Als der Kapitalismus zusammenbrach

In der Weltwirtschaftskrise 1929 stieg die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf 6 Millionen. Der Sozialstaat wurde von Bossen und Regierung fast vollständig zerstört.Droht eine Wiederholung?

Kommentar: Ein neues 1929?

Die Weltwirtschaft steckt in der tiefsten Krise seit 1929. Länder wie Argentinien sind wirtschaftlich und sozial so zerrüttet wie die Weimarer Republik in ihrer Endphase.
Die Unberechenbarkeit des Kapitalismus macht es unmöglich vorherzusehen, wie lang und wie tief die jetzige Krise wird.
Doch die politischen Gefahren sind groß. Die letzte Weltwirtschaftskrise führte in die Katastrophe von Diktatur und Weltkrieg.
Eine solche Entwicklung ist nicht zwangsläufig. Entscheidend ist, ob sich eine linke Alternative bildet, die den Millionen von der Krise Betroffenen eine Perspektive bietet.
Die Bosse werden wie 1929 alles versuchen, um die Krise auf den Rücken der Mehrheit abzuwälzen – auch wenn das die Verelendung der Gesellschaft bedeutet.
Bei der Weltwirtschaftskrise 1929 scheiterte die SPD mit ihrer historischen Mission, den Kapitalismus zu zähmen. Auch heute kennt Schröder auf die Wirtschaftskrise keine Antwort außer Sozialabbau.
Die Hoffnung liegt bei den Millionen Menschen, die weltweit unter dem Slogan "Eine andere Welt ist möglich" gegen Sozialabbau und Krieg demonstriert haben. Hoffnung geben die Streikbewegungen gegen Kürzungen, wie jetzt in Frankreich.
Langfristig muss sich aus dieser Bewegung eine politische und organisatorische Alternative zur Sozialdemokratie herausschälen. Eine solche Alternative gemeinsam aufzubauen, ist die Aufgabe von Aktivisten heute.

Die Aussichten für die Weltwirtschaft sind düster. Stephen Roach, Chefökonom der amerikanischen Bank "Morgan Stanley" sagte: "Wir stehen vor einer erneuten Weltrezession". Bei der Wirtschaftszeitung Handelsblatt werden gar "Erinnerungen an 1929" wach.
Ein beängstigendes Szenario: 1929 und die folgenden Jahre stehen für die bis dahin schlimmste Wirtschaftskrise in der Geschichte des Kapitalismus.
Am härtesten von der Krise betroffen war nach den USA die deutsche Wirtschaft. Das Sozialprodukt ging zwischen 1929 und 1932 um fast 30 Prozent zurück, die Industrieproduktion um 42 Prozent.
Die Arbeiterlöhne fielen um ein Drittel, während die Arbeitslosigkeit auf 6 Millionen stieg – jeder Dritte war arbeitslos.
Die deutschen Bosse reagierten sofort und starteten einen Generalangriff auf den Sozialstaat. Alle Sozialversicherungsleistungen sollten gekürzt werden.
Heute wie damals sollte eine SPD-geführte Regierung die Kürzungen durchsetzen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand die Arbeitslosenversicherung.
Die Unterstützung für Arbeitslose war den Bossen ein Dorn im Auge, weil sie über ihre Beiträge an den Kosten für die Krise beteiligt waren.
Im März 1930 brach ein Proteststurm bei den Unternehmerverbänden los, als die SPD-geführte Regierung eine Erhöhung der Beiträge von 3,5 Prozent auf 4 Prozent ankündigte.

