Kommentar: Die Rechten und der neue Patriotismus

Nach dem Skandal um den CDU-Abgeordneten Hohmannn versuchte die CDU-Führung abzuwiegeln – Hohmann sei "ein Einzelfall gewesen" und spreche "nicht für die Partei".
Das ist falsch. Die nationalkonservative Strömung, der sich Hohmann zurechnete, hat unter den Rechten Aufwind. Sie ist die rechte Antwort auf die soziale Krise in Deutschland.
Arnulf Baring, rechtskonservativer Historiker, argumentierte in einer Christiansen-Sendung: "Wir brauchen einen neuen Patriotismus."
Jahrzehntelang sei es wirtschaftlich bergauf gegangen, das habe die Bevölkerung an den Staat gebunden. Jetzt, wo es den Menschen schlechter ginge, brauche es eine Rückbesinnung auf nationales Selbstbewusstsein.
Diese Rolle hat Nationalismus seit jeher gespielt: Eine zwischen Arm und Reich gespaltene Gesellschaft unter dem Banner von "Volk" oder "Nation" zu vereinen.
Baring und andere konservative Vordenker der Herrschenden wollen durch die Wiederbelebung des "Patriotismus" den nötigen Kitt beschaffen – Kitt für die Risse einer sozialen Polarisierung, die durch Agenda 2010, Rentenkürzung und Massenarbeitslosigkeit immer größer wird.
CDU-Rechtsaußen Hohmann hatte sich in seiner Rede am "Tag der Deutschen Einheit" am 3. Oktober ganz ähnliche Gedanken gemacht. Das "Wir-Denken" müsse "gestärkt werden." Es sei "bitter für uns, dass diese schwierige Übung ausgerechnet in einer Zeit wirtschaftlicher Stagnation von uns verlangt wird".
Hohmann macht sich "schwere Sorgen" über "eine allgemeine Mutzerstörung im nationalen Selbstbewusstsein" – womit wir wieder bei Barings Patriotismus sind.
Doch die "neuen Patrioten" haben ein Problem: Die ungeheuren Verbrechen der Nazi-Zeit, der Massenmord an 6 Millionen Juden.
Die fortdauernde Beschäftigung mit Auschwitz, mit den barbarischen Folgen von Rassismus und Nationalismus ist ein Gegengift gegen eine neuerliche nationalistische Propaganda. So sieht Hohmann die Ursache des mangelnden Patriotismus als Folge eines "fast neurotischen Beharrens" der politischen Klasse und Wissenschaft "auf der deutschen Schuld" und spricht von einem "Übermaß der Wahrheiten" über die "NS-Diktatur".
Deshalb gibt es seit Jahren eine Denkschule unter den Konservativen, die versucht, einen "Schlussstrich" unter die Vergangenheit zu ziehen – unter die Beschäftigung mit dem Holocaust zu ziehen. Offen den Holocaust leugnen trauen sich meist nur Nazis – die Rechtskonservativen üben sich im verharmlosen oder "relativieren".
Genau das hat Hohmann getan, als er die industrielle Vergasung von 6 Millionen Juden gleichsetzte mit den "von Juden begangenen Verbrechen" unter Lenin und Stalin. Aus diesem Vergleich leitete er auch noch "gleiches Recht" für eine Verurteilung eines "jüdischen Volkes" und eines deutschen Volkes ab. Wobei die Verschwörungstheorie der "jüdisch-bolschewistischen Arbeiterbewegung" tatsächlich aus der untersten Nazi-Schublade stammt.
Dass Hohmann seinen Platz räumen muss, zeigt, dass die Holocaust-Relativierer und neuen Nationalisten bei ihrem Projekt noch immer auf große Schwierigkeiten stoßen und dass die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen noch immer lebendig ist. Das ist gut so.
Doch es heißt, wachsam zu sein: Denn hätte Hohmann wie sein ehemaliger Kollege Henry Nitzsche gegen die "Parasiten" von Asylanten aus der Türkei und "den letzten Al aus der Moschee" seine Stimme erhoben – nichts wäre passiert. Hätte er gegen Kopftuchträgerinnen gehetzt wie Roland Koch – er würde noch in der Bundestagsfraktion sitzen.
Der Antisemitismus ist die am stärksten tabuisierte Spielart des Rassismus – aber nicht die einzige. Wo immer in Nachkriegsdeutschland offener Antisemitismus hochkam, gab es neben Widerstand von unten auch das verlogene Argument, dies schade "Deutschlands Ansehen im Ausland". Dieses Argument dürfte auch bei Hohmann Ausschluss aus der CDU-Fraktion die Ausschlag gebende Rolle gespielt haben.
So rügte der CDU-Vorstand unter dem Druck der öffentlichen Debatte, die durch das Bekanntwerden von Hohmanns antisemitischer Rede losgetreten wurde, zwar Henry Nitzsche, stellte aber zugleich unmissverständlich fest, dass "beide Fälle voneinander zu trennen" seien. So weit, dem offenem Rassismus Nietzsches Konsequenzen Folgen zu lassen, wollte Angela Merkel doch nicht gehen – es gilt schließlich, die Stammtische zu erobern.

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