„Rebellion macht Spaß!“

Der Regisseur Hans Weingartner („Das weiße Rauschen“) sprach mit Linksruck über seinen neuen Film „Die fetten Jahre sind vorbei“, über die Frage, wie man die Welt verändern kann, und über Liebe.

Hans Weingartner

1991-97
Studium der Gehirnforschung an der Universität Wien und in der Neurochirurgie des Klinikums Steglitz, Berlin, mit Diplom-Abschluss

1993-94
Ausbildung zum Kamera-Assistenten an der AAC (Austrian Association of Cinematography)

1997-2001
Postgraduierten-Studium an der KHM Kunsthochschule für Medien in Köln, Fachbereich: Film/Fernsehen

2001
Film: Das weiße Rauschen, Regie und Buch

2003
Film: Die fetten Jahre sind vorbei, Regie und Buch, Co-Autorin: Katharina Held

Hans, an einer Stelle von „Die fetten Jahre sind vorbei“, sagt Jan zu dem entführten Topmanager Hardenberg: „Die Menschen haben keinen Bock mehr auf Euer Scheißsystem!“ Ist das auch deine Hoffnung?

Absolut. Wenn man sich mal anschaut, dass fünf von zehn verkauften Medikamenten Psychopharmaka sind, dann kann ja irgendwas nicht stimmen. Keiner ist glücklich, weder die Unterdrückten noch die Unterdrücker. 90% der Menschheit verhungern, 10% machen eine Abmagerungskur und schlucken Antidepressiva. Ich finde die Grundannahmen des Kapitalismus einfach schlecht. In der Bibel steht: „Die Raserei des Kaufens und des Verkaufens wird ins Verderben führen.“ Und das glaube ich auch. Ich glaube, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Und dieses Zelebrieren des Konkurrenzprinzips überall, in der Schule, an der Uni, im Betrieb, in den Medien, bei Casting-Shows und so weiter – das finde ich total pervers. Man müsste das Konkurrenzprinzip komplett aufheben. Ich glaube auch, dass die Menschen das nicht mehr wollen. Die Belastbarkeitsgrenze ist erreicht. In den letzten fünfzehn Jahren hat ja eine Beschleunigung stattgefunden, die dazu führt, dass die Menschen keine Zeit mehr haben, keine Zeit für sich, keine Zeit mehr für ihre Familie. Keine Zeit mehr für die Dinge, die das Leben lebenswert machen.

Und du meinst, diese Entwicklungen hängen mit der Logik des Kapitalismus zusammen?

Ja. Und es gibt da noch etwas anderes, was ich die „Vereinzelungsstrategie“ des Kapitalismus nenne. Das wollte ich eigentlich auch noch in den Dialog reinnehmen. Da steckt System dahinter. Fünf Leute, die in fünf Singlewohnungen leben, brauchen fünf Waschmaschinen, fünf Kühlschränke, fünf Fernseher und so weiter. Wenn die zusammenwohnen, brauchen sie das alles nur einmal. Außerdem, wenn sie alleine sind, sind sie leichter steuerbar und manipulierbar. Ich meine, wenn sie zu fünft sind, dann machen sie öfters mal den Fernseher aus und reden miteinander und kommen vielleicht drauf: He, mußt du auch immer mehr Überstunden machen, die du nicht bezahlt kriegst? Gemeinschaftlichkeit ist ja eine Grundbedingung für jede politische Veränderung.

War es diese allgemeine Unzufriedenheit, die dir den Anstoß für „Die fetten Jahre…“ gegeben hat, oder gab es einen ganz konkreten Anlaß?

Der Aktionismus, der in dem Film stattfindet, hat sicher persönliche Gründe. Vor allem mit Anfang zwanzig brauchte ich ein Ventil für meine revolutionäre Energie, sozusagen. Ich brauchte was Konkretes. Aktionen, wo ich gegen was anrennen und schwitzen konnte. Dass der Typ in dem Film ein Topmanager ist, hat sicher was damit zu tun, dass diese Mannesmann-Geschichte lief, als wir das Drehbuch geschrieben haben. Das fand ich unglaublich. Nicht, dass sich Leute persönlich bereichern, sondern mit welcher Arroganz sie das tun. Als wäre das selbstverständlich, dass man zehn oder dreißig Millionen im Jahr verdient. Diese ganze RAF-Geschichte in den 70ern war weniger ein Ausgangspunkt für den Film.

In „Die fetten Jahre…“ geht es auch um die Frage, ob man politische Veränderungen mit Gewalt herbeiführen darf. Wie ist deine Meinung hierzu?

