher politischer Strömungen ist. Jeder Versuch, diesem Bündnis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein „sozialistisches Programm“ überzustülpen, hieße, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen.

Wenn man eine „Bewegungspartei“ unter Einschluss verschiedener ideologischer und sozialer Teile für richtig und „entwicklungsfähig“ im sozialistischen Sinne hält, wie Linksruck das tut, dann ergibt sich daraus in der Programmdebatte eine Herangehensweise, die der von Marx und Engels in der Frühphase der Arbeiterbewegung in manchem ähnlich ist.

Marx und Engels haben nie einen abstrakten, idealistischen Standpunkt in Programmfragen eingenommen, wie er von Teilen der radikalen Linken in WASG und Linkspartei.PDS heute verfochten wird. In den von Marx verfassten Statuten der „Ersten Internationale“, kommt zwar der Begriff der Emanzipation der Arbeiterklassen vor, nicht jedoch „Sozialismus“ oder „Kommunismus“. Die Zeit war noch nicht reif für ein sozialistisches Programm. Durch die gemeinsame Praxis in der Ersten Internationalen konnten Marx und Engels zum ersten Mal eine größere Zahl von Arbeitern mit ihren sozialistischen Ideen bekannt machen.

Ähnlich gehen Marx und Engels an die Programmdebatte anlässlich der Vereinigung der Lassalleaner und der Eisenacher (1875) in Deutschland heran. Der wesentliche Gedanke von Marx in einem Brief an Bracke (5. Mai 1875) lautet: Wenn die Zeit noch nicht reif ist für die Gründung einer Partei des revolutionären Sozialismus, dann darf man keine falschen Grundsätze festschreiben, sondern soll sich vorläufig auf ein „Aktionsprogramm gegen den gemeinsamen Gegner“ beschränken und die Verabschiedung eines sozialistischen Grundsatzprogramms „bis zur Zeit aufzuschieben, wo dergleichen durch längere gemeinsame Tätigkeit vorbereitet war“. Seine Kritik am „Gothaer Programm“ (1875) war nicht, dass es kein sozialistisches oder „marxistisches“ Programm war, sondern dass es eine Reihe ideologischer Begriffen enthielt, die einen falschen Weg zur Lösung des Klassenwiderspruchs enthielten und damit die zukünftige Entwicklung der Partei belasteten.

Marx und Engels unterscheiden zwischen Weg und Ziel und auch wir dürfen heute nicht den Fehler machen, Weg und Ziel gleichzusetzen. Auch heute bleibt das Ziel der Aufbau einer sozialistischen Massenpartei und diese braucht einen Kompass, ein sozialistisches Programm, das diesen Namen verdient. Aber die Herausbildung einer solchen Partei bedarf auch heute der Vorbereitung durch eine „längere gemeinsamen Tätigkeit“ oder gesellschaftsverändernder Praxis.

Die Chancen dafür sehen wir als durchaus gegeben, Merkel, Müntefering und die Ackermänner arbeiten unermüdlich an unseren Chancen, indem sie die Klassenwidersprüche in einem rasanten Tempo verschärfen. Auch wenn die Berliner „Regierungssozialisten“ um Harald Wolf und Klaus Lederer erneut mit Wowereit zusammengehen: der Druck von links auf diesen Flügel der Partei hat im Zuge der Vereinigung zu- und nicht abgenommen.

So gesehen sind wir überhaupt nicht der Meinung, dass der politische Gewinn oder Verlust der neuen Linkspartei aus sozialistischer Sicht überhaupt nur am Programm zu messen sein wird. „Im allgemeinen kommt es weniger auf das offizielle Programm einer Partei an“, schrieb Engels 1875 treffend, „ als auf das, was sie tut“. Der Kampf um die zukünftige Praxis der neuen Linkspartei ist keinesfalls entschieden. Das von Marx heftig kritisierte weil politisch verwirrende Vereinigungsprogramm von 1875 hat derzeit die SPD nicht daran gehindert, eine Linksentwicklung durchzumachen und Bismarck zu stürzen und das marxistische Erfurter Programm von 1891 hat dieselbe Partei nicht daran gehindert, eine Rechtsentwicklung durchzumachen und den imperialistischen Weltkrieg zu unterstützen.

