„Wir müssen Gegenmacht sein“

Linksruck sprach mit dem verdi-Bezirkschef Bernd Riexinger über Gegenstrategien der Gewerkschaften.


Bernd Riexinger ist ver.di-Geschäftsführer in Stuttgart und im Landesvorstand der WASG in Baden-Württemberg

Bernd, zahlreiche Konzerne haben Jobabbau angekündigt. Droht eine Entlassungswelle?

Ja. Die Industrie steht am Beginn eines Restrukturierungprozesses. Überkapazitäten sollen abgebaut und die Produktivität erhöht werden. Im Rahmen solcher Programme werden bei Siemens, Daimler und VW Zehntausende, in der gesamten Industrie hunderttausende Jobs bedroht.
Auch außerhalb der Industrie, zum Beispiel im Einzelhandel, kostet der Konkurrenzdruck Jobs. Edeka hat Spar übernommen und will 1.700 Stellen abbauen.
Dazu kommt noch der Stellenabbau im Öffentlichen Dienst. Dieser Stellenabbau wird noch beschleunigt durch die Steuerpolitik zugunsten der Unternehmer, die die öffentlichen Kassen ausgeblutet hat. Auch die Privatisierung öffentlicher Dienste ist meistens mit Stellenabbau verbunden.

Lässt sich der Stellenabbau durch Zugeständnisse, zum Beispiel bei Löhnen und Arbeitszeit, abwenden?

Nein. Diese pragmatische Strategie, des „Wir verhindern das Schlimmste“ scheitert gerade. Ein Teil des angekündigten Stellenabbaus findet in Betrieben statt, die noch letztes Jahr große Zugeständnisse gemacht haben. Siemens hat in der Handyproduktion die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich eingeführt. Auch in Bereichen des Daimler-Konzerns wird seit letztem Jahr länger gearbeitet. Bei der Telekom wurde beim letzten Tarifvertrag die Arbeitszeit reduziert und auf einen Teil des Lohns verzichtet. Damit sollte Stellenabbau verhindert oder zumindest verringert werden.
Die Reaktion der Unternehmensleitungen auf diese Zugeständnisse war die Ankündigung von Entlassungen und die Forderung nach noch mehr Zugeständnissen. Die Unternehmer wissen, dass innerhalb der Belegschaften die Furcht vor dem Jobverlust, gerade seit Hartz IV, sehr groß ist. Diesen Vorteil werden sie weiter versuchen zu nutzen. Die Zugeständnisse, die den Eindruck gewerkschaftlicher Schwäche erwecken, verstärken ihre Angriffslust nur.

Was heißt das für die grundlegende Strategie der Gewerkschaften?

Wir müssen uns darüber klar sein, dass die Zeiten des sozialpartnerschaftlichen Konsens’ vorbei sind. Die verschärfte Konkurrenz im globalen Kapitalismus hat der Sozialpartnerschaft den Boden entzogen. Das haben die Unternehmer schon lange begriffen. Sie führen einen harten Kampf gegen die Errungenschaften der gewerkschaftlichen Politik vergangener Jahre. Die Politik flankiert diesen Angriff. Ein Programm wie Schröders Agenda 2010 beinhaltet nicht mehr die Umgestaltung des Sozialstaats, sondern dessen Abbruch.
Diesen neuen Gegebenheiten müssen sich die Gewerkschaften stellen. Der Versuch, einen „neuen sozialen Kompromiss“ auf niedrigem Niveau zu finden, muss scheitern, wenn die Gegenseite keinen Kompromiss mehr akzeptiert. Deshalb sollten sich die Gewerkschaften auf ihre grundsätzliche Aufgabe besinnen: Gegenmacht zu sein, basierend auf betrieblichen Widerstand.

Was heißt das in Bezug auf die drohenden Entlassungen?

Das letzte Jahr hat gezeigt, dass es ein Potenzial für betrieblichen Widerstand gegen Entlassungen gibt. Zehntausende protestierten und streikten sowohl gegen die Ankündigung von General Motors, das Opel-Werk in Bochum zu schließen, als auch gegen die Durchsetzung der Arbeitszeitverlängerung bei Daimler-Chrysler. Es ist also grundsätzlich möglich, Belegschaften gegen Stellenabbau zu mobilisieren.
Um die Kollegen zu mobilisieren, brauchen wir auch eine politische Vision, wie denn unser Gegenkonzept zur neoliberalen Standortlogik aussieht. Wir müssen über Arbeitszeitverkürzung reden, damit Neueinstellungen möglich werden. Wir brauchen eine höhere Besteuerung von Reichen und Konzernen, um Beschäftigungsprogramme zu finanzieren.
Für solche klar formulierten Ziele können wir mobilisieren und den durch die hohe Arbeitslosigkeit verunsicherten Kollegen eine Perspektive zeigen, wie es denn besser werden kann. Sonst greift immer wieder die TINA-Logik des Neoliberalismus – there is no alternative, es gibt keine Alternative.
Letztendlich muss sich auch der Aktionsradius der Gewerkschaften den Realitäten des globalen Kapitalismus anpassen. Das Kapital agiert global und spielt mit der Drohung von Standortverlagerungen die Arbeiter gegeneinander aus. Wir müssen genauso global agieren und die internationale Vernetzung der Gewerkschaften vorantreiben.

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