Im Zeitalter der Rohstoffkriege

Die Bundesregierung hat Energiesicherheit zu einem Schwerpunkt des G8-Gipfels im Juni erklärt. Schwarz-Rot strebt eine Politik an, wie in Zeiten des klassischen Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert.


„Vorwärtsverteidigung“: Bundeswehrsoldaten sind mittlerweile in einem Dutzend Staaten der Welt im Einsatz

Der Energiebedarf Deutschlands wird zurzeit zu 36 Prozent gedeckt durch Erdöl, 23 Prozent Erdgas, 13 Prozent Steinkohle, 11 Prozent Braunkohle. Der Rest wird durch Kernenergie und erneuerbare Energien erzeugt. Die deutsche Industrie ist beinahe vollständig von Importen abhängig, um an Öl und Gas zu gelangen. Auch mehr als die Hälfte des Steinkohlebedarfes muss mittlerweile aus anderen Ländern eingekauft werden.

Auch wenn der frühere Umweltminister Trittin noch davon träumte, dass bis 2050 die Hälfte des deutschen Energiebedarfes durch erneuerbare Energien erzeugt werden könnte, ist klar: Auf absehbare Zeit bleibt Deutschland von fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas, und damit vom Import abhängig.

Deutschland bezieht knapp die Hälfte des importierten Öls aus Russland und je 20 Prozent aus Norwegen und afrikanischen Ländern. Beim Gas sieht es ähnlich aus: mehr als ein Drittel kommt aus Russland, ein Viertel aus Norwegen, 20 Prozent aus den Niederlanden.

Die Manager der großen deutschen Konzerne machen sich ebenso wie die Regierung und leitende Ministerialbeamte Sorgen, dass die Regierungen der Exportländer die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft nutzen könnten, um politische oder wirtschaftliche Zugeständnisse einzufordern.

Russlands Präsident Putin zum Beispiel hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar sehr deutlich gesagt, dass er das Vordringen der NATO bis an die russischen Grenzen als eine Strategie versteht, die gegen sein Land gerichtet ist. Er kritisierte scharf, dass Länder wie Deutschland sich an „militärischen Operationen“ wie den Kriegen in Irak und Afghanistan beteiligen, die „kaum als legitim zu verstehen sind“. Die anwesenden deutschen Regierungsmitglieder, Kanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsminister Jung, konnten diese deutlichen Worte nur zurückhaltend erwidern, Putins Wortwahl sei übertrieben gewesen. Offen widersprechen wollten sie ihm nicht. Merkel: „Wir wissen, dass Russland ein wichtiger Partner bei der Energieversorgung ist.“ Der russische Staatskonzern Gasprom hat in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, dass er bereit steht, um die Interessen der russischen Führung auch mit Lieferstopps und Preissteigerungen zu bekräftigen. Die zweite Sorge der deutschen Herrschenden in Wirtschaft und Staat gilt dem Risiko, dass Kriege und Bürgerkriege in den Exportländern zu Versorgungsausfällen führen können. So sind die Ölausfuhren des Irak, der früher ein großer Exporteur war, wegen der westlichen Sanktionen und infolge der US-Besatzung erheblich zurückgegangen. Sollten die USA auch den Iran überfallen, würden auch dessen Exporte sinken. Und in vielen Staaten um das Kaspische Meer und in Afrika drohen oder toben bewaffnete Konflikte um die Kontrolle über Förderstätten und Pipelines. Diese Gefahr meinen die außenpolitischen Strategen, wenn sie von „politischer Instabilität“ sprechen oder von den Rahmenbedingungen für Investitionen im Energiesektor.

Die weltweite Nachfrage nach fossilen Brennstoffen ist in den vergangen Jahren stark gestiegen. 60 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs entfallen nach wie vor auf die traditionellen Industriestaaten in Nordamerika und Westeuropa, sowie Japan. Indien und China haben jedoch einen so starken industriellen Aufschwung erlebt, dass der steigende Bedarf vor allem der chinesischen Volkswirtschaft nach Energieträgern und anderen Rohstoffen globale Auswirkungen auf Angebot und Preise hat. Gleichzeitig rechnen die Experten damit, dass die weltweite Förderung von Öl und Gas im kommenden Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen wird. Spätestens ab 2020 wird die Produktion zurückgehen, weil Fundstellen erschöpft sein werden und es immer teurer und schwieriger wird, neu entdeckte Vorkommen auszubeuten.