Deshalb besteht das Ziel von Linksruck in der anstehenden Programmdebatte nicht darin, heute der Sammlungsbewegung der Linken ein sozialistisches Programm auf zu oktroyieren. Doch wir versuchen zu verhindern, dass prokapitalistische Aussagen im grundsätzlichen Teil wie das Lob des „gewinnorientierten unternehmerisches Handelns“ als Steuerungsprinzip der Ökonomie festgeschrieben werden. Im Aktionsteil geht es uns darum, zweideutige Aussagen über Rassismus und Krieg, die eine offene Flanke für zukünftige Fehlentwicklungen nach rechts bieten, zu präzisieren.

Wo weitere Diskussion Not tut

Eigentlich hätte ein kurzes Aktionsprogramm für den Vereinigungsprozess der beiden Parteien ausgereicht. Nun haben wir aber ein Programm, welches in vielen Prinzipienfragen Stellung bezieht und auch – aus unserer Sicht – in einigen Punkte falsch Stellung bezieht.
Wir haben uns in den weiter unten aufgeführten Änderungsvorschlägen auf einige zentrale Fragen des Programms beschränkt, obwohl auch an weiteren Punkten aus unserer Sicht Diskussionsbedarf besteht. Dafür nur einige Beispiele:

  • Unter dem Stichwort „Tradition der Partei“ werden relativ willkürlich zehn „Bewegungen“ von Aufklärung bis Umwelt aufgezählt, darunter auch eine „Emanzipationsbewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter“. Die korrekte Schreibweise (Arbeiterinnen und Arbeiter) wirkt in dieser Form einigermaßen verwirrend, da sich eine Angestellte wohl zur Arbeiterbewegung, nicht jedoch zur „Emanzipationsbewegung von Arbeiterinnen und Arbeitern“ zählen kann. Hier ging es wohl weniger um die Geschlechtergerechtigkeit in der Ausdrucksweise als um die Vermeidung des Begriffs „Arbeiterbewegung“, weil dann sofort die Fragwürdigkeit dieser Aufzählung klar würde. Die Arbeiterbewegung hat nicht nur das gleiche Stimmrecht für Frauen erkämpft (1918), sie war zugleich die größte Friedensmacht zum Beispiel bei der Beendigung des ersten Weltkriegs durch Arbeiterrevolutionen und die Anti-AKW-Bewegung ist deshalb gescheitert, weil große Teile der Arbeiterbewegung, nämlich die Gewerkschaften, den Kampf nicht mitgetragen haben. Umgekehrt haben in Frankreich die Studenten einen Sieg über die Regierung im Kampf gegen Prekarisierung erringen können, weil sie große Teile der Arbeiterbewegung für den gemeinsamen Kampf gewinnen konnten. Anders ausgedrückt: die Kämpfe gegen Frauenunterdrückung oder gegen Krieg werden letztlich nur erfolgreich sein, wenn sie als Bestandteil einer geeinten Arbeiterbewegung werden, weil nur diese die Macht hat, die uneingeschränkte Herrschaft des Kapitals zu brechen. Dem wird eine bloße Aufzählung verschiedener sozialer und politischer „Bewegungen“ nicht gerecht.
  • Unter dem Punkt Geschlechterdemokratie heißt es: „Politische und wirtschaftliche Macht sind patriarchal geprägt.“ Wenn damit die Tatsache gemeint ist, dass in den Chefetagen und Regierungen mehr Männer als Frauen sitzen, ist das völlig korrekt. Problematisch ist unseres Erachtens aber die Annahme, dass die Dominanz von Männern oder eines „männlichen Prinzips“ an den Schaltstellen des Kapitalismus teilweise oder ganz ursächlich ist für unsoziale und imperiale Politik.
