Wir kämpfen gegen die Agenda

SPD-Kanzler Schröder will mit der "Agenda 2010" soziale Leistungen deutlich kürzen. Linksruck sprach mit Gewerkschaftern, die dagegen Proteste organisieren.
Am 1. Juni werden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter die SPD-Führung ihre Wut über den Sozialabbau der Regierung spüren lassen. An diesem Tag wird der SPD-Sonderparteitag in Berlin über die "Agenda 2010" beraten, das Kürzungspaket der Regierung Schröder (mehr auf Seite 5). Auch 11.000 Sozialdemokraten haben sich mit einem Mitgliederbegehren gegen Schröders Pläne gewehrt.
Die Gewerkschafter aus Berlin rufen zur Demonstration vor dem Hotel Estrel im Stadtteil Neukölln auf. Ihr Motto: "Sozialabbau schafft keine Jobs, auch wenn die SPD dies behauptet!"
Der Initiative haben sich am 1. Mai Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der IG Metall, der IG BAU, der Bahnergewerkschaft Transnet und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) angeschlossen. Inzwischen unterstützen zahlreiche Gewerkschafter und Gewerkschaftsgremien den Protest, beispielsweise der Vorstand der IG BAU Berlin.
Ihr Aufruf verurteilt Schröders Agenda als "den bisher schärfsten Angriff auf die Sozialsysteme". Weiter heißt es: "Was ist eine SPD noch für uns wert, die solche Maßnahmen durchsetzt? Machen sich die Gewerkschaften nicht überflüssig, wenn sie sich nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wehren?
Schröder nennt die ‚Agenda 2010’ eine ‚Reform zur Rettung des Sozialstaates’. In Wahrheit ist sie der Versuch, den Sozialstaat abzuschaffen. Von Helmut Schmidt über Helmut Kohl gab es reihenweise Sozialkürzungen, die immer wieder einen Wirtschaftsaufschwung herbeiführen sollten. Keine dieser ‚Reformen’ hat Arbeitsplätze geschaffen – im Gegenteil: Die Arbeitslosenzahlen steuern seit 20 Jahren jedes Jahr auf neue Rekordzahlen zu.
Spätestens in drei Jahren wird es diese Regierung nicht mehr geben – aber sie hat den Systemwechsel vollzogen, an dem die Konservativen anknüpfen können.
Zeit zum Handeln! Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Am 1. Juni werden in Berlin die Weichen gestellt. Wir müssen Widerstand leisten."

"Protest in die Betriebe tragen"

"Die Agenda 2010 würde die Kollegen am Bau besonders treffen. In Berlin sind über 50 Prozent der Kollegen arbeitslos. Nach Schröders Plänen gehen viele von ihnen direkt in die Sozialhilfe. Das bedeutet Verarmung. Das ist eine unerträgliche Situation.
Darum haben wir den Protest vor dem SPD-Sonderparteitag angemeldet. Die IG BAU-Bezirke Berlin und Brandenburg werden auch vor dem regionalen Sonderparteitag in Potsdam am 21. Mai protestieren.
Wir werden die Agenda 2010 nur verhindern, wenn der Protest in die Betriebe hineingetragen wird – sprich: Streik. Alle Gewerkschaften müssen mitziehen. Die Entwicklung ist positiv. Der ver.di-Aktionstag am 17. Mai ist jetzt auch DGB-Aktionstag. Auch hinter der Aktion der IG Metall am 24. Mai stehen jetzt die anderen Gewerkschaften.
Die großen Metallbetriebe sind gefragt. Am Bau haben wir ja kaum stationäre Betriebe. Wir können aber Baustellen stilllegen. Das haben wir schon letztes Jahr gezeigt.
Auch dass Thema Generalstreik wird immer wieder angesprochen. Auch das ist möglich: Das sehen wir ja in Frankreich und Österreich. Dann sagen manche Kollegen: Das geht hier nicht. Aber was unterscheidet uns von den Franzosen oder Österreichern? Uns fehlt nur ein bisschen Selbstvertrauen.
Wenn wir nur nach oben gucken, wird nicht viel kommen. Aber zu den Kollegen habe ich großes Vertrauen. Einige junge Kollegen, die letztes Jahr Kampferfahrung gesammelt haben, meinen, jetzt sei das Maß voll. Die Stimmen, die auf Distanz zur SPD gehen, nehmen zu.
Wir dürfen nicht warten, bis wir handlungsunfähig sind. Die Pläne des Kapitals zielen ja auf die Schwächung der Gewerkschaften. Wir müssen sie da angreifen, wo sie verwundbar sind – und das sind die Betriebe."
Lothar Nätebusch, Vorsitzender IG BAU Berlin

