Bürgerversicherung: Schröders neue Nebelbombe

Die Gesetzlichen Krankenkassen kämpfen mit Verlusten. Jetzt wird in der SPD eine „Bürgerversicherung“ diskutiert, mit deren Hilfe die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gesichert werden soll.
Von SPD-Linken wie Andrea Nahles, die an der Bürgerversicherung mitarbeiten, wird sie als Rückkehr der Partei zu sozialer Gerechtigkeit gefeiert. Das ist Augenwischerei: Während Arbeiter, Angestellte, Beamte und kleine Selbstständige zur Kasse gebeten werden, sinkt der Beitrag der Konzerne zur Finanzierung des Gesundheitssystems. Dabei sind gerade die Massenentlassungen der Konzerne dafür verantwortlich, dass den gesetzlichen Krankenkassen die Einnahmen wegbrechen. Diese Löcher soll laut SPD-Führung nun ein Teil der bisher privat Versicherten stopfen, die zur Einzahlung in die gesetzlichen Kassen gezwungen werden sollen.
Noch gilt in der Krankenversicherung das Prinzip der paritätischen Finanzierung. Das heißt, Unternehmer und Arbeiter teilen sich zu gleichen Teilen die Beiträge. Durch die Gesundheitsreform ist dieses sozialstaatliche Prinzip allerdings von Rot-Grün kräftig durchlöchert worden.
Anfang des Jahres hat die Regierung Kranke massiv belastet: durch Praxisgebühr und höhere Zuzahlungen für Medikamente. Ab nächstes Jahr sollen die Versicherten die Kosten für Zahnersatz vollständig aus der eigenen Tasche zahlen. Ab 2006 dann auch das Krankengeld. Das Ziel dieser Maßnahmen ist die Senkung des Arbeitgeberbeitrages zur Krankenversicherung auf sechs Prozent, während der Arbeitnehmerbeitrag steigt. Genau diese Privatisierung der Gesundheitsausgaben haben die Unternehmerverbände seit Jahren gefordert. Und sie wird mit dem SPD-Konzept der Bürgerversicherung fortgesetzt.
Dahinter steht die Idee, dass durch die Entlastung der Unternehmer die Wirtschaft angekurbelt wird und mehr Arbeitplätze entstehen. Das ist schon bei der rot-grünen Steuerreform gescheitert. Während die Bosse wegen der Reform immer weniger Steuern zahlen, ist die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Bundesregierung hat einerseits die Staatskasse für die Konzerne zum Plündern freigegeben und kürzt andererseits das Sozialsystem zusammen. Von dieser Politik weicht sie keinen Millimeter ab. Nach der Erdrutschniederlage der SPD bei den Europawahlen gab Parteichef Müntefering unbeirrt die Parole aus: „Weiter so wie bisher“. Am größten Sozialabbauprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik, der Agenda 2010, hält die Parteiführung fest.
Auch an die hohen Kosten, die durch die Monopolpreise der Pharmaindustrie für Medikamente entstehen, wagt sich Rot-Grün nicht heran. Auf dem Gesundheitsmarkt werden in Deutschland 250 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt – mit Riesenprofiten für die Pharmamultis. Eine von der Regierung geplante Positivliste, die die Preise begrenzen sollte, ist gescheitert, weil Rot-Grün vor Pharma-, Ärzte- und Apothekerlobby eingeknickt ist. Stattdessen hat Gesundheitsministerin Schmidt viele Medikamente aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen gestrichen: Mit der Folge, dass chronisch Kranke und Allergiker dringend benötigte Präparate seit Anfang des Jahres selber zahlen müssen.
Wie eine wirklich soziale Alternative zum SPD-Modell der Bürgerversicherung aussehen muss, wird zur Zeit in der entstehenden Linkspartei Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit diskutiert. Sie fordert die „Stärkung der sozialen Sicherung durch Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen und aller Einkommen in eine solidarische und paritätisch finanzierte Bürgerversicherung.“
Die globalisierungskritische Organisation Attac schlägt vier Eckpfeiler einer sozial gerechten Bürgerversicherung vor: Erstens muss die paritätische Finanzierung ausgeweitet werden. Unternehmen sollen neben dem Arbeitgeberanteil eine zusätzliche Abgabe zahlen, weil sie für Arbeitslosigkeit und immer schlechtere Arbeitsbedingungen verantwortlich sind. Beides führt nämlich sowohl zu geringeren Einnahmen als auch zu höheren Kosten der gesetzlichen Kassen.
Zweitens muss die Beitragsbemessungsgrenze aufgehoben werden, damit auch „hohe und höchste“ Einkommen zur Finanzierung eines sozial gerechten Gesundheitssystems herangezogen werden können.
Drittens müssen diese Mehreinnahmen „für Leistungsverbesserungen eingesetzt werden (…), die den umfassenden und gleichen Versicherungsschutz für alle sicherstellen, ohne Naturschutzgebiete für Privatversicherer“. Dazu gehört die Rücknahme von Praxisgebühr, Zuzahlungen und Mehrbelastungen für Rentner. Auch Krankengeld und Zahnersatz dürfen nicht privatisiert werden.
Viertens „sollte die Vorstellung der gesetzlichen Krankenversicherung als kapitalistischer Wettbewerbsmarkt grundsätzlich abgelehnt werden.“
Das heißt in letzter Konsequenz, alle Krankenkassen zu einer einzigen gesetzlichen Krankenkasse zusammenzulegen, damit es unabhängig vom Geldbeutel gute Gesundheitsleistungen für alle gibt. Reiche müssten mehr einzahlen als Arme, aber alle erhielten hochwertige Leistungen. Denn Gesundheit ist keine Ware und Menschen sind wichtiger als Profite.

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