Wie kann es Frieden geben?

Der Nahostkonflikt hat seit dem Beginn der neuen Intifada über 350 Menschen das Leben gekostet, davon waren etwa 320 Palästinenser. Die Berichterstattung in den deutschen Medien erweckt den Eindruck, dieser brutale, mit Bomben, Kampfhubschraubern und Armee ausgetragene Konflikt würde nur bestehen, weil Politiker sich nicht über einen Frieden einigen könnten.

Dabei wird dem Israelischen Premier Ehud Barak der unbedingte Wille zum Frieden unterstellt. Die Frankfurter Rundschau schrieb: "Mag der öffentliche Druck auf ihn (Barak) noch so wachsen, er will es wissen: Ist der Palästinenser-Präsident zu einem abschließenden Geschäft fähig oder nicht?"

Dem Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Yassir Arafat hingegen wird die Schuld in die Schuhe geschoben. Unter dem Titel "Arafats Zögern lässt Nahost-Gipfel platzen" schreibt die Frankfurter Rundschau: "Mit der Absage des Gipfeltreffens in Ägypten haben die Bemühungen um den Frieden im Nahen Osten abermals einen Rückschlag erlitten."



Nahost


Aber so einfach ist es nicht. Der Krieg um Palästina ist Teil eines viel größeren Konfliktes, eines Konfliktes um Öl, um die Energieversorgung der westlichen Industrienationen.


Rund um den Persischen Golf liegen nach vorsichtigen Schätzungen über 40 Prozent der weltweiten Ölvorräte.


Der gerade gewählte US-Präsident George Bush verdeutlichte am 2. Februar bei der Vorstellung seines Energieministers Added Abraham, worum es in der Region geht. Der Eckpfeiler der US-Diplomatie sei, "mit unseren Freunden in Nahost zusammenzuarbeiten, besonders wenn es um Energie geht.


Senator Abraham ist bereit, mit uns gemeinsam die Energiesicherheit der Vereinigten Staaten zu erstreben. Nationale Sicherheit hängt von Energiesicherheit ab."


Und Abraham fügte hinzu: "Viele wichtige Aufgaben stehen dem Energieministerium bevor. Sie reichen von ausreichendem Nachschub bis zur Bezahlbarkeit, der Sicherung unserer Anlagen und vielem mehr."



Freunde


"Unsere Freunde in Nahost", mit denen gemeinsam die US-Diplomatie diese Aufgaben meistern will, sind brutale arabische Diktaturen.


In Jordanien herrscht immer noch die von der Britischen Kolonialmacht eingesetzte Haschemiten-Dynastie. In den wichtigsten Verbündeten des Westens (was Öl betrifft), Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), ist von Demokratie keine Spur.


Der mit dem Westen befreundete ägyptische Präsident Mubarak kann sich nur an der Macht halten, weil jeder vierzehnte Erwerbstätige in Unterdrückungsorganen wie Polizei, Armee und Geheimdiensten arbeitet.


Von insgesamt 5,6 Milliarden Mark Wirtschaftshilfen zahlte die US-Regierung im Jahr 2000 ganze 4,8 Milliarden an ihre "Freunde" in Nahost.


Dazu kommen noch die Militärhilfen, Geldgeschenke für Waffenkauf: Von insgesamt 9,6 Milliarden Mark gingen 9,2 Milliarden in den Nahen Osten.


1999 lieferten die USA alleine an Saudi-Arabien Waffen im Wert von etwa 11 Milliarden Mark. Deutschland lieferte Leopard-Panzer an Saudi-Arabien und Fuchs-Spürpanzer an die VAE. Unter Rot-Grün wurden 1999 Rüstungsgüter im Wert von 336,7 Millionen Mark an die VAE verkauft.



Unterdrückung


Millionen arabischer und palästinensischer Arbeiter in der Ölförderung, der Ölverarbeitung, dem Transport, den Zulieferern und allem, was zu einer funktionierenden Wirtschaft dazugehört, und ihre Familien werden in absoluter Armut gehalten.


Diese Arbeiter dürfen keine Gewerkschaften oder eigene Parteien gründen, jeder Versuch, ein wenig von dem gigantischen Ölreichtum abzubekommen, wird brutal verhindert.


Die Wut vieler Araber richtet sich gegen die Regime, die sie unterdrücken, und die westlichen Regierungen, die mit Finanzhilfen und Waffen diese Unterdrückung ermöglichen.


Die Geschichte des Nahen Ostens ist voll von Aufständen gegen die westliche Vorherrschaft und deren Klientelstaaten.



Blut für Öl


In den Fünfzigern kam im Irak eine Partei an die Macht, die den Ölreichtum des Landes für sich beanspruchen wollte. Der US-Geheimdienst CIA unterstützte einen Putsch. So ist die Baath-Partei 1963 an die Macht gekommen – ihr zweiter Vorsitzender damals: Saddam Hussein.


Als der Iran 1979 nach einer Revolution die britischen und amerikanischen Ölanlagen verstaatlichte, rüstete der Westen den Irak für einen Krieg gegen den Iran auf – irakischer Diktator: Saddam Hussein. Deutschland lieferte ihm damals Giftgasfabriken.


