Kommentar: Die Linke und der Krieg

Die Gründe für den Zusammenbruch der klassischen,
rot-grün geführten Friedensbewegung sind unterschiedlich.
Leute wie Gerhard Schröder, Rudolf Scharping und Joseph Fischer
haben eine Entscheidung getroffen. Sie stehen an der Spitze der
zweitstärksten imperialistischen Macht der Welt und handeln
entsprechend.

Fischer und Co. wissen ihre Vergangenheit als Friedenskämpfer
allerdings in eine offensive Waffe der Kriegspropaganda zu verwandeln.

Das gipfelt, nach der Gleichung Milosevic = Hitler,
nun in einem Vergleich des Krieges in Serbien mit dem spanischen
Bürgerkrieg gegen die Franco-Faschisten.

Die in dieser Argumentation angelegte Verharmlosung
von Faschismus und Holocaust wurde von KZ-Überlebenden ausgiebig
kritisiert. Natürlich ist Milosevic ein Mörder, Nationalist
und Kriegstreiber. Das macht ihn genauso wenig zu einem neuen
Hitler, wie einen Suharto, Pinochet, Ecevit oder Hussein.

Hitler war Führer der zweitgrößten
Industrienation seiner Zeit. Milosevic ist Diktator einer viertklassigen
Regionalmacht.

Während Hitler 6 Millionen Juden maschinell
vernichtete, bleibt die NATO die Beweise für Massenvergewaltigungen
und Konzentrationslager der Serben bis heute schuldig.

Dennoch gehen vor der Hitler-Parallele auch über
jeden Zweifel erhabene Linke wie Salman Rushdie, Günter Grass
und Erhard Eppler in die Knie. Sie unterstützen unter dem
zusätzlichen Druck des Flüchtlingselends im Kosovo öffentlich
die Bomben auf Belgrad.

Übel

Kurt Tucholsky führt in seinem Gedicht "Worauf
man stolz ist in Europa" auf: "… als Sozialdemokrat
Schlimmeres verhindert zu haben" Diese Strategie des kleineren
Übels ist seit jeher der Mechanismus, mit dem die Führung
der SPD reformorientierte Linke wie Günter Grass ins Boot
zu holen versucht.

Erst wird mit großem Aufwand eine angeblich
zwingende Alternative konstruiert: Wir müssen dies tun, um
jenes zu verhindern! Diese Alternative wird dann zu einem moralischen
Dilemma ersten Ranges ausgebaut, die Führung stellt öffentlich
"Unbehagen", "Bauchschmerzen" oder gar "innere
Zerrissenheit" zur Schau und versucht so, die Linke für
die gewollte Lösung zu gewinnen.

Bereits der Zusammenbruch des sozialdemokratischen
Antimilitarismus bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 folgte
exakt diesem Muster.

Heute lassen sich erneut zahlreiche Linke in einen
vermeintlichen Widerspruch manövrieren: Den zwischen "Nie
wieder Krieg" und "Nie wieder Auschwitz".

Um Völkermorde zu verhindern, so die Argumentation
der Ex-Pazifisten, müsse man den Krieg als kleineres Übel
in Kauf nehmen.

System

Das stellt die Angelegenheit auf den Kopf. Als die
Überlebenden der KZs nach 1945 die Lehren ihrer Leiden in
der Doppelparole "Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!"
zusammenfaßten, lag dem die Überzeugung zugrunde, daß
beides eine gemeinsame Quelle hat – das kapitalistische System!

Durch das Prinzip "Großer Fisch frißt
kleinen Fisch" werden die Kapitaleinheiten tendenziell immer
größer. Aus Tante Emma wird Tengelmann, aus dem Manufakturbetrieb
wird Daimler-Chrysler.

Diese Großkonzerne haben natürlich ganz
andere Möglichkeiten, ihren Nationalstaat für ihre Interessen
einzuspannen. Der Staat wird instrumentalisiert, um dem eigenen
Kapital im Konkurrenzkampf gegen das Kapital anderer Staaten beizustehen.

Meist findet diese staatliche Unterstützung
in Form von Diplomatie, Verträgen oder Kreditspritzen statt.
Aber: Je tiefer die kapitalistische Krise, desto härter der
Kampf um Absatzmärkte.

Krisenzeiten begünstigen deshalb nicht nur die
Entstehung von Diktaturen im Innern. Es nimmt auch die Gefahr
zu, daß die ökonomische Konkurrenz zwischen Firmen
als militärische Konkurrenz zwischen "ihren" Staaten
ausgetragen wird.

Auch hier wirkt das Konkurrenzprinzip: Zeigt der
eine Staat, daß er sich mit seinen Waffen durchsetzen kann,
werden die anderen gezwungenermaßen nachziehen und aufrüsten.

Das Ende dieser Eskalation ist, was als "totaler
Krieg" bekannt ist: Die Konkurrenz um Produktionsmittel (z.B.
Maschinen) schlägt um in eine Konkurrenz um Destruktionsmittel
(Waffen).

Alternative

Es ist das Unvermögen, den Konflikt in Serbien
in das allgemeine Bild von weltweiter Krise, wachsender Instabilität
und immer härterem Konkurrenzkampf zu integrieren, das ein
ganzes Segment der Linken dem künstlichen Dilemma "Krieg
oder Auschwitz" ausliefert.

Aber auch viele Kriegsgegner sind verunsichert und
verwirrt. Sie sind zwar gegen den Krieg der NATO. Mit ihren Alternativen
(z.B. "länger verhandeln") können sie aber
kaum sich selbst überzeugen.

Selbstredend erfordert die Lage, daß Kriegsgegner
ohne Wenn und Aber an einem Strang ziehen müssen, um der
Eskalation Einhalt zu gebieten.

Nur ein Verständnis der im Kapitalismus grundsätzlich
angelegten Kriegsdynamik ermöglicht es aber, zu einer klaren
Alternative zu kommen: Denn der Kapitalismus hat in allgemeiner
Hinsicht weltweit gleiche Bedingungen geschaffen: In jedem Land
gibt es eine winzige Minderheit, die entscheidet und besitzt und
eine Mehrheit, die für diese Profite arbeitet oder hungert
oder gegebenenfalls im Krieg verreckt.

Die Antwort auf den Krieg ist deshalb nicht die Forderung,
die Herrscher aller Länder sollten besser, vernünftiger
oder geduldiger verhandeln. Die Antwort ist die Vereinigung der
Beherrschten aller Länder gegen die Kriegstreiber und der
gemeinsame, internationale Kampf gegen ihr System.

Auf dieser politischen Grundlage kann eine neue revolutionäre
Linke entstehen. Sie wird entstehen müssen, wenn der Wahnsinn
gestoppt werden soll.

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