Die Strategie entscheidet

In der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel ist eine Debatte über das Verhältnis von linken Parteien und sozialen Bewegungen entflammt. Yaak Pabst meint, dass die globalisierungskritische Bewegung sich schwächt, wenn sie linke Parteien ausschließt.


Lesetipps

Alex Callinicos beschäftigt sich in seinem Text „Wie in El Alto – Eine andere Art der Macht“mit dem Verhältnis von Bewegung und Parteien. Diesen Text findet ihr, zusammen mit anderen Texten über die Strategie der globalisierungskritischen Bewegung, in dem Buch „G8: Gipfel der Ungerechtigkeit“. Das Buch ist über den VSA-Verlag zu beziehen (www.vsa.verlag.de)

Zur marxistischen Theorie von Partei und Bewegung gibt es zwei gute Texte im Netz:

  • „Marxismus und Partei“ von John Molyneux
  • „Partei und Klasse“ von Chris Harman
  • Die neue Linke aus Linkspartei.PDS und WASG mobilisiert mit zum G8-Gipfel. Vor diesem Hintergrund hat der Koordinierungskreis von Attac eine Erklärung „zum Verhältnis von Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen zu Parteien“ veröffentlichte. Darin begrüßt Attac, dass einzelne Parteien „kritische Positionen gegenüber den G8 vertreten, Aktivitäten von Zivilgesellschaft und Bewegungen unterstützen und sich an der Mobilisierung beteiligen“.

    Es sei aber nicht vorstellbar, „dass Parteien dabei Aufgaben der Repräsentation, Außendarstellung, Koordination, Führung oder andere exponierte Funktionen übernehmen sollten, z.B. als Mitglied der Koordinationsgruppe u.ä.“ Der Grund sei, dass Parteien in der Vergangenheit versuchten, „zivilgesellschaftliche Strukturen und soziale Bewegungen zu vereinnahmen oder zu instrumentalisieren“.

    So richtig die Feststellung ist, dass soziale Bewegungen vereinnahmt oder instrumentalisiert werden können, so falsch ist die Behauptung, das liege vor allem an der Beteiligung von Parteien. Welchen Verlauf eine Bewegung nimmt, hängt eher von der politischen Strategie ab, die sich darin durchsetzt.

    Parteien können dabei genauso wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs), linke Netzwerke oder Gewerkschaften eine vorwärts treibende oder zurückhaltende Rolle spielen je nach ihrer politischen Ausrichtung. Zwei Beispiele aus der Geschichte der globalisierungskritischen Bewegung illustrieren dies.

    Vor zwei Jahren protestierten im schottischen Gleneagles 300.000 Menschen gegen die G8. Einerseits nutzte die Regierung Blair die Gipfelproteste, insbesondere die Kampagne „Make Poverty History“ (MPH) und die „Live8“-Konzerte, um sich als Schutzmacht für Afrika darzustellen und so ihre schlechten Umfragewerte wegen des Kriegs im Irak wett zu machen.

    Bei Live8 und MPH, einem Zusammenschluss von unterschiedlichen NGOs, waren Parteien ausgeschlossen. Trotzdem konnte die Regierung sie für sich vereinnahmen, weil die Führung dieser Kampagnen darauf ausgerichtet war, durch Lobbypolitik die neoliberalen Regierungen für einen Schuldenerlass zu gewinnen.

    Andererseits gehörten dem schottischen Bündnis gegen den G8-Gipfel mit Respect und der Scottish Socialist Party zwei Parteien an, die sich als Bewegungsparteien verstehen. Sie wehrten sich gegen die Vereinnahmungsversuche von Seiten der Blair-Regierung und kritisierten die Politik von MPH und Live8.

    Das zweite Beispiel stammt aus Italien. Die Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 wären ohne die führende Rolle der Partei Rifondazione Comunista (PRC) so nicht möglich gewesen.

    Die rechte Regierung Berlusconi bekämpfte die Bewegung damals hart: Sie schloss Verkehrsverbindungen und verwandelte das gesamte Stadtzentrum von Genua in eine Kampfzone mit zehn Mal so vielen Polizisten wie üblich. Das Ergebnis waren ein Toter, viele brutal Verprügelte und Verwundete und hunderte inhaftierte Demonstranten.

    Christine Buchholz vom WASG-Bundesvorstand schreibt über Reaktion der Aktivisten: „Ich erinnere mich, wie am zweiten Tag der Proteste die Nachricht vom Mord an Carlo Giuliani die Runde machte, der von einem Polizisten erschossen worden war. Die Demonstranten, die sich aus vielen Ländern in Genua getroffen hatten, waren verunsichert und verängstigt. Wäre die geplante Großdemonstration für den nächsten Tag abgesagt geworden, hätten viele die Proteste als Niederlage empfunden. Es ist dem Vorsitzenden der Rifondazione Comunista, Fausto Bertinotti zu verdanken, dass Genua ein Triumph der Bewegung über die Brutalität der Polizei wurde: Bertinotti rief öffentlich dazu auf, am Folgetag nach Genua zu reisen und sich an der Großdemonstration zu beteiligen. Unter großer Zustimmung der Bevölkerung marschierten 300.000 durch die Stadt.“

    Nicht alle haben so reagiert. Gestandene Aktivistinnen waren erschüttert von den Ereignissen und machten einen Rückzieher: Susan George, Mitbegründerin von Attac, berichtete von ihren Sorgen, Menschen auf Demonstrationen zu schicken, wo sie Leib und Leben riskieren.