Vor diesem Hintergrund wird der Wettbewerb um Förderrechte und Lieferverträge schärfer. Nur 14 Staaten auf der Welt können Brennstoffe in nennenswerten Mengen exportieren. Zwei Drittel aller bekannten Vorkommen an Gas und Öl lagern in der Region um den Persischen Golf. Das Bundesumweltministerium warnt: „Angesichts der Knappheiten und Preissprünge werden Ressourcenkriege zur größten Gefahr des 21. Jahrhunderts.“

In diesem Wettbewerb geht es um strategisch derart wichtige Rohstoffe, dass keiner der Beteiligten den Ausgang der Auseinandersetzung allein den Kräften von Angebot und Nachfrage überlassen will. Denn von der Versorgung mit Energie und anderen zentralen Rohstoffen hängen nicht nur die Profite einzelner Konzerne ab, sondern das Funktionieren der gesamten Volkswirtschaft.
Der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Industrie (BDI), Thumann, macht mit aller Deutlichkeit klar, wie hoch die deutschen Konzerne das Thema hängen: „Rohstoffsicherheit heißt nicht nur eine sichere Versorgung unserer Wirtschaft mit Öl und Gas, sondern auch mit metallischen Rohstoffen … Das Thema Rohstoffpolitik geht uns alle an! Rohstoffpolitik ist Daueraufgabe. Rohstoffpolitik ist Zukunftssicherung.“

Diese Aufgabe wollen die Industriebosse nicht allein bewältigen müssen. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Internationale Rohstofffragen“ des BDI, Grillo, verlangt Unterstützung durch den deutschen Staat in Ländern, in denen sich deutsche Konzerne gegen einheimische Regierungen oder andere Konkurrenten nicht durchsetzen können: „Gegenüber politischen Problemen auf den Märkten sind die Unternehmen machtlos. Politische Probleme müssen politisch gelöst werden.“
Ende März veranstaltete der BDI deshalb in Berlin einen Rohstoffgipfel, zu dem er Kanzlerin Merkel einlud. Merkel erklärte dort, sie habe „die Zeichen der Zeit erkannt.“ Was die Beschaffung wichtiger Rohstoffe angehe, sei ihrer Regierung klar, dass „die Betrachtung der Politik, dass sich die Wirtschaft darum schon ganz allein kümmern kann, nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten gerecht“ werde. Merkel weiter: „Denn wohin wir in der Welt auch hinkommen, waren oft schon andere Politiker da, die sich für ihre Staaten bestimmte Rohstoffreserven gesichert haben – und das auf ziemlich lange Zeit.“ „Besonders China bereitete den Experten Sorgen“, berichtete die Wirtschaftswoche über den BDI-Kongress.

Nun will die deutsche Regierung auch „ihre“ Konzerne im internationalen Kampf unterstützen. Beim Wirtschaftsministerium soll ein ressortübergreifender Arbeitskreis Rohstoffe eingerichtet werden, der mit dem BDI und mit Experten der Außen- und Sicherheitspolitik zusammenarbeiten soll. Ziel ist letztlich eine langfristige Gesamtstrategie der deutschen Konzernspitzen und des Staates, um bei der weltweiten Schlacht um Rohstoffe mithalten zu können. Bei der Rohstoffversorgung handelt es sich um einen Bereich, den „wir manchmal auch als nationales Interesse bezeichnen“, wie Merkel sagte.

Deshalb will die Regierung deutsche Unternehmen finanziell dabei unterstützen, Rohstoffbetriebe im Ausland zu kaufen. Der BND und die deutschen Auslandsbotschaften sollen der Industrie zuarbeiten. Aber im Ringen um Einfluss und Zugang spielt die militärische Schlagkraft der Staaten die letztlich entscheidende Rolle. „Öl und Gas sind Machtfragen“, schreibt der Zeit-Redakteur Michael Thumann völlig richtig, „Der Kampf um die eurasischen (Europa und Asien, hier vor allem: Kaspischer Raum und Golfregion, d. Red.) Rohstoffe wird in diesen Jahren entschieden.“
Der Umbau der Bundeswehr ist daher eines der wichtigsten Regierungsprojekte. Die deutschen Streitkräfte werden unter Hochdruck von einer Landesverteidigungsarmee zu einer weltweit einsetzbaren Kampftruppe umgebaut. Deutschland soll nach dem Willen der Regierung wieder „mehr Verantwortung in der Welt“ übernehmen. Im Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr heißt es dazu, ihre Aufgabe sei zukünftig auch der Erhalt der liberalen Weltwirtschaftsordnung und der Schutz bedeutender Handelswege, vor allem für Energieträger.

Die Regierung versucht die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erhöhen, indem sie Kampferfahrung in internationalen Kriegseinsätzen sammelt. Und Deutschland treibt die Militarisierung der EU-Außenpolitik voran. Seit Februar sind die so genannten Battle Groups, die Schlachtgruppen, der EU einsatzbereit. Sie sollen global als schnelle Eingreiftruppen zustoßen können.

