Schröder-Tour: Der Abbau Ost geht weiter

"Bei meiner Sommerreise durch die fünf neuen Bundesländer habe ich gespürt, dass auch dort an vielen Orten wirtschaftlich positive Signale zu erkennen sind", wird Gerhard Schröder in der SPD-Zeitung "Vorwärts" zitiert. Sein Besuch in Vorzeige-Unternehmen knüpfte an Kohls blühende Landschaften an. Auf den Osten ist er stolz – wenn er Profite macht. Für die gefährliche Mischung aus Sozialabbau, Arbeitslosigkeit und Rassismus, den Nährboden der rechten Gewalt, mochte der Kanzler aber keine Verantwortung übernehmen.

Die von Schröder besuchte EKO-Stahl AG hat mit 3.000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von 1,5 Mrd. DM. Ursprünglich hatte dieser Betrieb vier mal so viel Beschäftigte – wo sind die geblieben? Die jüngsten Arbeitslosenzahlen geben darüber Aufschluss: Im August betrug die Arbeitslosenrate in Ostdeutschland 17 %, mehr als doppelt so viel wie im Westen (7,4%). Auch für die Zukunft der Jugend sieht es düster aus: Im Osten kommen auf eine Lehrstelle zwei Bewerber.


Billiglohnstandort


Die katastrophale Lage hat ihre Wurzeln im Kohlschen Kahlschlag. Nach der Wende wurden innerhalb weniger Jahre drei Viertel der Industriearbeitsplätze vernichtet. Hand in Hand mit der Regierung nutzten die Unternehmer die Lage zur Etablierung eines Billiglohnstandortes.


1999 lagen die Löhne der ostdeutschen Arbeiter und Angestellten trotz längerer Arbeitszeiten von 1,5 bis 3 Stunden bei nur knapp 75 Prozent der westdeutschen Kolleginnen und Kollegen. Erst Mitte September entschied das Bundesverfassungsgericht, diese Ungerechtigkeit sei zulässig. Inzwischen sind nur noch 26 % der Unternehmen im Osten tarifgebunden – und in diesen Betrieben arbeitet mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer!


Diese Tendenz schadet auch den westdeutschen Kollegen, denn so höhlen die Unternehmer die Tarifverträge aus. Manchmal bestehen innerhalb eines Unternehmens verschiedene Tarife – das nährt Konkurrenz und Spaltung und verhindert so einen gemeinsamen Widerstand.


Kein Ende vom Abbau


Nach der vor allem im Osten gewonnen Bundestagswahl erklärte Schröder den Aufbau Ost zur Chefsache. Was ist seitdem geschehen? Das Sofortprogramm für 100.000 zusätzliche Ausbildungsplätze führte zu einer Absenkung der Jugendarbeitslosigkeit (unter 20 Jahre) auf 8,2 %. Reine Kosmetik, denn die Mehrheit der Azubis bildet der Staat aus – ohne ihnen Chance auf einen Job zu geben . Das Wahlversprechen, die Unternehmer für die Ausbildung zur Kasse zu bitten und eine Übernahme zu garantieren, löste Schröder nicht ein. Auch von dem Versprechen, eine Vermögenssteuer einzuführen, will der Kanzler nichts mehr wissen.


Statt dessen zieht sich der Staat zurück, beschenkt die Unternehmen und kürzt die Ausgaben für uns. Die ABM-Maßnahmen in Ostdeutschland, oft die letzte Möglichkeit für eine Beschäftigung, kürzte Rot-Grün von 167.771 (1999) auf 136.530 in diesem Jahr. Der öffentliche Dienst gehört zu den größten Arbeitsplatz-Vernichtern. Bei der diesjährigen Tarifrunde stellte sich das rot-grüne Kabinett gegen eine schnelle Angleichung der Ost-Löhne an das West-Niveau.


Eine neue Wende


Diese Politik hat zunehmend Unmut erzeugt. Fast 60 Prozent aller Ostdeutschen finden nach einer Umfrage, dass Schröder zu wenig für den Osten tut. Bei allen Einheitsfeiern werden die Politiker nicht verdecken können, dass Deutschland noch nie so gespalten war wie heute – gespalten in Arm und Reich. Ob Ost oder West: Überall wächst die Einkommenslücke. Nach einer Armutsforscherin verfügen die oberen zehn Prozent der Haushalte "über fast die Hälfte des Gesamtvermögens in Deutschland", während die Hälfte der Haushalte nur vier Prozent des 12-Billionen-Vermögens besitzt.


Schröder rief uns auf, das "Geschaffene nicht von den Glatzen kaputtmachen zu lassen". Aber es ist seine Politik, die die Lebensgrundlage von immer mehr Menschen zerstört! Ohne ihnen eine Perspektive zu bieten, überläßt er die Opfer der Neuen Mitte den Nazis. Gegenwehr regt sich im Moment anderswo: Unternehmer, Spediteure und Lastwagenfahrer machen Druck auf der Straße, um die Regierung in die Knie zu zwingen. In Frankreich war das erfolgreich. Die deutschen Gewerkschaften sollten davon lernen. Sie sollten ihre Mitglieder auf die Straße bringen, um dem Abbruch Ost endlich Paroli zu bieten und den Nazis die soziale Grundlage zu entziehen.

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