Wahlen im Iran: Mullahs vernichtend geschlagen

Seit Mohammad Chatami 1997 zum iranischen Präsidenten gewählt wurde, ist der Machtkampf zwischen Reformern und orthodoxen Hardlinern offen ausgebrochen. Die Parlamentswahlen im Februar gerieten zu einem neuerlichen Debakel für die konservativen Kräfte. Es wird immer spannender.

Auch ohne die Ergebnisse der Hauptstadt Teheran stand die absolute Mehrheit für das Lager des Reformpräsidenten Chatami fest. In Teheran, wo die Auszählung wegen Betrugsverdacht verzögert wurde, lagen die Reformkandidaten nach ersten Trends in 27 von 30 Wahlbezirken vorne.

Höhepunkt der konservativen Katastrophe ist die Demontage des Führers der ultrakonservativen Islamisten, Haschemi Rafsandschani.

Wenn er weniger als 35% bekommt, wird es Rafsandschani nicht gelingen, seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. unkte die Zeitung Sobh-i-Imrus vor der Wahl. Tatsächlich kam die Galionsfigur der Orthodoxen nicht über 25% hinaus.

Auflösung

Hintergrund der politische Verschiebungen ist eine tiefe wirtschaftliche Krise. Mit milliardenschweren Verbindlichkeiten in der ganzen westlichen Welt sitzt der Iran in der Schuldenfalle. Die Devisen sind knapp und die Rohölförderung, die 70% des Bruttosozialprodukts ausmacht, geht seit Jahren zurück.

Während die wirtschaftliche Grundlage der Mullah-Diktatur erodiert, nimmt auch die gesellschaftliche Krise immer krassere Formen an. Der Lebensstandard verfällt, Arbeitslosigkeit und Verelendung grassieren. Währenddessen lebt eine kleine Minderheit von Religionsführern und Staatsbürokraten in Saus und Braus.

Auch deswegen wird der Würgegriff der orthodoxen Islamisten von der Bevölkerung zunehmend als unerträglich empfunden.

So hält der Iran einen traurigen Weltrekord: Die Selbstmordrate liegt um das Zweieinhalbfache über dem Weltdurchschnitt, 90% der Opfer sind Frauen.

Wie erst vor kurzem bekannt wurde, nahmen sich 1998 in der kleinen Grenzprovinz Ilam 338 Frauen zwischen 15 und 24 Jahren das Leben. 72% von ihnen waren Abiturientinnen.

Selbst eine den Mullahs nahestehende Zeitung registriert gefährliche soziale Krisensymptome.

Vor wenigen Monaten entlud sich die vor allem in der Jugend vorherrschende Frustration über die gesellschaftlichen Zustände in einer Protestwelle von Studentinnen und Studenten. Erstmals seit Jahrzehnten wurde die Macht der Mullahs mit offenem Visier herausgefordert.

Zwar setzte im Anschluß an die schweren Straßenschlachten eine grauenhafte Repressionswelle ein. 1.500 Menschen wurden in Gefängnisse verschleppt und mißhandelt, viele von ihnen sind noch immer inhaftiert.

Auch die Bestätigung des Todesurteils gegen einen Studentenführer durch das höchste iranische Gericht demonstriert, sind die Mullahs keineswegs handlungsunfähig.

Wandel wohin?

Das jetzige Wahlergebnis zeigt allerdings, daß das Selbstbewußtsein der Opposition durch den mutigen Widerstand der Jugend erheblich gewachsen ist.

Welche Bedeutung der Wahl beigemessen wurde, läßt die Wahlbeteiligung erahnen: 80% der 39 Millionen Stimmberechtigten gingen zu den Urnen. Ein sensationeller Wert für ein Land, in dem 48% nicht Lesen und Schreiben können, und 70% von der Landwirtschaft leben.

Bei den Reformern handelt es sich jedoch um keine einheitliche Gruppierung. Die Vorstellungen über den Charakter des notwendigen Wandels gehen weit auseinander.

Präsident Chatami selbst ist ein Sproß der islamischen Bürokratie. Die britische Unternehmerzeitung Economist feiert den Reformislamisten dennoch und fragt auf dem Titelblatt: Kann es eine Vereinigung von Islam und Demokratie geben?

Denn für Chatami und sein Umfeld bedeutet Wandel vor allem Annäherung an den Westen. Ihr Programm beinhaltet eine diplomatische Aussöhnung mit den USA, die Privatisierung der Staatsbetriebe und eine Öffnung des Landes für ausländisches Kapital.

Es ist klar, daß die überragende Mehrzahl der Bevölkerung ganz andere Hoffnungen an die Wahl der Reformer knüpft. Für sie verliert die islamische Heilslehre zunehmend an Anziehungskraft. Sie wollen echte Freiheit und suchen verzweifelt nach Auswegen aus der sozialen Misere.

Gorbi

Die Situation weist Ähnlichkeiten mit der Endphase der Sowjetunion auf: Auch damals sah sich ein liberaler Vertreter der alten Bürokratie unter dem Druck der Massen gezwungen, das herrschende System durch rechtzeitige Reformen zu retten. Auch Gorbatschow stieß dabei auf den erbitterten Widerstand der bürokratischen Hardliner.

Am Ende verlor er die Kontrolle über die wachsenden Opposition und wurde von der Dynamik einer Massenbewegung überrollt.

Die osteuropäischen Revolutionen von 1989 haben allerdings auch gezeigt, daß die westliche Scheindemokratie keinerlei Garantie für soziale Gerechtigkeit bietet. Nur durch die Aktivierung der Arbeiterbewegung werden die Veränderungen im Iran die Masse der Menschen erreichen.

Die Chancen stehen nicht schlecht. Die bleierne Zeit geht ihrem Ende entgegen, die Mullah-Diktatur weist deutliche Anzeichen einer existenziellen Krise auf, und die Volksmassen beginnen, ihre Kraft zu fühlen.

Dieser Beitrag wurde unter International, Nahost: Iran veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.