Die an der Macht sind, geben ihre Macht nicht freiwillig her. Weder die Großkonzerne noch die G8 werden freiwillig etwas ändern. Man muss sie dazu zwingen. Auch Nike hört nicht freiwillig auf, in Indonesien Turnschuhe zu produzieren. Deshalb muss man sich der Gewaltfrage stellen. Der Film tut das sehr bewußt und findet auch eine ganz klare Position. Ich lehne Gewalt gegen Menschen prinzipiell als politisches Mittel ab. Aber Sabotageakte sind okay. Gewalt gegen Dinge und zivilen Ungehorsam finde ich moralisch gerechtfertigt, und auch Gesetze brechen finde ich moralisch gerechtfertigt, wenn man damit einer höheren Moral zum Durchbruch verhilft. Mir war beim Ende sehr wichtig, dass Jan, Peter und Jule zusammen bleiben, daß ihre Freundschaft bestehen bleibt, und dass sie ihren Kampf fortführen.

Die Jeff Buckley-Fassung von Leonard Cohens „Hallelujah“ spielt in dem Film eine große Rolle. Welche Bedeutung hat dieses Lied für dich?

Der Song ist mir wochenlang nicht aus dem Kopf gegangen. Wir hatten Probleme mit dem Schluß, und da habe ich ihn beim Schnitt versuchsweise rein genommen. Er ist dann auf magische Weise mit den Bildern verschmolzen. Dieser Song drückt einfach alles aus, was in diesem Moment in den Figuren vorgeht. Dieser Schwebezustand, wenn man nicht weiß, wie es weitergeht. Etwas geht zu Ende, und etwas Neues beginnt. Das war für mich dieses „broken Hallelujah“ („zerbrochenes Halleluja“).

Würdest du also sagen, dass „Die fetten Jahre…“ ein optimistischer Film ist?

H.W.: Ja. Ich kann das am Beispiel von Michael Moore erklären. Der war auch ein großer Einfluß für mich. Diese Unbekümmertheit, wie er bei „General Motors“ rein geht und sagt, ich will mit Roger (der Konzernchef, Anm. d. Red.) sprechen. Er lässt sich weder von der Größe des Konzerns, noch von der Größe des Problems, noch von der Niedergeschlagenheit um ihn herum entmutigen. Er zieht einfach los und macht was. Und letztendlich ist er erfolgreich damit und bewegt sehr viel. Das finde ich wunderschön an Michael Moore, bei aller Kritik die man sonst an ihm haben kann. Man kann sagen, das ist ganz schön naiv. Aber für mich ist Naivität auch positiv besetzt. Naiv sein heißt, sich nicht an die Regeln zu halten. Wenn Michael Moore bei General Motors rein läuft ist das auch naiv. Es ist aber zugleich herrlich unbekümmert. Und die Protagonisten von „Die fetten Jahre…“ sind auch unbekümmert. Dieses Grundgefühl ist genau das, was ich mit dem Film vermitteln will: Laß dich nicht entmutigen! So verstehe ich auch den zentralen Satz des Filmes: Von allen Revolutionen, auch wenn sie letztendlich gescheitert sind, haben die besten Ideen überlebt. Ohne Revolution würden wir alle noch auf dem Acker knien und Kartoffeln für den Burgherren ausgraben. Oder unser Kinder würden im Bergwerk arbeiten. Wir hätten keine Rechte und nichts.

Unbekümmertheit zu vermitteln, dürfte dir gelungen sein. Jan, Peter und Jule wirken jedenfalls nicht sehr verzweifelt.

Das war das Zweite, was ich zeigen wollte. Dass Rebellion auch Spaß machen kann, verdammt, dass Rebellion auch sexy sein kann! Deswegen ist es auch ein unterhaltsamer Film. Ich wollte, dass da nicht nur das Bildungsbürgertum rein rennt und sich das Elend der Unterdrückten reinzieht. Sondern, dass die, die es betrifft, sich den Film auch ansehen wollen.

Prägt dieser Wunsch auch deinen Stil als Regisseur? Drehst du deshalb mit so geringem technischen Aufwand, mit Handkamera und ohne künstliches Licht, um dir eine Frische zu erhalten und improvisieren zu können?

Ja, genau. Wenn du nicht fünfzig Leute am Set hast und einen ganz genauen Zeitplan, den du abarbeiten mußt, dann kannst du dich viel mehr vom Moment inspirieren lassen und improvisieren.

So entstehen sehr intime Bilder. Deine Kamera geht oft ganz nah an die Schauspieler heran.

