Der erste Versuch…eine freie Gesellschaft zu erkämpfen

Der Kapitalismus ist wieder in die Kritik geraten. Selbst führende Köpfe der neuen antikapitalistischen Bewegung können sich aber kaum eine Zukunft jenseits des Kapitalismus vorstellen. So sagte Susan George, eine der wichtigsten Theoretikerinnen der Bewegung, sie wisse nicht, "was ,den Kapitalismus stürzen“ am Beginn des 21. Jahrhunderts bedeutet. Falls es passieren sollte, wird es ohne Zweifel immenses Leid bedeuten. Wenn alle Finanzmärkte und Börsen zusammenbrechen sollten und gleichzeitig Millionen Menschen ihren Job verlieren würden, […] würden wir in den Krieg Jeder gegen Jeden geworfen. Eine solche Zukunft gefällt mir nicht besser als die neoliberalen Zukunftsaussichten.“Am 18. März jährte sich das erste Experiment, eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu errichten zum 130. Mal. Die Erfahrungen der 1871 ausgerufenen Kommune sind noch immer aktuell.

Die Pariser Kommune entstand aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870–71. Im Juli 1870 stürzte Napoleon der Dritte, ein Neffe Napoleons, Frankreich in einen Krieg mit dem Deutschen Reich.


Napoleon schickte sein Heer mit aller nationalen Arroganz in den Krieg in dem Glauben, einen schnellen Sieg zu erringen. In Wirklichkeit brach sein Regime innerhalb weniger Wochen zusammen.


Bis zum September hatte die französische Armee kapituliert und Napoleon selbst wurde gefangen genommen.


Die siegreichen deutschen Armeen belagerten nun Paris.


Daraufhin versammelten sich riesige Menschenmengen in Paris, die die Abdankung Napoleons verlangten.


Das Kaiserreich Napoleons brach zusammen, und eine neue republikanische Regierung wurde errichtet.


Diese Regierung, die vorgab eine neue demokratische Regierung im Interesse aller Franzosen zu bilden, handelte vor allem im Interesse der Reichen. In ihrer kurzen Amtszeit versäumten die Regierungsmitglieder nicht, sich zu bereichern. Allein der Regierungschef veruntreute 3 Millionen Francs – zum Vergleich: Der Durchschnittslohn eines Facharbeiters betrug 6.000 Francs.


Vor allem anderen fürchtete sich die neue Regierung vor den Pariser Massen. "Praktisch drehte sich die ganze Verteidigung nur noch um eine einzige Sache: Angst vor einer Rebellion“, so General Ducrot, ein führender General der Republik.


Nicht ohne Grund. Denn die Arbeiter litten am meisten unter der fünfmonatigen Belagerung. Sie mussten Hunde und Ratten verzehren, um zu überleben. Während des Winters starben fast 1.000 Menschen pro Woche an Lungenentzündung.


Unter diesen Bedingungen radikalisierten sich die Arbeiter. Überall entstanden "rote Clubs“, und revolutionäre Zeitungen fanden massenhaften Absatz.


Der Journalist Lissagaray, ein Augenzeuge, schrieb damals: "Ende Dezember öffneten die Entbehrungen den Massen die Augen.“


Die Arbeiter verlangten, Paris selbst verteidigen zu dürfen. Tausende strömten in die Nationalgarde. Die veränderte sich dadurch grundlegend. Offiziere konnten jetzt gewählt werden und waren jederzeit absetzbar.


Am 28. Januar 1871 kapitulierte der Regierungschef Thiers, von der Revolte in Paris erschüttert, vor den Deutschen.


Um die Kapitulation durchzusetzen, versuchte er im März die Nationalgarde zu entwaffnen. Die Regierung konnte nicht offen handeln. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion schickte sie Soldaten, die die Waffenvorräte und Geschütze der Nationalgarde beschlagnahmen sollten. Als die Pariser von der bevorstehenden Entwaffnung erfuhren, strömten tausende Menschen auf die Straße. Ein Offizier beschrieb, was dann passierte: "Die Straßen waren nichts als eine riesen Menschenmenge, in der die Truppen im wahrsten Sinne des Wortes in der Menge ertranken.“ Die meisten Truppen verbrüderten sich mit der Bevölkerung und der Nationalgarde.