"Nicht mehr gängeln lassen"

"Beim SPD-Sonderparteitag können wir den Protest gegen Sozialabbau sichtbar machen. Die Agenda 2010 ist ein massiver Angriff auf die sozialen Errungenschaften, die erkämpft worden sind: angefangen bei Arbeiterrechten, bis hin zu Gewerkschaftsrechten.
Diesen Angriff führt ausgerechnet die SPD. Da können wir nicht ruhig bleiben. Es ist höchste Eisenbahn. Von den Vorständen der Gewerkschaften erwarte ich einen Bruch mit der SPD. An deren aktueller Politik ist nichts mehr sozial oder demokratisch. Wir dürfen uns nicht mehr gängeln lassen.
Damit geht es langsam los. Die IG Metall hat eine Unterschriftenkampagne gegen die Agenda 2010 begonnen. Beim Sammeln merken wir Vertrauensleute, dass die Bereitschaft da ist, etwas zu tun.
Die Einschätzung, dass die Kollegen Verständnis für die Agenda 2010 haben, teile ich nicht. 95 Prozent von den Kollegen, die wir angesprochen haben, haben auch unterschrieben.
Die SPD hat den Kredit, den sie 1998 noch hatte, gründlich verspielt. Da ist teilweise richtiger Hass entstanden. Wir dürfen der SPD nicht folgen, sonst überträgt sich der Verlust an Glaubwürdigkeit auf die Gewerkschaften.
Es gibt eine Alternative, wenn wir als Arbeitnehmer handlungsfähig bleiben. Ich erinnere gerne an die Streiks gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Spontane Streiks haben 1996 breiten Widerstand initiiert. Dann garantierten Tarifverträge die volle Lohnfortzahlung, später wurde das Gesetz zurückgenommen. Das ist doch ein Beispiel dafür, dass es möglich ist, sich gegen Sozialabbau zu wehren.
Wir begreifen uns auch als Teil der Proteste gegen den G8-Gipfel in Evian. Wir arbeiten gut mit globalisierungskritischen Gruppen wie attac zusammen. Aber die Luft muss auch hier anfangen zu brennen."
Hans Köbrich, IG Metall-Vertrauensmann bei BMW in Berlin

"Wir müssen selbst aktiv werden"

"Um als Gewerkschafter im öffentlichen Dienst in Berlin die SPD noch als politische Interessenvertretung wahrzunehmen, muss man schon die Weitsicht eines blinden Esels haben. Die SPD tritt doch nur noch unsere Interessen – und zwar mit den Füßen.
Zunächst ist es das Ziel des SPD-PDS-Senats, die Privatisierung im Berliner Gesundheitswesen voranzutreiben. Außerdem soll durch die vereinbarte Schließung einer Universitätsklinik und nun durch die Fusion beider Uni-Kliniken ein weiterer Betten- und Stellenabbau in der Krankenversorgung realisiert werden.
Dazu kommt dann der historisch einmalige Schritt von Tarifflucht! All dies wird begründet durch die leeren Kassen der Stadt – verschwiegen werden dabei allerdings die vollen Taschen der Bankgesellschaftsmanager. Dabei hat doch die SPD selbst die Beschlüsse zu Privatisierung und Zerschlagung des öffentlichen Dienstes auf europäischer und weltweiter Ebene mit herbeigeführt.
Auf Bundesebene kommen dann auch noch Verschlechterungen für Arbeitslose und Rentner und die Agenda 2010. Der Sozialstaat wird an allen Ecken und Enden von Sozialdemokraten demontiert.
Doch im tiefen Inneren habe ich weiterhin die Hoffnung, dass sich trotz alledem die Gewerkschaften in Schlachtrösser wandeln, statt sich in ihrer Führung als oben genannte Esel zu zeigen. Aber dazu muss sich mehr und mehr die Erkenntnis Bahn brechen, dass uns keiner hilft, wenn wir uns nicht selber helfen. Wir müssen schon selbst aktiv werden – dort, wo wir arbeiten und dort, wo wir leben. Lasst uns unsere Interessen selbst vertreten!"
Carsten Becker, ver.di-Betriebsgruppe Charité-Krankenhaus, Berlin

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