    Angela Merkel führt Schröders Agenda-Politik weiter, weil sich in dieser Politik das Interesse der deutschen herrschenden Klasse artikuliert, der sie angehört und verpflichtet ist. Unter dieser Politik leiden Frauen noch stärker als Männer: Zum einen weil sie durch schlechtere Entlohnung ökonomisch verwundbarer sind, zum anderen weil der Abbau staatlicher Leistungen zum Beispiel bei Kinderbetreuung und Pflege aufgrund der ökonomisch bedingten häuslichen Arbeitsteilung zumeist durch Frauen ausgeglichen werden, natürlich unbezahlt. Davon profitiert allein das Kapital, nicht die männlichen „Klassengenossen“. Der Angriff, durchgeführt durch Männer und Frauen der herrschenden Elite, zielt auf Männer und Frauen der ausgebeuteten Klassen gemeinsam. Nicht das Patriarchat (Männerherrschaft) bedient sich der wirtschaftlichen Macht, sondern umgekehrt: die wirtschaftliche Macht oder das Kapital bedient sich der Frauenunterdrückung.
    Deshalb sollte die Linke sich in die Tradition sozialer Emanzipationsbewegungen, die den Kampf gegen alle Formen von Knechtschaft und Unterdrückung führen, stellen, und keine Zugeständnisse an die Patriachatstheorien vom Geschlechterkampf machen, die letztendlich den Klassenkampf von unten anhand von Geschlechterlinien spalten.
  • Zum Grundrecht auf Ausbildung heißt es: „Der Rückzug der Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung für die berufliche Ausbildung muss gestoppt werden.“
    Unternehmer und Kapitals sind ausschließlich an der Gewinnerzielung interessiert, Appelle an ihre moralische Pflicht, junge Menschen auszubilden, sind fruchtlos. Das ist die Erkenntnis aus diversen „Bündnissen für Ausbildung“ mit „freiwilligen Selbstverpflichtungen“ die alle ihre Ziele verfehlten. Hunderttausende Jugendliche erhalten überhaupt keine Berufsausbildung mehr und hunderttausende werden in Berufen wie Bäcker oder Friseusen ausgebildet, die sie nach Beendigung der Lehre gar nicht ausüben können. Es wäre an der Zeit, den Unternehmern ihr Monopol über die Ausbildung zu entreißen wie dies in anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, längst der Fall ist. Ausbildung darf nicht länger dem Profitpinzip unterworfen werden, sondern muss sich an den Bedürfnissen der Jugendlichen nach einer qualifizierten Bildung und Berufsausbildung orientieren.
  • Durchgängig erweckt das Programm den Eindruck, als könne man den Eigentümern der Produktionsmittel deren wirtschaftliche Macht und die daraus sich ergebende ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums auf der Basis der bestehenden Eigentumsverhältnisse entreißen. „Wir streben die Demokratisierung der Verfügungsgewalt über alle Formen von Wirtschaftsmacht an“. Eine solche Trennung von Verfügungsgewalt (Teilung der Arbeit in verfügende und bloß ausführende Tätigkeit) und Privateigentum sind dagegen nach Marx „identische Ausdrücke – in dem einen wird in Beziehung auf die Tätigkeit dasselbe gesagt, was in dem Andern in Bezug auf das Produkt der Tätigkeit ausgesagt wird.“ Mit anderen Worten: Der ganze Sinn von Privateigentum ist, das darüber privat verfügt werden kann Wer den Unternehmern die Kontrolle über die Fabriken entreißen will, muss ihnen die Fabriken selbst entreißen. Wer gerechtere Verteilung von Brot will, der muss die Backstube erobern und nicht nur das Brot. Es gibt keine Eigentum, ohne Verfügungsgewalt des Eigentümers und es gibt umgekehrt keine Verfügungsgewalt ohne Eigentum.

