Kommentar: Die Stunde der Basis

Am Höhepunkt der IG Metall-Führungskrise appellierte der noch amtierende Vorsitzende Klaus Zwickel an Betriebsräte und Vertrauensleute, sich in die aktuelle Debatte um die neue Führungsmannschaft einzumischen: "Die ehrenamtlichen Funktionäre in den Betrieben müssen sich stärker einbringen, um die politische Neuausrichtung der Gewerkschaft und die künftige Besetzung der Vorstandsspitze zu beeinflussen.".
Doch Zwickel ist kein Vorkämpfer der gewerkschaftlichen Demokratie. Den Streik in der ostdeutschen Metallindustrie hat er eigenmächtig für "gescheitert" erklärt – ohne die Meinung der Streikenden einzuholen, die vorher in Urabstimmungen mit großen Mehrheiten für Streik gestimmt hatten.
Dieses Auftreten war kein Ausreißer. Demokratische, basisnahe Strukturen in der Gewerkschaft sind in Krisenzeiten des Kapitalismus tendenziell unvereinbar mit einem sozialpartnerschaftlichen Kurs wie ihn Zwickel vertritt.
Die Politik der Gewerkschaften wird im Normalfall nicht von der Basis gemacht. Die freigestellten Betriebsräte vieler Großbetriebe bestimmen zusammen mit den hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären die Meinungsbildung und Politik der Gewerkschaften. Sie dominieren die Tarifkommissionen und die Delegierten der Bezirkskonferenzen.
Diese Art des bürokratischen Stellvertretertums hat in den Jahrzehnten des Aufschwungs dafür gesorgt, dass eine passive Mitgliedschaft keine zu weitgehende oder hohe Forderungen aufstellte. Aufkommende klassenkämpferische Tendenzen wurden mit Gewerkschaftsausschlüssen und anderen Repressalien isoliert wurden. So wirkten die Gewerkschaften als Organe des Arbeitsfriedens.
Dieser Arbeitsfrieden ist aufgrund der sich zuspitzenden Stagnationskrise des Weltkapitalismus immer schwieriger zu halten. Erkämpfte Standards, wie zum Beispiel Flächentarifverträge, die vor Jahren auch von den Bossen noch als sinnvoll verteidigt wurden, werden jetzt vom Kapital in Frage gestellt.
Ein Teil des Gewerkschaftsapparats um Jürgen Peters hält am Flächentarifvertrag fest und wird deshalb von den Medien als "traditionalistisch" diffamiert.
Zwickel hat dagegen schon vor einem Jahr auf einer "Zukunftskonferenz" der IG Metall eine Abkehr vom bisherigen Flächentarif gefordert. "Differenzierung" hieß sein Zauberwort. Ein erfolgreicher Autokonzern wie Porsche müsse die Löhne stärker anheben können als ein mittelständiger Betrieb.
Das freut die Arbeitgeber. In Zeiten steigender Massenarbeitslosigkeit den Metallarbeitgebern darum, eine Spirale nach unten in Gang zu setzen und sich dabei der schwachen Glieder der Kette von Betrieben bedienen zu können.
Jürgen Peters hat gegen Schröders Freunde in der IG Metall den Versuch gemacht, eine Angleichung der Wochenarbeitszeit in Ostdeutschland durchzusetzen. Die bürokratische Art der Durchführung des Streiks im alten Stil zeigt aber die Grenzen einer linken bürokratischen Führung unter den heute herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen.
Die Laufburschen Schröders in der IG Metall hatten den Streik von Anfang an sabotiert. Doch anders als im Lohnstreik der ostdeutschen Metaller 1993 gab es keine "spontanen" Sympathiestreiks und Kundgebungen bei VW und anderen Großbetrieben im Westen.
Nur eine organisierte, und kämpferische Basisbewegung von unten hätte dies gegen den Widerstand von Teilen der Gewerkschaftsbürokratie und gegen sozialpartnerschaftliche Betriebsräte durchsetzen können.
Das gegenwärtige Schisma der IG Metall bietet so gesehen eine Chance: Zwickel und Peters wenden sich an die sonst passiv gehaltene Basis um Unterstützung. In einer breiten Solidaritätsbewegung für Peters und gegen Zwickels Kapitulantentum könnten die ersten Bausteine zu einer kämpferischen und organisierten Basisbewegung in der IG Metall gelegt werden.
Eine umfassende Demokratisierung der Gewerkschaften ist nötig, eine wirkliche Kontrolle der Gewerkschaftspolitik durch eine aktive, kämpferische Mitgliedschaft.

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