Montagsdemos: Auf ganz Deutschland ausweiten

Werner Halbauer organisiert die Montagsdemonstrationen in Berlin mit. Linksruck sprach mit ihm.

Was die Bundesregierung vorhat

„Entgegen aller Wahlversprechen will Rot-Grün die Arbeitslosenhilfe von mindestens 53 Prozent des letzten Nettoeinkommens auf Sozialhilfeniveau kürzen und die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld auf maximal 12 Monate. Danach müssten Arbeitslose mit 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten auskommen.
Vorher aber müssen sie all ihre Ersparnisse über 200 Euro pro Lebensjahr aufbrauchen. Das heißt, wer sich eine Wohnung gekauft hat oder eine Lebensversicherung besitzt, wird gezwungen, diese mit hohen Verlusten zu verkaufen. Wer will schon ein Häuschen in einem Ort kaufen, wo 20 Prozent arbeitslos sind und der durch die Massenarbeitslosigkeit immer weiter entvölkert wird?
Außerdem sollen Arbeitslose gezwungen werden, überall in Deutschland jeden Job anzunehmen. Löhne, die 30 Prozent unter Tarif liegen, gelten als „zumutbar“.
Um diese Verschärfungen durchsetzen zu können, werden alle mit harten Sanktionen bedroht, die sich weigern, zu solchen Hungerlöhnen zu arbeiten.
Langzeitarbeitslose, die als nicht mehr vermittelbar eingestuft wurden – zum Beispiel, weil sie über 55 Jahre alt oder krank sind – werden mit Hartz IV gezwungen, Arbeit zu einem Stundenlohn von 1 Euro anzunehmen.
Mit Hartz IV sollen die Löhne insgesamt gesenkt und die Tarifverträge weiter ausgehebelt werden. Alle Arbeiter und Angestellte sollen sich davor fürchten, arbeitslos zu werden und das jetzige Schicksal von Sozialhilfeempfängern teilen zu müssen. So sollen sie gefügig gemacht werden, damit sie längere Arbeitszeiten und Lohnkürzungen hinnehmen.“

Der Spiegel schreibt von einer „Hartz-Hysterie“. Sind die Montagsdemonstranten einfach nur hysterisch?
Die Leute, die gegen Hartz IV auf die Straße gehen, haben absolut Recht. Sie sind nicht hysterisch, sondern haben verstanden, was auf sie zukommen soll. Sie wehren sich gegen die Bundesregierung, die mit Hartz IV jeden und jede in soziale Existenzängste stürzen will, um ihn oder sie zu zwingen, jeden Hungerlohn zu akzeptieren.

Die Bundesregierung preist Hartz IV als Mittel gegen die Massenarbeitslosigkeit.
Es ist eine Illusion zu glauben, durch Lohnsenkungen und Senkung der Sozialstandards einen Wettbewerbsvorteil auf den Weltmärkten bekommen zu können, der zum Wirtschaftsaufschwung und zum Abbau der Arbeitslosigkeit führen würde.
Was deutsche Konzerne auf dem Weltmarkt an Anteilen erobern könnten, wird auf der anderen Seite fehlen. Wenn die Menschen weniger kaufen können, gehen mehr Betriebe Pleite und die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Finanzminister Eichels Steuerreform zugunsten der Reichen und Konzerne zeigt, dass die Nachteile auf dem Binnenmarkt gegenüber den Vorteilen auf dem Weltmarkt überwiegen.
Es kann keinen nachhaltigen Aufschwung auf dem Binnenmarkt geben, wenn die Arbeiter nicht mehr kaufen können, was sie selbst herstellen. In den 30er Jahren hat der damalige Reichskanzler Brüning eine ähnliche Kürzungs- und Standortpolitik betrieben. Die Folgen waren Massenverelendung und sinkende Kaufkraft. Damit hat Brüning die Wirtschaftskrise weiter verschärft.