    Die NGO Drop the Debt zog ihre Unterstützung am Vorabend der Großdemonstration zurück, weil sie Gewaltausbrüche befürchtete. Sogar die autonom geprägten Tute Bianche waren gelähmt, weil sie die staatliche Repression nicht durchbrechen konnten.

    Die PRC hatte zu dieser Zeit einen Linksruck vollzogen und sich der Bewegung gegenüber geöffnet. Sie war die einzige Partei, die mit voller Kraft die Proteste aufbaute. Um Berlusconi zu schlagen, suchte die italienische Linke die Einheit und die PRC war Bestandteil des Bündnisses in Genua.

    So konnte der Vorsitzende Bertinotti sogar als Sprecher dieses Bündnisses fungieren, ohne dabei die Bewegung zu instrumentalisieren. Er diente ihr vielmehr: Erst nach den Protesten in Genua gewann sie in Europa massenhafte Unterstützung.

    Inzwischen hat die PRC einen Rechtsruck hinter sich. Sie ordnete ihre außerparlamentarische Arbeit dem Ziel unter, sich an einer Regierung unter dem Sozialdemokraten Prodi zu beteiligen.

    Binnen Wochen nach ihrer Amtsübernahme begann die neue Regierung mit Hilfe der PRC, neoliberale Maßnahmen durchzusetzen und zur Stärkung der US-Offensive weitere Truppen nach Afghanistan zu senden. Doch wie das Beispiel von Gleneagles beweist, können nicht nur Parteien den Fehler machen, sich an neoliberale Regierungen zu binden, sondern auch NGOs und andere Organisationen.

    Der Koordinierungskreis von Attac schreibt: „Die wesentliche Funktion von Parteien ist es, Wahlen zu gewinnen und auf dieser Grundlage möglichst (mit) zu regieren. Dazu treten Parteien in direkte Konkurrenz zueinander. Parteien sind Teil des formellen politischen Systems. Die Funktion von Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen ist eine andere. Sie agieren außerhalb des formellen politischen Systems. Sie versuchen an einem Thema oder einem Problemfeld das Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen, ohne parlamentarische Vertretung oder Regierungsbeteiligung anzustreben.“

    Diese scharfe Gegenüberstellung von Parteien und sozialen Bewegungen geht an der Wirklichkeit vorbei. Linke Parteien waren und sind immer Teil von sozialen Bewegungen, trotz ihrer Beteiligung an Wahlen.

    Der Sturz Berlusconis wäre undenkbar gewesen ohne die Massenmobilisierungen der Linken in Italien. Dabei waren die Parteien der Linken eine wichtige Kraft: Von den Protesten in Genua über die massiven Demonstrationen und Protesten gegen den Irak-Krieg bis hin zu den Streiks gegen die Rentenreform.

    Umgekehrt haben soziale Bewegungen oft Veränderungen innerhalb von Parteien oder sogar die Neugründung von Parteien nach sich gezogen. Das Entstehen neuer linker Parteien in ganz Europa ist hierfür ein gutes Beispiel.

    Je nach ihren Zielen vertreten Parteien unterschiedliche Strategien, die aber auch außerhalb der Parteien in der Bewegung vorhanden sind. Es gibt solche politischen Kräfte, die eher selbst Veränderungen bewirken wollen und andere, die eher auf die Selbstaktivität und Selbstorganisation der Menschen setzen.

    Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Parteien. Reformistische, die für die ein oder andere Reform kämpfen, aber ansonsten das System nicht antasten wollen, revolutionäre, die auf eine Überwindung des kapitalistischen Systems aus sind und solche, die zwischen beiden pendeln.

    Ein Streit um die Strategie der Bewegung steht auch hinter den vom Attac-Koordinierungskreis geäußerten Befürchtungen. Die Bedeutung des Staates bei der Umsetzung neoliberaler Maßnahmen hat die Bewegung auf das Feld der Politik getrieben.

    Die französische Kampagne gegen die EU-Verfassung ist ein typisches Beispiel dafür. Globalisierungskritische Gruppen wie Attac warfen sich voll in diese Kampagne und stellten fest, dass sie an einem Prozess teilnahmen, dessen Motor nicht sie waren, sondern die organisierte Linke: diejenigen leitenden Mitglieder der Sozialistischen Partei, die gegen die offizielle Linie der Sozialistischen Partei rebellierten, die Kommunistische Partei und die Ligue Communiste Révolutionaire. Gemeinsam waren sie erfolgreich.

    Dass die Bewegung in dem einen Land erfolgreich war und in dem anderen nicht, ist nicht der Politik einer einzelnen Partei zu verdanken. Der Verlauf von Bewegungen ist das Produkt eines Diskussionsprozesses verschiedener politischer Strategien. Diese finden ihren Ausdruck in unterschiedlichen organisatorischen Zusammenhängen, unter anderem in Parteien.

    Aber letztere aus Führungspositionen der Bewegung auszuschließen, heißt der Bewegung einen Teil ihrer Erfahrung zu nehmen. Welche politischen Kräfte in einer Bewegung eine vorwärts treibende Rolle spielen können, zeigt sich nur in der Praxis nicht daran, ob sie Parteien sind oder nicht.

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