Ich mache Schauspielerkino. Und ich suche Schauspieler aus, die bereits sind, sich zu öffnen und den Zuschauer reingucken zu lassen. Dadurch entsteht diese Intimität. Ich versuche bei den Dreharbeiten, eine angstfreie Stimmung zu erzeugen. Das klingt jetzt absurd, aber die Schauspieler sollen sich am Set nicht beobachtet fühlen. Die Freiheit, um die es im Film geht, soll auch am Drehort vorherrschen. Das ist natürlich eine schwierige Balance, weil man ja doch die Fäden der Geschichte in der Hand behalten muss. Aber die Schauspieler dürfen auch viel mitbestimmen. Peter zum Beispiel war am Anfang viel oberflächlicher angelegt. Mehr als Partytyp und Ladylover. Aber der Stipe (Stipe Erceg, der die Rolle von Peter spielt; Anm. d. Red.) hat gesagt, er glaubt das nicht, jemand der sich so engagiert, der hat auch Ideale. So hat sich die Figur verändert, und ich finde, Stipe hat das wunderbar gemacht. Das sieht man dem Film auch an, glaube ich, wie er entstanden ist. Für mich gehören die Produktionsverhältnisse und der Inhalt eines Films zusammen.

Du meinst, dass Film mehr kann als nur unterhalten?

Ich denke schon. Ich kann nur von mir sprechen. Aber mich haben Filme immer sehr beeinflusst. Die Filme über die Abholzung des Regenwaldes, die wir uns im Biologieunterricht angesehen haben, das hat mich für Jahrzehnte geschockt. Nach „The Day after“ habe ich jahrelang vom Atomkrieg geträumt. Auch „Holocaust“ oder „Bowling for Columbine“ haben mich total beeinflußt. Man kann natürlich nicht mit einem Meßgerät messen, was Kunst bewegt, aber ich möchte nicht wissen, wie die Welt ohne diese Filme aussehen würde. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum selbst so viele jüngere Regisseure in Deutschland so unpolitisch sind. Die erzählen immer die gleichen langweiligen Geschichten!

Du hast in früheren Interviews Kritik am System der deutschen Filmhochschulen geübt. Du meintest, die Studenten hätten kaum Zeit, sich um etwas anderes als Film zu kümmern. Wenn sie dann fertig wären, wüßten sie oft nicht, worüber sie Filme drehen sollen, weil sie zu wenig gelebt, gelesen und nachgedacht haben.

Es gibt einige deutsche Filmhochschulen, wo die Studenten nur die Technik vermittelt bekommen. Ich glaube, es ist wichtig, daß man mehr lernt, als nur die technische Seite am Filmemachen. Es kann tatsächlich sein, daß der deutsche Film auch deshalb so unpolitisch geworden ist.

Glücklicherweise scheint es aber, als tue sich langsam etwas im deutschen Kino. Filme wie „Lichter“, „Gegen die Wand“ und „Schultze gets the Blues“ sind sehr schauspielerorientiert. Außerdem lassen sie sich mutig und mit künstlerischer Originalität auf die sozialen Widersprüche ein. Würdest du dem zustimmen, daß Bewegung ins deutsche Kino kommt?

Auf jeden Fall. Ich hoffe auch, dass „Die fetten Jahre“ erfolgreich im Kino läuft. Weil sich dann diese Bewegung vielleicht noch verstärkt. Der Film könnte eine Ermutigung für andere Regisseure und Autoren sein, die sich dann, wenn sie merken, es gibt ein Publikum für politische Kunst, vielleicht sagen: Okay, machen wir auch was in der Richtung. Aber das Wichtigste ist, dass man wieder auf Schauspieler Wert legt, auf gutes Schauspiel achtet. Das liegt zum Teil an der Technik. Durch Video wird es für junge Regisseure leichter, ihre ersten Filme zu drehen. Mit Video mußt du aber auch Schauspielerkino machen, alles andere funktioniert da nicht. Du kannst keine Regentropfen auf der Windschutzscheibe zeigen und darüber was erzählen. Die Regentropfen sieht man nämlich nicht, weil die Auflösung zu schlecht ist.

Es ist natürlich auch sehr schwer, gute politische Kunst zu machen. Die Gefahr besteht immer, dass man…

Didaktisch wird.

Ja, und seine Figuren zu politischen Thesen verflacht. Das passiert dir in „Die fetten Jahre sind vorbei“ nicht, weil…

Weil die Figuren diese Probleme auch selbst haben. Jule redet nicht nur vom Schuldenproblem der Dritten Welt. Sie hat selbst ein Schuldenproblem. Und die Figuren sind widersprüchlich. Bei Jan merkt man einerseits, dass er aus Überzeugung handelt. Andererseits merkt man auch, dass er nur in Hardenbergs Villa einbricht, weil er in Jule verliebt ist und sie beeindrucken möchte. Aber so ist das Leben, verdammt noch mal! Wer macht schon nur aus Ideologie Politik? Wenn du auf die Demo gehst, um Frauen kennenzulernen, ist das doch auch ein toller Grund. Das gehört doch dazu! Wir müssen wieder dahin, dass Protest in ist, dass es cool ist, zu protestieren. Wir müssen wieder dahin, dass, wie 68, diese natürliche Kombination von Jugend und Rebellion aktiviert wird.