Was ist die Alternative?
Attac ist gegen den Wettlauf um die Absenkung der sozialen Standards im Weltmaßstab. Wir fordern die Durchsetzung gleicher sozialer Rechte weltweit und Steuern für Reiche.
Geld ist genug da. Es ist nur ungerecht verteilt. 1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzen mit 2,9 Billionen Euro 70 Prozent des gesamten Geldvermögens. Und ihre Gier kennt keine Grenzen.

Die Regierung hat in den letzten Tagen angekündigt, Hartz IV zu entschärfen. Grünen-Chef Bütikofer rechnet damit, dass die Proteste dann abflauen werden.
Nach nur zwei Wochen Demos hat die Regierung Zugeständnisse in Höhe von 8 Millionen Euro gegeben. Wir hatten erst angefangen, Montagsdemos in Berlin und Westdeutschland vorzubereiten und schon hat Schröder zur Krisensitzung im Kanzleramt gerufen.
Man kann sich ausmalen, was für Zugeständnisse wir erzwingen könnten, wenn 10.000e in ganz Deutschland gegen Hartz IV auf der Straße sind.
Wie nervös die Herrschenden sind, zeigen der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Böhmer (CDU) und der niedersächsische SPD-Chef Gabriel. Sie fordern, dass die Regierung ihre Pläne zurücknimmt, den Spitzensteuersatz zu senken. Sie haben begriffen, dass Rot-Grün sonst ein enormes Risiko eingeht. Wenn die 3 Milliarden, die Rot-Grün den Arbeitern und Arbeitslosen durch Hartz IV aus der Tasche zieht, einfach so an die Reichen durchgereicht werden.
All das beflügelt unseren Widerstand. Es wird noch einige Krisensitzungen im Kanzleramt geben.

Wie stehen die Gewerkschaften zu den Montagsdemonstrationen?
DGB-Chef Sommer hat am 3. April bei der Großdemonstration in Berlin gegen die Agenda 2010 vor 500.000 Protestierenden versprochen, dass der DGB die Zumutbarkeitsverschärfung durch Hartz IV niemals hinnehmen wird.
Es ist ermutigend, dass DGB-Vizechefin Engelen-Kefer die Montagsdemos begrüßt und Sommer den DGB-Gliederungen freigestellt hat, sich an den Montagsdemos zu beteiligen.
Damit ist die Auseinandersetzung in den Gewerkschaften eröffnet zwischen denjenigen, die Hartz IV kippen wollen und denjenigen, die Schröder retten wollen.
Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, einzelne Mitglieder der Gewerkschaften, aber auch Gewerkschaftsgliederungen und ganze Gewerkschaften für die aktive Beteiligung an den Montagsdemos zu gewinnen.
Die zunehmende Gewerkschaftsbeteiligung jagt der Regierung schon jetzt Angst ein. Sie erinnert sich an den Erfolg der wilden Streiks bei Daimler gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung unter Kohl 1996.

Wie soll’s weitergehen?
Alle sind sich einig, dass die Bewegung sich auf ganz Deutschland ausdehnen muss. Hartz IV ist ein bundesweiter Angriff und muss bundesweit zurückgeschlagen werden. Demos in Ost-Deutschland allein werden Hartz IV nicht stoppen. Wenn auch im Westen demonstriert wird, können wir eine enorme Durchschlagskraft erreichen.
Wie wir das erreichen, dazu gibt es viele Vorschläge, die derzeit in den Bündnissen diskutiert werden.
Wichtig werden die nächsten Stationen, wo wir die Regierung direkt herausfordern können: Ein Vorschlag ist ein gemeinsamer Protestmarsch am 2. Oktober in Berlin vor das Kanzleramt. Ein weiterer ist eine Gegenversammlung am 3. Oktober. Diese könnte ähnlich dem Runden Tisch 1989 in Ost-Deutschland zur legitimen Vertretung der sozialen Bewegung werden. Wir sind das Volk!
Außerdem ist im Gespräch, am 30. August Delegationen aus allen Städten nach Leipzig zur Montagsdemo zu schicken, um zu zeigen, dass wir EINE Bewegung sind.
Unsere Slogans bleiben: Hartz IV stoppen – Reichtum besteuernDas Interview führte Irmgard Wurdack

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