"Gewerkschaften müssten Pol des Widerstands sein"

Der Streik der IG Metall für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland endete in einer Niederlage. Linksruck sprach mit Markus Dahms, Betriebsrat bei Siemens Berlin, über Perspektiven für die Gewerkschaft nach dem Streik.

Stichwort: Gewerkschaftsführung

Das Leben der Gewerkschaftsführungen unterscheidet sich deutlich von dem der einfachen Gewerkschaftsmitglieder. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel hat ein Jahresgehalt von 214.000 Euro. Er sitzt im Aufsichtsrat von großen Konzernen wie Mannesmann und bekommt dafür zusätzlich 200.000 Euro pro Jahr an Aufsichtsratbezügen.
Auch sonst leben Gewerkschaftsführer nicht wie einfache Arbeiter. Sie verbringen einen Großteil ihrer Zeit in Treffen mit den Bossen. Ihre Aufgabe ist, mit den Bossen zu verhandeln, um mehr Lohn herauszuholen oder Massenentlassungen abzumildern.
Sie organisieren Kämpfe, um die Bosse zu beeindrucken, aber letztendlich dämpfen sie die Kämpfe, um die Kontrolle nicht zu verlieren.
Denn ohne Kontrolle über die Arbeiter werden die Gewerkschaftsführer von den Bossen nicht als Verhandlungspartner anerkannt.
Das Ergebnis dieser Politik sind Kompromisse, die die Ziele der Arbeiter weit verfehlen.

Markus, der Streik um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland ist verloren. Was denkst über den Abbruch?
Niemand hat Klaus Zwickel dazu berechtigt, diesen Streik für verloren zu erklären. Die Kollegen, die vor Ort mit ungeheurem Einsatz gekämpft haben sind vorher nicht befragt worden. Das ist ein Skandal. Um einen Streik abzubrechen bedarf es der Entscheidung der Tarifkommission und einer Urabstimmung.
Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen hätte der Streik ausgeweitet werden können. Doch vor den politischen Konsequenzen hatte der Vorstand offenbar Angst. Da ist er dann lieber den Streikenden in den Rücken gefallen.

Kritiker des Streiks sagten, die Ost-Metaller führten einen Kampf, der von der Mehrheit der IG-Metall Mitgliedschaft nicht gewollt wurde.
Dem widersprechen die eindeutigen Resultate der Urabstimmung. Wer vor Ort bei den Streikenden war, bei "ZF Getriebe" in Brandenburg oder bei Daimler Chrysler in Ludwigsfelde, konnte die große Unterstützung der Kollegen für das Streikziel sehen.
Vor dem Streik wurde behauptet, in Ostdeutschland seien Streiks überhaupt unmöglich. Doch der Streik wurde in wichtigen Betrieben sehr gut geführt und begann Wirkung zu zeigen. Dann begann die heftige Verleumdungskampagne. Von ZF kamen Berichte, ein Großteil der Belegschaft würde lieber wieder arbeiten. Tatsächlich waren dann zwei Drittel der Kollegen vor dem Werktor. Einige wenige Befristete waren zum Streikbruch gepresst worden, um die gewünschten Fernsehbilder zu liefern.

Die Presse nannte den Ost-Metallerstreik einen „Streik gegen den Standort“. Stimmt das?
Angesichts der tatsächlichen Einkommensverhältnisse im Osten ist dies zynisch. Auch im Metallbereich liegen die realen Verdienste je Stunde noch immer unter 70 Prozent des Westniveaus. Die Produktivität liegt, wenn man entsprechende Betriebsgrößen berücksichtigt, gerade in den Großbetrieben schon über der im Westen. Damit wird im nächsten Jahr eine Lohstückkostenhöhe erreicht, die um 10 Prozent unter der des Westens liegt. Damit droht ein echter Lohndumping-Wettbewerb innerhalb Deutschlands. Die stufenweise Absenkung der Arbeitszeit hätte sogar noch viel zu wenig an Ausgleich gebracht.

Während des Streiks haben Politiker, auch von der SPD, die IG Metall mehrfach zum Einlenken aufgefordert. Warum war dieser Streik so politisch?
Während die IG-Metall einen klassischen und gut begründeten Tarifkonflikt führen wollte, haben Kapital und Regierung offenbar einen politischen Kampf geführt. Es ging darum, nach dem Einknicken der Gewerkschaften bei der "Agenda 2010" nachzulegen. Der durchsetzungsfähigsten Gewerkschaft sollte an einem schwachen Punkt eine Niederlage beigefügt werden. Dadurch soll der Angriff auf den Flächentarifvertrag so richtig in Gang gebracht werden.

Vertreter der Unternehmensverbände forderten während des Streiks öffentlich die Einführung der 40-Stunden-Woche – vor Jahren noch undenkbar. Warum sind die Bosse so aggressiv?
Die Krise des Kapitalismus ist so tief, dass es nicht mehr genügt, Arbeitslose, Rentner oder Arbeiter in schlecht organisierten Bereichen mit Sozialabbau anzugehen. Um in der verschärften Weltmarktkonkurrenz, besonders mit den USA, bestehen zu können, kündigt das deutsche Kapital auch die "Sozialpartnerschaft" mit den besser gestellten Arbeiter- und Angestelltenschichten auf. Der Klassenkompromiss der Nachkriegs-BRD wird jetzt ironischerweise von der ehemaligen DDR aus aufgerollt.