Unter diesem Druck zog die Regierung ihren Vorschlag zurück. Reichskanzler Hermann Müller entwarf stattdessen ein Gesetz, mit dem die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung an ihre Einnahmen angepasst werden sollten. Damit war die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung vorprogrammiert.
Die SPD-Fraktion meuterte. Müller bekam keine Mehrheit für seine Kürzungen und trat zurück. Neuer Kanzler wurde Heinrich Brüning von der konservativen Zentrumspartei. Brüning hatte keine Mehrheit im Parlament – dafür aber die Unterstützung der SPD.
Während des kurzen Aufschwungs der zwanziger Jahre hatten SPD-Theoretiker behauptet, dass der Kapitalismus das Auf und Ab von Boom und Crash überwunden habe.
Jetzt, da die Krise hereinbrach, war die SPD-Führung hilflos. Fritz Tarnow, SPD’ler und Gewerkschaftsführer übte sich Anfang der ´30er in Zweckoptimismus: "Ich glaube, dass die Wirtschaft die Wege finden wird, die wieder zum Aufstieg führen, und ich befinde mich damit … in Übereinstimmung mit ziemlich allen Wirtschaftstheoretikern in unseren Reihen."
Doch Tarnow konnte den Aufschwung ebenso wenig herbeibeten wie Schröder, Eichel und Müntefering heute. In Ermangelung eigener Rezepte unterstützte die SPD den Sozialabbau der konservativen Brüning-Regierung.
Brünings Politik entschärfte die Krise nicht, sondern beschleunigte sie.
Mit Notverordnungen, also Regierungserlassen ohne Zustimmung des Reichstags, bewerkstelligte Brüning den Sozialabbau, den die Unternehmer forderten. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wurde von 26 auf sechs Wochen gekürzt, seine Höhe gleichzeitig halbiert – für Millionen der Weg in die Verelendung.
Brünings Ziel bestand darin, die Preise für deutsche Industrieprodukte mittels Lohnabbau und Sozialkürzungen zu senken, um den Export anzukurbeln und so die Krise nach außen zu verlagern.
Diese Politik erwies sich als katastrophal, weil alle anderen Industriestaaten sie auch verfolgten, und führte direkt in einen Zusammenbruch der Weltmärkte.
Der Binnenmarkt konnte den Zusammenbruch des Exports nicht auffangen, weil Sozialabbau und Massenentlassungen die Nachfrage zum Einbrechen gebracht hatten.

Der Aufstieg der Nazis ist durch diese Politik ganz entscheidend begünstigt worden. Denn die Krise des Systems und die Unfähigkeit aller politischen Organisationen, ihrer Herr zu werden, ließen viele Menschen in den falschen Versprechen der Nazis den einzigen Ausweg aus der sozialen Misere erblicken.
Die Gewerkschaften waren nicht in der Lage, die Welle des Sozialabbaus aufzuhalten. Ein Grund dafür war ihre enorme Schwächung durch die Massenarbeitslosigkeit – Mitgliederverlust und verschärfte Konkurrenz schlugen auf die Kampfkraft durch.
Doch auch die Zurückhaltung der mit der SPD verbundenen gewerkschaftlichen Führung spielte eine wichtige Rolle.
Noch im Frühsommer 1930 gab es unter Arbeitern eine hohe Bereitschaft, gegen die Angriffe der Bosse zu kämpfen. Die Unternehmer fingen an, reihenweise Tarifverträge zu kündigen. Sie wollten eine generelle 15prozentige Lohnkürzung durchsetzen.
Im August 1930 kündigten die Bosse die Tarifverträge der Berliner Metallbetriebe.
Die staatliche Tarifschlichtungskommission empfahl eine 8prozentige Kürzung der Löhne. Das führte zu erheblicher Unruhe unter den Gewerkschaftern.
Bei einer Urabstimmung in den Betrieben lehnten 90.590 Arbeiter die Schlichtung ab, 5.400 waren dafür. Am 15. Oktober 1930 gingen die Berliner Metallarbeiter in den Streik.
Der Streik endete mit einer Schlichtung, bei der die Lohnkürzung gemildert, aber nicht verhindert wurde.
Doch je länger die Krise dauerte, umso schwächer wurden die Abwehrkämpfe. Anstatt den Kampf zu organisieren, versuchten die Gewerkschaftsführungen, in Verhandlungen das Schlimmste zu verhindern.
Diese Strategie ging so weit, dass die Gewerkschaftsführungen Streiks, die von unten organisiert wurden, nicht unterstützten. So scheiterte im November 1932 ein Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG, weil der Gewerkschaftsverband die Finanzierung verweigerte.
Der Streik war von Kommunisten organisiert worden, fand aber auch unter sozialdemokatischen Arbeitern großen Rückhalt. Diese Unterstützung verspielten die Kommunisten allerdings dadurch, dass sie sich zur Streikunterstützung mit den Nazis zusammentaten.
Der BVG-Streik war das letzte Aufbäumen der Arbeiter gegen die Krise. Zwei Monate später ergriffen die Nazis die Macht – und zerschlugen Gewerkschaften und Tarifverträge. Die Krise des Kapitalismus hat sie groß gemacht; die Bosse, die noch aggressivere Maßnahmen gegen den Sozialstaat wollten, standen hinter ihnen. Brüning hatte durch seine Sparpolitik den Weg gepflastert und die SPD vor der Herausforderung der Krise versagt.

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