Kann der Krieg die afghanischen Frauen befreien?

Außenminister Fischer hatte zur Eröffnung der UN-Konferenz über Afghanistan die Verbesserung der Stellung der Frau als eines der vorrangigen Aufgaben einer Nachtalibanregierung bezeichnet. Viele Menschen hoffen, dass dieses Versprechen nun eingelöst wird. Sie könnten bitter enttäuscht werden.

Die neuen Verbündeten des Westens um die ehemalige Nordallianz haben zu keinem Zeitpunkt einen Krieg um Frauenrechte geführt. Außenminister Abdullah stellte bereits klar, dass ungeachtet der zwei von Frauen geführten Ministerien das rigide islamische Gesetz der Sharia bestehen bleibt. Der neue Innenminister Qanuni verbot in diesem Geist als eine der ersten Amtshandlungen im November eine Demonstration der neugegründeten Union der Frauen Afghanistans im „befreiten“ Kabul.


Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan und Deutschland haben vor der Bonner Konferenz gegen die bloße Alibifunktion der drei delegierten Frauen demonstriert. Eine Sprecherin der Vereinigung revolutionärer Frauen Afghanistans RAWA erklärte: „Wir haben die Verbrechen der Nordallianz gegen die Frauen, die Vergewaltigungen und die Folterungen nicht vergessen, als sie an der Macht waren (zwischen 1992 und 1996).“


Das uns in den Medien vermittelte Bild, dass die Frauen jetzt wenigstens die Totalverschleierung, die Burka, abwerfen können, ist irreführend. Die Burka war in den von der Nordallianz gehaltenen Gebieten genauso selbstverständlich wie unter den Taliban. Der britische Journalist Chris Stephens beschrieb unmittelbar nach dem Fall Kabuls, wie ausländische Fotographen afghanischen Frauen Geld dafür zahlten, dass sie die Burka abnahmen. Nur, um sich nach dem geschossenen Foto erneut zu verhüllen. Heute ist auch das vergessen. Fernsehbilder aus den Elendsgebieten zeigen bei jeder medienträchtig dargestellten Hilfsgüterverteilung ganz nebenbei ausschließlich vollständig verhüllte Frauen.


Die gesamte Vorstellung, Frauenbefreiung ließe sich von außen herbeibomben, ist an sich absurd. Die soziale Stellung der Frau begann sich in Afghanistan massiv mit dem Krieg nach dem Einmarsch der russischen Armee 1979 zu verschlechtern. Der Krieg hat Familien durch Tod und Flucht zerrissen. Die Luftwaffe warf Zigtausende kleiner Streubomben über das Land, die Spielzeug ähnlich sahen, um Kinder zu verstümmeln. Die Zuflucht zu traditionellen religiösen Werten vermittelte ein Gefühl der Sicherheit in einer Welt des materiellen Elends und der sozialen Entwurzelung.


Mit dem Rückzug der russischen Armee fiel die Allianz der sie bekämpfenden Mudschaheddin auseinander. Jede Stadt, die von einer der nun verfeindeten Milizen eingenommen wurde, durchlebte die Barbarei systematischer Massenvergewaltigung von Frauen und Jungen. Als die Taliban 1996 die Macht übernahmen, empfanden viele Afghanis zunächst Erleichterung über das Ende der anarchischen Herrschaft verfeindeter Banden von Plünderern und Vergewaltigern. Dies entschuldigt nicht ihr Regime. Aber es erklärt, warum sie ihre unterdrückerischen Verhaltensmaßregeln gegenüber der Bevölkerung durchsetzen konnten.


Der Krieg der USA hat die vergangenen Erfahrungen in einer noch kürzeren Zeitspanne wiederholt. In der Region um Kandahar hat Gul Agha mit Unterstützung der USA die Macht übernommen. Viele Menschen flüchten vor den Truppen des Mannes, der bereits vor den Taliban Kandahar beherrschte und plünderte. „Vergewaltigung und Raub waren allgegenwärtig,“ so der Journalist Paul Harris. „Es ist die Aussicht auf die Rückkehr solcher Männer, die bei vielen der Flüchtlinge die Hoffnung auf eine möglichst lange Talibanherrschaft hervorrief.“ Als die Stadt Khalat für kurze Zeit von den Taliban zurückerobert wurde, nachdem die neuen Verbündeten des Westens erneut den Basar geplündert hatten, haben die Einwohner jubelnd deren Einzug begrüßt.


Die Flächenbombardements durch die USA haben die Zivilbevölkerung völlig unabhängig von Alter und Geschlecht getroffen. Sie haben Elend und Verderben über die Familien gebracht. Auf dieser Grundlage können die Frauen in Afghanistan nicht befreit werden. Denn deren Befreiung hängt zuallererst von einer massiven materiellen Verbesserung der Lage ab. Erst die würde es der Masse der armen Frauen überhaupt ermöglichen, für ihre eigenen Rechte einzutreten. „Im Westen sind viele auf die Frage der Burka fixiert,“ so Sima Wila, eine der weiblichen Delegierten in Bonn. „Sie ist das Symbol der Unterdrückung der Frau, und doch nur eines von vielen Übeln im Leben der Afghaninnen. In erster Linie müssen wir für das Recht auf Bildung, auf Arbeit auf Gesundheit und Ernährung kämpfen.“


Genau diese Probleme hat der jüngste Krieg mit der Zerstörung sozialer Beziehungen aber weiter verschärft. Afghanistan hat mit 1,7 % die höchste Sterblichkeitsrate gebärender Mütter in der Welt. Verhütung ist unzugänglich. Ein Viertel aller Kinder sterben in den ersten fünf Lebensjahren. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen beträgt 45 Jahre.


Keine Art der Befreiung kann vom westlichen Imperialismus von oben eingeführt werden. Die gesamte Entwicklung Afghanistans der letzten zwanzig Jahre verdeutlicht, dass ihre Kriege die Stellung der Frau fortwährend verschlechtert haben. Die Bonner Konferenz hat aber genau dieses zu verwischen versucht.

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