 


Als Reaktion auf die versuchte Entwaffnung stürzten die siegreichen Pariser Massen die Regierung. Thiers floh nach Versailles, dreißig Kilometer vor Paris.


Das Zentralkomitee der Nationalgarde übernahm die Macht und erklärte:


"Das Pariser Proletariat hat trotz des Versagens und des Verrats der herrschenden Klasse verstanden, dass die Stunde geschlagen hat, in der sie die öffentlichen Angelegenheiten in ihre eigenen Hände nehmen muss.“


Die Kommune wurde ausgerufen und durch eine Wahl bestätigt. Achtzig Prozent stimmten für die Kommune. In den nächsten 72 Tagen regierte die Kommune Paris. In dieser kurzen Zeit versuchte sie, die Gesellschaft umzukrempeln, selbst wenn viele Maßnahmen nur geplant und niemals umgesetzt werden konnten.


Die Wahl war demokratischer als alles, was wir heute an Demokratie kennen. Jeder konnte an den Entscheidungen teilhaben. Alle Beamten und Mitglieder der Kommune durften nur so viel wie ein einfacher Facharbeiter verdienen – 6.000 Francs im Jahr. Delegierte der Kommune wurden unter die direkte Kontrolle derer gestellt, die sie gewählt hatten. Wenn Arbeiter unzufrieden mit ihrem Abgeordneten waren, konnten sie diesen unmittelbar abberufen und einen anderen wählen. "Die Tradition war zerstört. Etwas Unerwartetes hatte sich auf der Welt ereignet. In der Regierung gab es kein einziges Mitglied der herrschenden Klassen“, so beschreibt Arthur Arnould die Mitglieder der Kommune.


Das erste Dekret der Regierung war die Abschaffung aller stehenden Heere und ihre Ersetzung durch Arbeitermilizen.


Arbeiter verbrannten öffentlich die Guillotine und rissen nationale Statuen nieder. Als Zeichen ihres Internationalismus wurde mitten im Krieg mit dem deutschen Reich ein Deutscher, Leo Frankel, zum Arbeitsminister gewählt. Zwei Polen wurden an die Spitze der Armee gestellt.


Die Kommune stand vor ungeheuren Schwierigkeiten. Fünf Monate Belagerung hatten Paris ausgezehrt. Nach der Ausrufung der Kommune hatten die meisten Beamten Paris verlassen. Die Arbeiter von Paris waren auf sich selbst gestellt. "Und so mussten wir alles von A bis Z neu schaffen und wieder einrichten, angefangen vom Registrieren der Geburts- und Sterbefälle bis zur Reinigung und Beleuchtung der Straßen“, so ein Mitglied der Kommune. Innerhalb kürzester Zeit organisierten die Arbeiter das Leben in Paris neu. Jeden Tag besorgte die Kommune 675.000 Franken. Insgesamt mussten 250.000 Menschen ernährt werden. Schon nach 48 Stunden wurde die Post wieder ausgetragen und die Telegrafen funktionierten wieder – mit dem Unterschied, dass die Arbeiter den doppelten Lohn erhielten.


Die Kommune führte zum Betriebsräte in allen staatlichen Betrieben ein. Gewerkschaften wurden erlaubt und zum ersten Mal sicherten Tarifverträge das Auskommen der Arbeiter über konjunkturelle Schwankungen hinweg. Fabriken, die wegen der Flucht der Besitzer geschlossen waren, wurden wieder eröffnet und Arbeitergenossenschaften übergeben.