Die Einsatzgebiete der Battle Groups decken sich mit den Vorgaben der Energiepolitiker der Merkel-Regierung. Der für Energiepolitik zuständige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Wuermeling, fordert, die EU müsse härtere Bandagen „im globalen Kampf um Energiequellen … anlegen.“ Der Nahe Osten bleibt einer der Hauptschauplätze dieses globalen Kampfes. Merkel erklärte auf der Münchner Sicherheitskonferenz: „Wir dürfen diese Region niemals allein lassen.“ Kanzleramtsminister de Maiziere, Dienstherr des Bundesnachrichtendienstes, hält den Persischen Golf für „langfristig unverzichtbar“. Und der außenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Bundestag, Klaeden, schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Irak müsse „bald wieder zu einem bedeutenden Öllieferanten werden.“ Auch mit dem Iran würden deutsche Energiekonzerne gerne wieder umfangreiche Geschäfte machen. Das Land liefert sein Öl aber zunehmend an China.

Außerdem geraten der rohstoffreiche Raum um das Kaspische Meer, Nord- und Subsahara-Afrika ins Visier der Regierung. In einem Antrag der Regierungsfraktionen im Bundestag fordern diese, die Energie- und Entwicklungspolitik in diesen Gebieten miteinander zu verzahnen. Die deutsche Energieversorgung soll über die Außenpolitik gegenüber dortigen Staaten „stabilisiert“ werden. Das Verhältnis zu „mitkonkurrierenden Schwellenländern“ soll den „neuen politischen Gegebenheiten angepasst“ werden. Deutschland müsse die „eigenen Interessen stärker betonen“.

Wie Kampferprobung und eine neue Ausrichtung gegenüber konkurrierenden Staaten aussehen können, zeigte der Einsatz von EU-Truppen im Kongo Ende 2006. Der ehemalige Verteidigungsstaatssekretär Stützle erklärte zu dessen Hintergründen: „Im Kongo ist das Problem, dass der Öffentlichkeit von der Bundeskanzlerin nicht gesagt worden ist, worum es eigentlich geht… Wir können Afrika nicht China und den Vereinigten Staaten überlassen, Punkt!… Da man das aber eigentlich nicht sagen wollte, hat man dann die Erfindung mit der Wahl gemacht.“

Ähnliche Erfindungen werden wir in den kommenden Jahren noch viele zu hören bekommen. Das Streben verschiedener Mächte nach den Rohstoffen der Welt feuert die Konflikte in den wenigen Staaten an, unter deren Erde sich Öl, Gas und andere wertvolle Ressourcen befinden. Die Regierenden werden wieder und wieder darauf verweisen, dass in einem bestimmten Land Unruhen herrschen und Menschen sterben, um damit den Einsatz der eigenen Armeen zu rechtfertigen. Diese verfolgen aber die Interessen ihres Staates und werden daher zu einer weiteren Kriegspartei.

Die Zusammenarbeit großer Konzerne mit dem Staat, um außenpolitisch im Wettbewerb zu bestehen, haben marxistische Revolutionäre bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts analysiert. Für sie war dieses Zusammengehen der wirtschaftlich und politisch Mächtigen Kennzeichen einer besonderen, neuen Periode in der Entwicklung des Kapitalismus. Lenin und Bucharin nannten diese Phase Imperialismus und sagten um 1920 voraus, dass jede Friedensphase nur eine Atempause vor der nächsten Eskalation in einem weltweiten Krieg sei.

In den beiden Weltkriegen schlugen sich die Großmächte um dieselben Ölquellen in Zentralasien, der arabischen Halbinsel und in Ostasien, um die es auch bei den heutigen Planungen wieder geht. Die relativ stabile Weltordnung des Kalten Krieges gibt es nicht mehr. Und auch die NATO, „das alte Verteidigungsbündnis, das die Allianz einst war, besteht in dieser Form nicht mehr“, erklärt Verteidigungsminister Jung. Es entsteht eine neue Weltunordnung, in der alle Staaten, die dazu wirtschaftlich und militärisch in der Lage sind, die Interessen ihrer Wirtschaft auch gegen Widerstände durchsetzen wollen.

Die Merkel-Regierung beteiligt sich an diesem globalen Wettkampf. Außenminister Steinmeier ist die Ähnlichkeit der heutigen Lage mit der Zeit vor dem ersten Weltkrieg bewusst. In München fragte er: „Wer hätte damals (1907) den Verlauf des 20 Jahrhunderts voraussagen wollen? Wer das versucht hätte, hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit Schiffbruch erlitten, und ähnlich realistisch müssen wir unsere Lage heute im Jahr 2007 sehen.“

Während es tatsächlich schwierig ist, die zukünftigen Frontstellungen im 21. Jahrhundert vorauszusehen, ist jedoch eines klar: Jeder Auslandseinsatz der Bundeswehr bringt uns Zusammenstößen der imperialistischen Mächte näher. Anlass dieser Rivalitäten ist schon jetzt die Energie- und Rohstoffpolitik.

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