Nachdem Hussein 1987 Giftgas gegen einen Kurdenaufstand im Nordirak einsetzte, meinte der Sprecher des US-State-Department: "OK, er ist ein Bastard. Aber er ist unser Bastard."


Als aber nun Hussein 1990 das Ölscheichtum Kuwait besetzte und damit gegen westliche Interessen verstieß, wurde der Selbe plötzlich zum "neuen Hitler" erklärt.


Es folgte die Bombardierung des Irak, die über 100.000 Zivilisten tötete. An den Folgen der UN-Sanktionen gegen den Irak starben, nach Angaben des früheren Irak-Beauftragten der UN, dem Amerikaner Scott Ritter, über eine Millionen Menschen – Hussein ist immer noch an der Macht.



Israel


Den besonderen Hass der arabischen Arbeiter hat sich allerdings Israel zugezogen.


Israel ist der wichtigste Verbündete des Westens in der Region, ein militärischer Vorposten. Immer wenn sich arabische Nationalbewegungen gegen die Vorherrschaft des Westens auflehnten, stand Israel für militärische Gegenschläge bereit.


Israel unterstützte Frankreich 1954 im Krieg gegen Algerien. 1956 griff Israel gemeinsam mit britischen und französischen Truppen Ägypten an, weil der ägyptische Präsident Nasser den Suezkanal verstaatlichen wollte.


1967 verhinderte Israel mit einem Blitzkrieg den Zusammenschluss von Ägypten, Syrien und Jordanien zu einer gemeinsamen antiwestlichen Nationalbewegung.


1981 bombardierte Israel ein irakisches Atomkraftwerk, um selber die einzige Atommacht der Region zu bleiben. Zehn Jahre später erklärte der US-Verteidigungsminister Richard Cheney:


"Viele Male während der Vorbereitung auf den Golfkrieg war ich dankbar für diese entschlossene und dramatische Aktion vor zehn Jahren. Die Vereinigten Staaten werden weiterhin die militärische Überlegenheit Israels über alle potentiellen Feinde garantieren. Strategische Kooperation mit Israel bleibt eine Säule amerikanischer Verteidigungspolitik."


Kurze Zeit später wechselte Cheney in den Vorstand eines Ölkonzerns. Jetzt wird er unter Bush Vizepräsident.


Die Israelis allerdings zahlen einen hohen Preis dafür, der Hilfstrupp des Westens zu sein. In keinem Staat der Welt sind Juden so gefährdet, wie in Israel.



Frieden?


Mit dem Aufstand der Palästinenser hat die Wut der arabischen Arbeiter einen Kristallisationspunkt bekommen. Solidarität mit den Palästinensern ist weit verbreitet – es geht gegen den selben Gegner: Israel und den Westen.


Die neue Intifada hat eine Welle von Solidaritätsdemos ausgelöst. In den ersten Wochen waren es über 300 allein in Jordanien – trotz Verboten. In Jordanien und Ägypten werden täglich pro-palästinensische Aktivisten verhaftet.


Der scheidende US-Präsident Bill Clinton fürchtet einen anti-westlichen Flächenbrand in der Region. Das ist der Grund für die anhaltenden Friedensbemühungen.


Aber die Rückkehr der von Israel 1948 Vertriebenen und ihrer Nachkommen, insgesamt 3,5 Millionen Palästinenser, in das Gebiet des heutigen Israel will Clinton um jeden Preis verhindern.


Dadurch würden die pro-westlichen Zionisten in die Minderheit geraten – Israel würde aufhören, Vorposten westlicher Interessen zu sein.


Clinton und Barak wollen keine Gerechtigkeit. Sie wollen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) zu einem weiteren arabischen Verbündeten des Westens machen. Sie soll den palästinensischen Widerstand brechen.


Deswegen unterstützte die EU Arafats Verwaltung 1999 mit 100 Millionen Mark, während im gleichen Jahr alleine Rot/Grün Waffen im Wert von 377 Millionen Mark, im Jahr 2000 für 900 Millionen Mark an Israel verkaufte – beides ist Teil der selben Strategie.



Intifada


Der einzige Grund, warum Arafat dem bisher nicht zustimmt und einen Friedensplan unterschreibt, ist die Intifada. In sieben Jahren "Friedensprozess" haben die Palästinenser gelernt, dass es nicht um Gerechtigkeit oder ihre Lebenssituation geht.


Und die Intifada hat den Palästinensern Mut gegeben, ihre Wut und Verzweiflung nicht mehr zu unterdrücken. Sollte Arafat einen faulen Kompromiss unterschreiben, würde die Intifada ihn wegfegen.


Gerechtigkeit und Frieden kann es erst geben, wenn die arabischen Arbeiter den ungeheuren Reichtum der Region selber kontrollieren können, wenn die westlichen Truppen und ihre Helfershelfer verschwunden sind.


Aber sie werden nicht freiwillig gehen. Und weil sie bis an die Zähne bewaffnet sind, wird die Intifada sie nicht vertreiben können.


Nur ein gemeinsamer Aufstand der arabischen Arbeiter mit den Palästinensern gegen die Diktaturen und den westlichen Einfluss kann Frieden im Nahen Osten bringen.

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