marxismus konkret: Zu viel Leben

Die neuesten Pläne zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit knüpfen an eine lange Geschichte von Attacken der Bosse gegen die Arbeiter an.Der bayerische CSU-Ministerpräsident Stoiber fordert, dass wir wöchentlich drei Stunden zusätzlich arbeiten sollen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Seit einigen Jahren versuchen immer mehr Politiker und Unternehmer, unsere durchschnittliche Wochenarbeitszeit zu erhöhen: In Baden-Württemberg ist der öffentliche Dienst sogar zur 41-Stunden-Woche zurückgekehrt. Die SPD-Sozialministerin Schmidt ist sich mit der Rürup-Kommission einig, das Einstiegsalter für die Rente auf 67 Jahre zu erhöhen.
Diese Vorstöße haben nichts mit Unfähigkeit oder Boshaftigkeit einzelner Politiker zu tun, sondern entsprechen dem Prinzip kapitalistischer Profitmaximierung. Karl Marx beschrieb schon vor über 100 Jahren, wie der Kapitalismus den gesellschaftlichen Fortschritt, etwa steigende Lebenserwartung, in sein Gegenteil verkehrt: "Plötzlich gibt es zu viel Fortschritt, zu viel Zivilisation." Marx erklärte mit seiner Analyse des Kapitalismus auch, warum die Bosse immer weiter Druck machen, um unsere Arbeitszeit zu verlängern.
Einen Teil des Arbeitstages verbringen wir damit, Waren zu produzieren und Dienstleistungen zu erbringen, die dem Wert der an uns gezahlten Löhne entsprechen. Den Rest des Arbeitstages arbeiten wir für den Kapitalisten. In dieser Zeit produzieren wir den "Mehrwert", den sich der Boss in die Tasche steckt. Natürlich gibt es keine Ampel, die nach vielleicht zwei Stunden von Grün auf Rot umschaltet, um anzuzeigen, dass wir jetzt genug für unseren Lohn gearbeitet haben und den restlichen Tag für den Profit des Bosses schuften.
Die Kapitalisten versuchen jedoch ständig, den Teil des Arbeitstages zu verlängern, an dem wir für sie Mehrwert produzieren. Ein Weg um das zu erreichen, ist, den Arbeitstag immer weiter auf Kosten unserer Freizeit zu verlängern. Marx schrieb in seinem hervorragenden Buch "Das Kapital" über die Logik dieses Systems: "Die Zeit, während deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapitalist die von ihm gekaufte Arbeitskraft konsumiert. Konsumiert der Arbeiter seine verfügbare Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapitalisten."
Steigt die durchschnittliche Arbeitszeit, erhöht sich die gesellschaftliche Mehrwertrate – Marx nannte sie auch Ausbeutungsrate. Im "Kapital" beschreibt er die elenden Zustände, welche die Gier nach immer mehr Ausbeutung der Arbeiter für die einfachen Menschen mit sich brachte.
Noch vor 30 Jahren hielt man solche Zustände für überwunden. Es gab einen halbwegs intakten Sozialstaat, sinkende Arbeitszeit und steigenden Lebensstandards. Der technologische Fortschritt hat die Arbeitskraft viel produktiver gemacht, als noch 100 Jahre zuvor. Lange Zeit spotteten viele deswegen über Marx’ Prognose der Verelendung der Arbeiter im Kapitalismus.
Die großen technologischen Fortschritte schienen zu gewährleisten, dass wir weniger Zeit mit Arbeit verbringen müssen, da wir alles Nötige schneller produzieren können. Aber im Kapitalismus wird für den Profit produziert und nicht für unsere Bedürfnisse. Konkurrierende kapitalistische Firmen oder Volkswirtschaften benutzen ähnliche Computer, Werkzeuge und Maschinen. Der einzige Weg ihre Profite zu erhöhen, ist, mehr Mehrwert aus den Arbeitern zu pressen. Marx beschrieb das so: "Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit innerhalb der kapitalistischen Produktion bezweckt, den Teil des Arbeitstages, den der Arbeiter für sich selbst arbeiten muss, zu verkürzen, um gerade dadurch den anderen Teil des Arbeitstages, den er für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern."
Deswegen erleben wir allerorts den Ruf nach "Modernisierung": Längere und flexiblere Arbeitszeiten und mehr Leistungsdruck auf die Arbeiter. Die Lebensarbeitszeit zu verlängern ist nur ein weiterer Vorstoß, um die Ausbeutungsrate für die gesamte Arbeiterklasse zu erhöhen. Denn die Rente ist nur eine verschobene Auszahlung unseres Lohnes. Sie zu kürzen und uns länger arbeiten zu lassen vergrößert den Mehrwert und die Profite der Kapitalistenklasse.
Teile der Schröder-Regierung planen, uns ins vorletzte Jahrhundert zurückzubefördern. 1881 hatte der damalige rechte Reichskanzler Bismarck das Rentenalter auf 70 Jahre gesetzt, obwohl die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern nur bei 40 Jahren lag. Jetzt wollen Politiker, dass wir etliche Jahre länger arbeiten oder im Alter Not leiden, wenn wir nicht früh genug sterben.
Die Schröder-Regierung treibt diese Politik voran, weil sie dem deutschen Kapital aus der Krise helfen will. Das gleiche versuchen jedoch alle Regierungen der Welt, um ihren Konzernen einen Konkurrenzvorteil zu verschaffen. Das Ergebnis ist eine Abwärtsspirale ins Elend – ein Wettlauf um die schlechtesten Lebensbedingungen der Arbeiter.
Die Mehrheit hat bei diesem Irrsinn nichts zu gewinnen. Deswegen ist im Geiste von Marx internationaler Widerstand die einzige angemessene Antwort auf die kapitalistische Standortkonkurrenz.

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