Die Änderungsvorschläge

Linksruck setzt sich dafür ein, das Programm auch für Sozialisten „offen zu halten“, das heißt eine programmatische Festlegung auf die kapitalistische Wirtschaftsweise zu verhindern.
Außerdem geht es darum, unzulängliche und zum Teil verwirrende Formulierungen zur Frage der Privatisierung, Rassismus, Bundeswehreinsätze und Regierungsbeteiligung zu eindeutigen Aussagen gegen Privatisierung, Auslandseinsätze und Rassismus in allen Formen zu schärfen.
Die vorgestellten Alternativvorschläge sind Kompromissformulierungen, das heißt sie widersprechen nicht den Positionen von Sozialisten, entsprechen ihnen aber auch nicht vollständig. So schlagen wir unter dem Abschnitt „Demokratisierung der UNO“ vor, die bisherige undemokratische Struktur der Weltorganisation beim Namen zu nennen und die Forderung nach Demokratisierung zu präzisieren. Wir sind allerdings überzeugt, dass die heute über die UNO herrschenden imperialistischen Mächte ihre Vormachtstellung nicht aufgeben wollen und werden.
Die Änderungsvorschläge im Einzelnen:

1. „Unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen sind wichtige Voraussetzungen für Innovation und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.“ (S. 3)
Ersetzen durch:
Unternehmerisches Handeln und Gewinninteresse führen nicht nur zu Innovation und betrieblicher Leistungsfähigkeit, sondern zunehmend auch zu Zerstörung unser Lebensgrundlagen, wirtschaftlicher Stagnation und gesellschaftlichem Verfall. Deshalb strebt die Linke eine neuen …. an.

Begründung:
Das uneingeschränkte Lob des „unternehmerischen, gewinnorientieren Handeln“ als Ressource des gesellschaftlichen Fortschritts macht die Partei unglaubwürdig. Klimaerwärmung und Umweltzerstörung, Krieg und Massenentlassungen sind letztlich auch Ausdruck „unternehmerischen, gewinnorientierten Handelns“. Zentralisierung und Konzentration des Kapitals in immer wenigere und größere Kapitale („Fünfhundert Konzerne kontrollieren die Hälfte des Weltsozialprodukts“) folgen zwangsläufig aus den Gesetzen von Profit („Gewinn“) und Konkurrenz („Markt“).

2. Rassismus und Antisemitismus nehmen zu.“(S. 3 unten)
Ersetzen durch:
Rassismus (Antisemitismus, Ausländer- und Islamfeindlichkeit) nehmen zu.
Ebenso:
Dazu gehört auch der Kampf gegen patriarchale Unterdrückung, gegen alle Formen von Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus.
Ersetzen durch:
Dazu gehören auch der Kampf gegen patriarchale Unterdrückung, gegen alle Formen von Rassismus (Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung von Roma und Sinti u .a. ) und Rechtsextremismus.

Begründung:
Seit dem 11. September 2001 wird von rechter Seite der Rassismus besonders gegen Muslime geschürt und dient als Legitimation für Verschärfung der Inneren Sicherheit und einer aggressiven Außenpolitik. Dieser neue Rassismus ist seit dem 11. September 2001 auch in Deutschland rasant angestiegen. So ergab eine Umfrage der FAZ vom 17. Mai 2006, dass inzwischen 56 Prozent der Deutschen überzeugt sind, wir lebten in einem Kampf der Kulturen, 2004 waren es noch 46 Prozent, 65 Prozent rechnen mit Konflikten zwischen der muslimisch-arabischen und der westlichen Kultur.
In einer Zeit, in der die neofaschistischen Parteien ihre rassistischen Parolen fast ausschließlich auf Muslime und „Islamisten“ richten (siehe die letzten Wahlkämpfe der NPD, der österreichischen FPÖ und des Vlaams-Block in Belgien) muss diesem neuen Rassismus, der Islamfeindlichkeit, in genau derselben Weise der Kampf angesagt werden, wie allen anderen Formen des Rassismus. Zumindest an einer Stelle des Programms sollten auch die anderen bekannteren Erscheinungsformen von Rassismus genannt werden.