Was für ein Signal ist die Niederlage der IG Metall für die Debatte um die Agenda 2010?
Hätte die IG Metall jetzt den Streik ausgeweitet und einen guten Abschluss erzwungen, wäre dies ein Signal der Stärke gewesen, das unweigerlich auch für den Kampf gegen die Agenda 2010 und der damit verbundenen Sozialraubpolitik ein neues Startzeichen gewesen wäre. Die Niederlage bewirkt natürlich das Gegenteil – Kapital und Regierung fühlen sich zu weiteren Angriffen ermutigt.

Kurz vor Abbruch des Streiks trafen sich die Chefs der Gewerkschaften mit Schröder und verkündeten den Verzicht auf weitere Protestes gegen die 2010. Was hältst du davon?
Die Spitzen unserer Gewerkschaften wollen der Konfrontation mit "ihrer" Regierung ausweichen. Der Zusammenhang des Treffens mit dem Kanzler und dem Verkünden der Niederlage im Ost-Metallstreik am nächsten Tag ist offensichtlich. Eine Streikeskalation unter den Bedingungen der abgesagten Opposition gegen die Regierungspläne hätte nicht ins Konzept gepasst.

Warum diese Kapitulation, nachdem Monate vorher erbitterter Widerstand angekündigt wurde?
Wir als Gewerkschaften kommen angesichts der Tiefe der Krise immer deutlicher ins Fadenkreuz einer aggressiven Politik der Bosse. Gewerkschaften sollen die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Deshalb müssten die Gewerkschaften zu einem zentralen Pol der Opposition gegen die neoliberale Offensive werden. Sie werden von ihren Mitgliedern auch dahin gedrängt.
Doch der gewerkschaftliche Apparat ist eng mit der SPD verknüpft, die selbst die Angriffe auf den Sozialstaat macht.
Deshalb kommt bei der Gewerkschaftsführung nur ein Rumeiern zwischen verbaler Kraftmeierei und kraftlosem Aktionismus heraus. Dies äußert sich im jetzt sichtbar werdenden Richtungskampf, zum Beispiel zwischen den IG-Metall-Vizes Peters und Huber. Die "Modernisierer" machen jetzt die "Betonköpfe" für schwere Niederlagen verantwortlich. Dabei haben sie in den letzten Monaten alles dafür getan, um der Mobilisierung in den Rücken zu fallen.
Auch Gewerkschaftslinke wie Jürgen Peters werden die Gewerkschaften nicht grundlegend ändern. Sie wollten die Sozialdemokratie auf den "rechten Weg" zurück bringen und scheitern damit. Ihnen fehlt die Kraft und Perspektive tatsächlich eine Opposition jenseits der Sozialdemokratie aufzubauen.

Welche Politik wäre notwendig, um die jetzigen Angriffe zu stoppen?
Wir müssen klar machen, dass an der "sozialen Marktwirtschaft" nicht das "Soziale" in die Krise gekommen ist, sondern die "Marktwirtschaft". Die Funktionsfähigkeit des gesamten kapitalistischen Systems steht immer mehr in Frage. Da hilft auch keine Ankurbelung der Binnennachfrage und Konjunkturprogramme mehr.
Diese Krise darf nicht einfach auf unserem Rücken gelöst werden. Als Antwort auf die rücksichtslose Politik des Kapitals brauchen wir eine rücksichtslose Vertretung unserer Interessen. Also eine effektive Aufteilung der Arbeit auf alle durch konsequente Arbeitszeitverkürzung, deren Umsetzung natürlich wir kontrollieren müssen. Wir brauchen eine politische Offensive für radikale Arbeitszeitverkürzung und Grundsicherung, statt einer tarifpolitischen Defensive.

Was wäre notwendig, um diese Politik durchzusetzen?
Eine solche Offensive erfordert Massenstreiks und andere Großaktionen. Das ist mit der gegenwärtigen Gewerkschaftsführung nicht machbar. Dafür brächten wir eine demokratische Gewerkschaft, in der sich eine wirklich kampfwillige Führung durchsetzen kann. Eine Führung, die dann nicht bloß bereit ist, gewerkschaftliche Gegenmacht zur neoliberalen Offensive zu entwickeln, sondern auch zum Kampf gegen das kapitalistische System bereit ist.

Millionen Menschen sind in den letzten Jahren unter dem Slogan „Eine andere Welt ist möglich“ auf die Strasse gegangen, darunter viele Gewerkschafter. Was für eine Rolle kann diese neue Bewegung spielen, um in den Gewerkschaften eine andere Politik durchzusetzen?
Die Konzerne greifen international an. Eine rein nationale Gewerkschaftspolitik, die auf Kompromisse mit Konzernen oder Regierung aus ist, wird immer hilfloser. Zu einer internationalen Antwort haben sich dagegen die nationalen Gewerkschaftsspitzen bisher nicht nennenswert bewegen lassen.
In ganz Europa gibt es ähnliche Angriffe auf soziale Sicherungssysteme, Kündigungsschutz und tarifliche Bedingungen gibt. In Frankreich und Österreich war zu sehen, dass die globalisierungskritische Bewegung ein wichtiger Bündnispartner in den Kämpfen ist. Für die Gewerkschafter, die für eine konsequente und daher auch internationale Offensive gegen die neoliberale Politik eintreten, sind diese Bewegungen der Beweis dafür, dass es ein politisches Leben nach dem Tod der alten Gewerkschaftspolitik gibt.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.