Dein Film ist übrigens ein deutliches Zeichen dafür, dass sich das deutsche Kino verändert. Vor fünf, sechs Jahren hätte „Die fetten Jahre…“ wahrscheinlich nicht entstehen können.

Ja, ich hätte ihn wahrscheinlich auch nicht gemacht, wenn ich nicht zumindest unterbewußt gespürt hätte, dass sich etwas verändert. Ich meine, ich habe bei „Die fetten Jahre…“ nicht auf Erfolg geschielt, wirklich nicht, aber dass der Film so einen Nerv trifft, zeigt ja auch, dass ein wachsendes Interesse für Politik vorhanden ist. Ich war mit dem Film in Brasilien, in Belgien, in Zürich, in Wien – und gerade die jungen Leute kommen mit glühenden Augen raus.

Du hast vorhin betont, daß du Gewalt gegen Menschen ablehnst. Gibt es für dich eine moralische Grenze? Dinge, die zu zeigen du unverantwortlich fändest?

Auf jeden Fall. Das war schon beim „Weißen Rauschen“ so. Dramaturgisch wäre es besser gewesen, Lukas (die an Schizophrenie leidende Hauptfigur von „Das weiße Rauschen“, Anm.d.Red.) am Ende den Heldentod sterben zu lassen. Aber dann habe ich gedacht, wenn sich hunderttausend Schizophrene den Film ansehen, und nur einer von denen bringt sich deshalb um, dann geht das auf meine Kappe. Diesmal war es auch so. Dramaturgisch hätte es mehr ergeben, wenn die den Topmanager auf der Hütte erschossen hätten. Aber das hätte bedeutet, linken Widerstand mit Gewalt gleichzusetzen. Das wollte ich nicht machen, nur aus dramaturgischen Gründen.

Da du gerade „Das Weiße Rauschen“ angesprochen hast – am Ende des Films fährt Lukas mit den Hippies nach Spanien. Für einen Moment wirkt es so, als wäre er geheilt und alles würde gut werden. Dann aber wird die Utopie zerstört.

Es ist eine gebrochene Utopie, „broken Halleluljah“ eben. Es gibt keine einfache Hilfe bei Schizophrenie. Es gibt auch keine einfachen politischen Lösungen. Aber am Ende von „Die fetten Jahre…“ bleibt trotzdem eine Utopie. Das ist die Freundschaft von Jan, Jule und Peter. Dass die sich nicht trennen. Dass ihr Kampf weitergeht. Das war mir wichtig. Normalerweise ist es ja im deutschen Film so, daß die Hauptfiguren am Ende allein am Fenster stehen und in den Regen hinaus schauen. Der Mensch ist zur Einsamkeit verdammt und so. Bei „Die fetten Jahre…“.

Darin ist ja auch eine Liebesutopie enthalten. Dass es eben nicht tragisch endet, und Peter aus dem Fenster springt, weil Jule jetzt mit Jan zusammen ist.

Ich stelle auch ganz grundsätzlich die Frage: Was ist überhaupt Liebe? Liebe hat nichts mit Besitz zu tun. Das ist nicht meine Frau, wie das mein Haus, mein Auto, mein Boot ist. Das wäre für mich keine wirkliche Liebe, wenn ich nur mit der Frau zusammen bin, damit es mir gut geht. In unserer Gesellschaft ist Liebe zur Zeit dermaßen kleinbürgerlich besetzt, dass es mir echt schwergefallen ist, den Schauspielern zu verklickern, dass der Peter den Jan nicht gleich umbringt. Und dass da so eine schöne Dreiecksbeziehung draus wird. Weil sie beide die Frau lieben, und die Frau liebt sie auch beide, und sie kann sich nicht entscheiden und muss sich vielleicht auch gar nicht entscheiden. In der Realität sieht das vielleicht anders aus. Es muss aber nicht unbedingt anders aussehen.

Würdest du eigentlich sagen, dass dich die Arbeit an „Die fetten Jahre…“ verändert hat?

Ich habe mich während der Arbeit an diesem Film wieder politisiert. Früher war ich auch schon politisch aktiv. Mit sechzehn habe ich eine Umweltschutzgruppe gegründet, da haben wir gegen das Waldsterben gekämpft. Dann war ich eine Weile Hausbesetzer in Berlin. Die letzten vier, fünf Jahre vor „Die fetten Jahre…“ habe ich nur Film gemacht. Wenn der ganze Rummel hier vorbei ist, habe ich aber vor, mich wieder stärker zu engagieren, vielleicht bei Attac.Diese Fassung des Interviews erscheint exklusiv auf Linksruck online.

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