3. „Die zerstörerischen Tendenzen des ungehemmten Marktes konnten sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion als größtes Gegengewicht immer mehr entfalten.“
Ersatzlos streichen.

Begründung:
Das stimmt zeitlich nicht, denn Ronald Reagan und Margaret Thatcher sind in den 80er Jahren lange vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu politischen Leitfiguren des neoliberalen Umbruchs geworden. Es stimmt aber auch nicht ursächlich: Die zerstörerischen ungehemmten Mächte des Marktes haben zum Zerfall der Sowjetunion geführt, nicht umgekehrt. Letztendlich steht hinter solch einem Satz eine falsche Theorie über die Ursachen des Aufstiegs des Neoliberalismus. Der Neoliberalismus ist nicht einfach eine „falsche Idee“ die als Folge einer Verschwörung rechter Politiker und Ökonomen ihren Siegeszug angetreten hat. Neoliberalismus ist eine Reaktion der herrschenden auf die Rückkehr der wirtschaftlichen Krise Mitte der 70er Jahre und zielt als Strategie darauf ab, die Profitraten auf den Rücken der Arbeiterklasse zu sanieren – durch Erhöhung der Ausbeutungsrate und den Abbau des Sozialstaates. Deshalb war und ist das „größte Gegengewicht“ zum „ungehemmten Markt“ in Deutschland die Gewerkschaftsbewegung.

4. Imperiale Politik und Fundamentalismus verstärken sich wechselseitig (S.1)
ersetzen durch:
Der „Krieg gegen den Terror“ hat den Fundamentalismus nicht geschwächt sondern gestärkt.

Begründung:
Der Abschnitt im Programm legt durch die Wendung „verstärken sich wechselseitig“ nahe, dass das Aufkommen fundamentalistischer Strömungen mit ursächlich für imperiale Politik ist. Bei aller Kritik am islamischen Fundamentalismus, die wir als Linke natürlich haben – den Imperialismus kann man dieser politischen Strömung nicht in die Schuhe schieben.
Beispiel Naher Osten: Koloniale Unterdrückung und die Unterstützung diktatorischer Klientenstaaten erst durch britische und dann durch amerikanische Regierungen gehen zeitlich der Entstehung politischer Massenbewegungen, die sich auf den Islam gerufen, voraus.
Der Islamismus als religiös-fundamentalistische politische Strömung entstand zuerst im Iran, nachdem national-demokratische Kräfte 1954 (Mossadegh-Regierung) durch einen vom CIA und vom britischen Geheimdienst organisierten Putsch gestürzt wurden. Nach dem Niedergang oder Zusammenbruch der meisten kommunistischen Parteien 1989/90 wurden in den muslimischen Ländern islamische politische Bewegungen immer mehr zum einzigen Widerstandspol gegen den Imperialismus. Nicht der Fundamentalismus stärkt den Imperialismus, sondern umgekehrt: das Erstarken des Fundamentalismus ist eine Reaktion auf die neoliberale Offensive imperialer Unterdrückung und Ausbeutung und auf die Krise national-demokratischer und linker antiimperialistischer Bewegungen im Nahen und Mittleren Osten.

5. „Die Bundeswehr darf nicht weiter für Militärinterventionen im Ausland eingesetzt werden.“
Ersetzen durch:
Die Linke verurteilt imperialistische Kriege um Absatzmärkte und Rohstoffe und verteidigt das Recht der Völker, selbst über die Nutzung ihrer Reichtümer zu verfügen.
Die Linke lehnt die Militarisierung der deutschen Außenpolitik ab. Deshalb darf die Bundeswehr nicht weiter für militärische Missionen und Interventionen im Ausland eingesetzt werden.