Die Kommune veränderte das Leben der Menschen und die Atmosphäre in der Stadt. "Niemals hatte Paris eine so vollkommene Ruhe genossen und niemals war es in materieller Hinsicht so wenig gefährdet. Es gab keine Gendarmen, keine Richter und keine einzige Straftat! Alle achteten selbst auf ihre Sicherheit und auf die Sicherheit der anderen“, so Arthur Arnould.


Bildung, die vorher einer winzigen Minderheit vorbehalten war, wurde jetzt zum Allgemeingut erklärt. Jedem wurde der freie Zugang zu Büchern, Papier und Materialien gewährt. Es wurde sogar der Versuch unternommen, eine polytechnische Schule zu eröffnen, in der die Kinder eine umfassende Bildung erhalten sollten. Eine Abteilung für Gesundheit wurde eingerichtet, die sich um die medizinische Versorgung kümmern sollte.


Die Kommune trennte Kirche und Staat. Die großen Ländereien und Gebäude der Kirche wurden beschlagnahmt und öffentlich zugänglich gemacht. Die Priester waren nun von den Gaben ihrer Gläubigen abhängig.


Richter und alle anderen wichtigen Beamten wurden gewählt und waren der Kommune rechenschaftspflichtig. Die Kommune schaffte die berüchtigte "Sittenpolizei“ ab, die in Arbeiterbezirken ihr Unwesen trieb.



 


Gerade als die Arbeiter zeigten, wie eine neue Gesellschaft aussehen könnte – vor allem friedlich – bereitete sich die herrschende Klasse auf ein Blutbad vor.


Sie war bereit, Brutalität und Gewalt anzuwenden und die Arbeiterregierung zu schlagen.


Am 28. Mai, nach 72 Tagen Kommune, betraten die Thiers Truppen Paris. Tragischerweise hatten die Führer der Kommune unterschätzt, mit welcher Härte die Herrschenden bereit waren, ihre Macht zu verteidigen. Sie griffen nicht von selbst die Truppen Thiers an, als diese noch in der Defensive waren. So konnte die bürgerliche Regierung Zeit gewinnen und Truppen aus dem ganzen Land sammeln, um die Kommune zu unterdrücken.


Obwohl die Kommune Frauen kein Wahlrecht gegeben hatte, gehörten Frauen oft zu den mutigsten Verteidigern der Kommune. Immerhin hatte die Kommune eine Art Frauenministerium eingerichtet, das Frauen organisierte und ihnen Verwaltungsbereiche unterstellte. Sogar Frauengewerkschaften waren geplant.


Eine der bekanntesten Führerinnen der Kommune-Frauen erklärte später vor Gericht: "Ich gehöre vollständig zur sozialen Revolution. Wenn heute jedes Herz, das für die Freiheit schlägt, nur noch das Recht auf einen Klumpen Blei hat, dann verlange ich meinen Anteil. Töten Sie mich! Wenn Sie mich leben lassen, werde ich nicht aufhören, nach Rache zu schreien und die Mörder anzuprangern.“


Die Herrschenden nahmen die Stadt in einer Orgie der Gewalt. Dreißigtausend Menschen, die an dem Aufstand teilgenommen hatten, wurden innerhalb einer Woche ermordet. Selbst die Times, ein bürgerliches Blatt, berichtete: "Die Versailler Truppen schossen wild um sich und spießten Gefangene, Frauen und Kinder auf. Soweit wir die Geschichte überblicken, gab es nichts Vergleichbares.“ Die herrschende Klasse stellte die Ordnung wieder her. "Die Ordnung herrscht wieder in Paris“, so Lissagary. "Überall Ruinen und Tote. Derweil kannte die Freude der bürgerlichen Viertel keine Grenzen. Elegante und fröhliche Frauen machten sich einen Jux daraus, Leichen mit ihren Regenschirmen zu traktieren.“


Trotz ihrer Niederlage war die Kommune eine riesige Errungenschaft.


"Das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune, wird ewig gefeiert werden als ruhmvoller Vorbote einer neuen Gesellschaft“, schrieb Karl Marx.

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