Frankreich: „Wir haben gesagt: Menschen sind wichtiger als Profite“

Linksruck sprach mit Francois Duvall von der französischen linken Organisation LCR über den letzten Präsidentschaftswahlkampf und Chancen für die Linke.Bei der französischen Präsidentschaftswahl 2002 bekam euer Kandidat Olivier Besancenot 4,25 Prozent, die radikale Linke insgesamt fast 10 Prozent. Wie habt ihr das geschafft?
Nach fünf Jahren sozialdemokratischer Regierung haben die Menschen einfach eine politisch Alternative gesucht. Lionel Jospin, der sozialdemokratische Premier, hat mehr privatisiert als die zwei konservativen Regierungen zusammen. Jospin hat die Pläne entworfen, die die Konservativen jetzt umsetzen: Erhöhung des Rentenalters und Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst. Darüber waren die Menschen sauer und haben das Jospin spüren lassen – durch Wahlenthaltung aber eben auch durch Wahl der radikalen Linken.

Wie sah eure Kampagne aus?
Wir hatten klare Forderungen, die sich an den Sorgen und Nöten der abhängig Beschäftigten und Schwachen orientiert haben. Zentral war der Erhalt und Ausbau des Öffentlichen Dienstes. Krankenhäuser sollen dafür da sein, Menschen zu pflegen – und nicht aus Krankheit und Leiden Profit schlagen. Ein Öffentliches Transportsystem soll Menschen befördern – und nicht einigen Bossen hohe Gewinne bescheren. Dafür sollten die Reichen und Superreichen bezahlen, die seit über 20 Jahren steuerlich entlastest werden.

Euer übergreifenden Slogan war „Menschen sind wichtiger als Profite“
Der Slogan ist sehr bekannt geworden, als Olivier ihn in einer Kandidatenbefragung im Fernsehen vor Millionenpublikum gebracht hat. Danach sind die Umfragen steil gestiegen. Doch es stimmt nicht, dass es „unser“ Slogan war. Kurz vor dem Wahlkampf hatte es eine schwere Explosion in einer Chemiefabrik in Toulouse gegeben, bei der Arbeiter und Anwohner verletzt wurden. Ursache waren laxe Sicherheitsvorkehrungen. Die Anwohner sind gemeinsam mit den Chemiearbeitern gegen die Konzernleitung auf die Straße gegangen. Und ihr Slogan war: „Menschen sind wichtiger als Profite“. Damit haben sie für Millionen gesprochen. Wir haben diese Stimmung nur aufgenommen.

Euer Kandidat Olivier Besancenot ist kein Berufspolitiker gewesen, sondern Briefträger.
Auf unseren Plakaten stand: „Olivier Besancenot, 27, Briefträger“. Politik soll von normalen Leuten gemacht werden, die die Sorgen von normalen Leuten kennen. Das verstehe ich unter Demokratie. Uns wird eingeredet, wir bräuchten Experten, die alles für uns regeln. Aber was wissen diese Experten denn vom Stress bei der Arbeit, von den Leben in den Vorstädten, von dem, was die Mehrheit jeden Tag tun muss, um sich durchzuschlagen? Olivier war unser Kandidat, weil wir Menschen ermutigen wollten zu sagen: Ich kann was verändern, jeder von uns Politik machen, ich brauch mich nicht vertreten lassen.

Es gab in den letzten Jahren viel Bewegung und Streiks in Frankreich. Was ist das Verhältnis zwischen diesen Bewegungen und dem Projekt einer politischen Alternative?
Die Bewegung ist das entscheidende, nur durch Proteste und Streiks kann die Politik der Herrschenden gestoppt werden. Die Aufgabe der politischen Alternative ist, die Argumente und Forderungen der aktiv Kämpfenden an die Millionen zu bringen, die noch nicht im Widerstand einbezogen sind. Millionen Menschen schauen auf die Wahlen, verfolgen den Wahlkampf und wollen hören, was die Kandidaten zu sagen haben. Wir würden eine Riesenchance vergeben, wenn wir das nicht nutzen, um für aktiven Widerstand zu werben.

Wenn die Bewegung entscheidend ist, wozu dann eine politische Alternative?
Die Frage eines erfolgreichen Widerstands ist mit der Frage der politischen Alternative verbunden. Das stärkste Argument, was die Sozialdemokratie hat, um Menschen vom Widerstand abzuhalten und an sich zu binden, ist: Zu uns gibt es keine Alternativen, außer die Konservativen. Oft nehmen Gewerkschaftsführer, die der Sozialdemokratie nahestehen, dieses Argument als Entschuldigung auf, um keinen Widerstand zu organisieren. Darauf gibt es nur eine Antwort: Dafür zu sorgen, das die Sozialdemokratie nicht die einzige Alternative ist.
Doch wir müssen beweisen, dass wir anders sind, als die anderen Parteien. Das heißt, immer dort zu sein, wo Menschen selbst aktiv werden. Wo Menschen auf die Straße gehen gegen Kürzungen, gegen Krieg, gegen Diskriminierung, da muss die politische Alternative sein, helfen und unterstützen. Wir werden an unseren Taten gemessen werden.

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