Begründung:
Das Problem mit den sogenannten „Friedensmissionen“ ist, dass hier Militäreinsätze als Friedens- oder humanitäre Missionen verkauft werden.
Im Programm ist die Rede von „Interventionen“, dabei wird der jüngste Einsatz der Bundeswehr im Kongo nicht als „Intervention“ sondern als „Mission“ bezeichnet. Unser Programm würde nach dieser Sprachregelung den Kongo-Einsatz erlauben.
Im ersten Abschnitt von „8. Internationale Politik …“ wird richtig gesagt, dass die EU an der „Militarisierung in diesen Regionen“ beteiligt ist. Dazu gehören auch militärische Missionen, wie z. B. die Entsendung von Militärberatern oder die gegenwärtige EU-Mission im Kongo.
Die Erfahrungen mit den Grünen und der SPD in den 90er Jahren haben gezeigt, dass die herrschenden Eliten bei der Gewöhnung von linken Parteien (und der Bevölkerung) an Kriegsbeteiligung „Schritt für Schritt vorgehen“ mussten. So fing es mit „humanitären Einsätzen“ in Kambodscha (1992) an und endete vorläufig mit dem ersten Angriffskrieg deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg auf Jugoslawien. Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik ist noch nicht abgeschlossen. SPD und Grüne bemühten und bemühen stets die Verteidigung von Menschenrechten, Frauenrechten, Hungertod usw., um Militäreinsätze zu rechtfertigen. Schon die „Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung“ von 1992 betonten dagegen „legitime, nationale Interessen“ als Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr. In der SPD gab es Debatten über Blauhelmeinsätze ja – Kampfeinsätze nein, „friedenserhaltende vs. friedensschaffende“ Einsätze. Die Blauhelmeinsätze der UNO waren nur die zur Gewöhnung nötige Vorstufe für volle Natokampfeinsätze. Deshalb sollten wir grundsätzlich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr Stellung beziehen. Alles andere brächte die neue Linke auf eine schlüpfrige schiefe Ebene, die in den Morast von Afghanistan und Irak führt.

6. Demokratisierung der UNO: Das Ziel der Charta der Vereinten Nationen, eine Welt des Friedens und der Wahrung der Menschenrechte zu erreichen, erfordert eine weitere Stärkung und Demokratisierung der UNO, mehr Rechte der Vollversammlung gegenüber den Ansprüchen der Welt- und Großmächte. Verschleppungen, geheime Gefängnisse und Folter sind weltweit zu ächten. Die Koordination der internationalen Anstrengungen ür eine gerechte Weltwirtschafts- und Sozialordnung sollte bei einer demokratisierten und gestärkten UNO liegen.
Ersetzen durch:
Die Hoffnung, die in den Zielen der UNO formuliert wurde, eine Welt des Friedens und der Wahrung der Menschenrechte zu erreichen, verlangt eine demokratische Organisation der UNO. Die Rechte der Vollversammlung gegenüber dem Sicherheitsrat müssen gestärkt werden, insbesondere muss sie das Recht bekommen, den gesamten Sicherheitsrat zu wählen. Da die gegenwärtige Politik der Welt- und Großmächte zu einer weiteren Aushöhlung der Grundsätze der UNO führt, müssen diese Grundsätze, nämlich der Gleichheit der Staaten, der Vertragstreue, des Verzichts auf Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen, sowie des Selbstbestimmungsrechts der Völker gestärkt werden. Wir lehnen die Verfolgung imperialer Wirtschafts- und Hegemonieansprüche unter der Vorspiegelung humanitärer Ziele ab.

