marxismus konkret: Ist die Diskriminierung von Homosexuellen beendet?

Rot-Grün hat sich auf ein Gesetz zur Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften geeinigt. Wenn dieses Gesetz so beschlossen wird, bedeutet das für zehntausende homosexueller Lebensgemeinschaften eine deutliche Verbesserung. Bei den Sozialversicherungen sollen homosexuelle Partner beitragsfrei mitversichert werden, es gibt ein Unterhaltsrecht und ein gemeinsames Sorgerecht für die Kinder.Aber bedeuten diese geplante Reform tatsächlich einen "entscheidenden Schritt" zur "Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben", wie der grüne Volker Beck behauptet?

Die Reaktion der CDU/CSU macht deutlich, daß die Diskriminierung noch lange nicht vom Tisch ist.


Der CDU-Generalsekretär Polenz hetzt gegen die rot-grünen Pläne: "Sie unterhöhlen den besonderen Schutz für Ehe und Familie."


Die CSU wird noch deutlicher. Generalsekretär Goppel findet die Pläne "völlig absurd" und der Evangelische Arbeitskreis in der CSU erklärt, warum: "Die Familie, und damit der Wille zum Kind, muß gestärkt werden."


Leider ist das nicht einfach die Meinung von ein paar reaktionären orthodoxen Christen – es steckt noch viel mehr dahinter. Die Familie soll zwei Funktionen erfüllen.


Erstens ist die Familie ein Ort, wo Menschen Bestätigung, Trost und Hilfe suchen. Was Marx über die Religion sagte, sie sei das "Herz in einer herzlosen Welt", trifft auch auf die Familie zu.


Dafür wäre allerdings jede Form von "Familie" möglich – homosexuelle Lebensgemeinschaften ebenso wie Gruppengemeinschaften oder eben alles, wie Menschen leben wollen.


Wenn das die einzige Funktion der Familie wäre, könnten Aufklärung und Reformen, wie jetzt von Rot-Grün, die konservative Hetze und das klassische christliche Rollenbild schnell beseitigen – Gleichberechtigung stünde vor der Tür.


Aber im Kapitalismus hat die "Lebensgemeinschaft", die bürgerliche Familie, noch eine andere Aufgabe – die billige Reproduktion.


Die Bosse haben ein Interesse an einer gesunden, ausgebildeten und disziplinierten Arbeiterklasse.


Zukünftige Arbeiterinnen und Arbeiter müssen geboren, aufgezogen und erzogen, die aktuellen Arbeiterinnen und Arbeiter müssen bekocht und versorgt, die Alten und Kranken gepflegt werden – und die Bosse wollen sowenig wie möglich dafür zahlen.


Am billigsten für die Unternehmen ist es, wenn diese Reproduktion von den Arbeitskräften selbst übernommen wird – unbezahlt in ihrer "Freizeit".


Schon 1992 wurden nach Angaben des Bundesfamilienministeriums allein in Westdeutschland 77 Milliarden Stunden unbezahlter Arbeit in Haus und Pflege geleistet – bei durchschnittlicher Bezahlung mit einem Wert von 2,8 Billionen Mark.


Gesetze wie das von der Kohlregierung 1996 beschlossene Pflegeversicherungsgesetz, sollten "die Bereitschaft zu einer humanen Pflege und Betreuung … durch Angehörige, Nachbarn und Selbsthilfegruppen (fördern) und so auf eine Kultur des Helfens und der mitmenschlichen Zuwendung hin(wirken)."



Unentbehrlich


Diese für die Unternehmen und das kapitalistische System unentbehrliche Arbeit wird hauptsächlich von Frauen geleistet, obwohl die Mehrheit der Frauen berufstätig ist.


Je mehr bei öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen gekürzt wird, desto größer wird die Doppelbelastung der Frauen – verstärkt durch die Reallohnverluste der letzten Jahre.


Das konservative Frauenbild von der fürsorglichen Mutter ist für die Bosse doppelt praktisch. Erstens bietet es die ideologische Rechtfertigung für die Doppelbelastung der Frau.


Außerdem können mit dem Argument, die Hauptaufgabe der Frau liege in der Familie, die Löhne für "typische weibliche Tätigkeiten" gesenkt werden – in Deutschland verdienen Frauen im Schnitt pro Stunde immer noch ein Drittel weniger als Männer!


Homosexualität widerspricht dem Rollenbild der bürgerlichen Familie. Deswegen werden die Bosse und ihre Vertreter immer gegen Gleichberechtigung hetzen.


Um eine wirkliche Gleichberechtigung sowohl von Homosexuellen als auch von Frauen durchzusetzen, müßte Rot-Grün die Struktur der bürgerlichen Familie durch staatliche Formen der Reproduktion ersetzen: Kommunale Küchen, Kindergärten, Ganztagsschulen, …


Aber Rot-Grün ordnet sich den Bedürfnissen des Marktes und der Bosse unter und ist nicht bereit, den Konflikt mit den Bossen zu führen, und sie für staatliche Einrichtungen zahlen zu lassen.


Was das in Zeiten von Überproduktionskrisen und verstärkter internationaler Konkurrenz bedeutet, schreibt Anthony Giddens, Vordenker von Schröders "Neuer Mitte": "Die Familie ist die grundlegende Einheit der Zivilgesellschaft."


Der Aufstand der Schwulen und Lesben in der New Yorker Christopher Street vor 31 Jahren ist ein Beispiel, wie wir für unsere Rechte kämpfen können. Die Anfänge einer neuen Politisierung des csd in den letzten Jahren zeigt, daß diese Erkenntnis sich verbreitet.


So stellten die Organisatoren des csd in Rom nach Angriffen durch die Katholische Kirche das Motto auf: "Wir sind viele und bereit, Barrikaden zu bauen!"

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