Begründung:
Wie im Abschnitt „Errichtung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung“ sollten wir unser Ziel nennen, nämlich eine demokratische Weltorganisation und nicht die vieldeutige und letztlich nichts sagende Formel einer „Demokratisierung“ der UNO benutzen.
Die Ziele der UNO sind leider bisher weitgehend eine Hoffnung geblieben, also sollte man das auch sagen.
Die Formulierung eine „weitere Stärkung und Demokratisierung der UNO“ hat zwei inhaltliche Fehler:
1. Im letzten Jahrzehnt haben wir eine weitere Schwächung und Entdemokratisierung der UNO erlebt. Um nur die heraus ragenden Ereignisse zu nennen: der Angriff auf Jugoslawien und der Angriff auf Irak am Sicherheitsrat vorbei, die Verkündung der Bush-Doktrin, der Versuch, das Recht des Iran auf Urananreicherungen mit Gewaltandrohungen gegen Iran zu beschneiden, die wochenlange Nicht-Aktivität des Sicherheitsrates im Fall des israelischen Krieges gegen Libanon.
Wir müssen deshalb nicht für die Stärkung einer sich in die falsche Richtung entwickelnden Organisation, sondern für die Stärkung ihrer formulierten Grundsätze eintreten und diese auch inhaltlich nennen.
2. In der Frage von Krieg und Frieden ist die UNO überhaupt keine demokratische Organisation. Die Generalversammlung (ein zwischenstaatliche Organisation, keineswegs ein Parlament der Völker) hat gegenüber dem Sicherheitsrat praktisch keinerlei Rechte: sie kann nur Empfehlungen geben. Sie kann nur die 10 nicht-ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats
wählen. Die fünf Siegermächte des 2. Weltkriegs sind nicht abzuwählen und mit einem Veto-Recht ausgestattet. Damit liegt es letztlich immer bei diesen Welt- und Großmächten über Fragen von Krieg oder Frieden zu entscheiden.
Diese im Kern undemokratische Konstruktion muss aufgehoben werden. Der Präsident von Venezuela, Chavez, sagte deshalb vor der UNO-Generalversammlung am 15.9.2005: „Die Vereinten Nationen haben ihr Modell erschöpft und es geht nicht einfach darum, eine Reform durchzuführen. Das XXI. Jahrhundert erfordert tief greifende Veränderungen, die nur mit einer Neugründung dieser Organisation möglich sein werden.“

7. „Im öffentlichen Eigentum an Einrichtungen der Daseinsvorsorge und öffentlicher Zuständigkeit für sie, sehen wir eine unverzichtbare Grundlage einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft“
Ersetzen durch:
„Im öffentlichen Eigentum an Einrichtungen der Daseinsvorsorge sehen wir eine unverzichtbare Grundlage …“

Begründung:
Das öffentliche Eigentum garantiert automatisch die öffentliche Zuständigkeit, so dass eine besondere Erwähnung der Zuständigkeit nur zu Missverständnissen derart einlädt, dass öffentliche Zuständigkeit auch ohne Eigentum garantiert werden könnte. Das kann als eine Hintertür für Privatisierung missbraucht werden.

8. Regierungsbeteiligung ist für Linke ein Mittel politischen Handelns … und außerparlamentarische Mobilisierung
Ersetzen durch:
Die Frage, unter welchen Bedingungen die Linke sich an Länder- oder Bundesregierungen beteiligt, ist danach zu beurteilen, ob sie dazu beiträgt, die Lebenslage von Arbeitnehmern, Unterdrückten und sozial Schwachen nachhaltig zu bessern und ob sie die Menschen im solidarischen Miteinander für ihre Rechte stärkt.
Die Linke wird aber nur unter beachtung ihrer Grundsätze Koalitionen mit anderen Parteien eingehen. Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen nicht privatisiert werden. Der Personalabbau in Bund, ländern und gemeinden muss generell gestoppt und ebenso die Kürzung sozialer Leistungen verhindert werden

Begründung:
Als Maßstab für Regierungsbeteiligung sind „Verbesserungen der Lage von Benachteiligten“ oder die „Durchsetzung alternativer Projekte“ zu vage. Irgendein alternatives Projekt findet sich immer, ein paar Benachteiligten mag geholfen werden. Wenn zugleich der großen Mehrheit der berufstätigen Arbeitnehmer massiv geschadet wird, dann sind solche Maßnahmen nur Trostpflästerchen auf dem Weg in den Abgrund.

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