Jassir Arafat im Visier

Drei Jahre Aufstand der Palästinenser. Jetzt droht die israelische Regierung, den palästinensischen Präsidenten Arafat auszuweisen oder zu ermorden. Wer ist Jassir Arafat? Warum fürchtet Israel ihn?Das Leben Jassir Arafats ist eng mit der Geschichte der Araber in Palästina verbunden. Er wurde 1929 als Sohn eines palästinensischen Kaufmanns geboren, der aus Gaza nach Ägypten übergesiedelt war. Arafat wuchs bei der Familie seiner Mutter in Jerusalem auf.
Dort war der Sitz der britischen Verwaltung, die über Palästina herrschte. Juden und Araber hatten lange Zeit gemeinsam in diesem Gebiet gelebt. Die Spannungen nahmen zu, als die zionistische Bewegung stärker wurde.

Standpunkt: Zusammenleben ist möglich

Jassir Arafat hat die Erfahrung gemacht, dass ein Ende der Unterdrückung der Palästinenser weder militärisch noch durch einen "Friedensprozess" möglich ist. Israel spielt eine zu wichtige Rolle für das Ziel der USA, den Nahen Osten zu beherrschen.
Aber es gibt eine andere Lösung. Auch die arabischen Herrscher sind mit der US-Regierung eng verbündet. Ebenso wie die Palästinenser zahlen auch andere Araber mit sinkendem Lebensstandard und steigender Arbeitslosigkeit für die Geschäfte der Scheichs mit US-Konzernen.
Eine Bewegung aller Unterdrückten im Nahen Osten kann jedoch die Herrschaft Israels, der USA und der arabischen Diktatoren und Könige beenden. Das bedeutet nicht, gegen Juden zu kämpfen, sondern gegen die Politik der beteiligten Regierungen.
Es gibt eine lange Tradition von Freundschaft zwischen Juden und Arabern. Schon im Mittelalter gewährten Araber in Spanien den von Christen verfolgten Juden Zuflucht. In arabischen Ländern stehen noch heute viele Synagogen. Vor dem Aufstieg des Zionismus gab es auch in Palästina gemeinsame politische Organisationen für Juden und Araber.
An diese Tradition kann auch heute angeknüpft werden – wenn Palästinenser und Juden in Israel gleiche Rechte erhalten. Auch in Israel haben viele verstanden, dass ein rein jüdischer Staat auf Kosten der Palästinenser keine Zukunft hat.

Die zionistische Bewegung – eine Minderheit der Juden in Europa – plante, einen rein jüdischen Staat in Palästina zu errichten. 1918 lebten dort etwa 50.000 Juden und eine halbe Million Araber.
Im Zuge der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis wanderten immer mehr Juden nach Palästina ein. 1947 schlug die UNO auf Druck der USA und Großbritanniens eine Teilung Palästinas vor: 55 Prozent für den jüdischen Staat, 45 Prozent für den arabischen. Mittlerweile waren 30 Prozent der Bewohner Palästinas Juden.
Rechte Zionisten wollten jedoch ganz Palästina besetzen. Sie bildeten bewaffnete Milizen und begannen, Araber zu ermorden und zu vertreiben. Arafat half schon damals, Waffen an Araber zu schmuggeln, die sich wehren wollten.
Am 9. April 1948 begingen Zionisten in Deir Yassin das bis dahin größte Massaker in Palästina.
Sie ermordeten über 100 Menschen. Die unter Arabern ausbrechende Panik nutzten Zionisten, um 750.000 Araber zu vertreiben.
Am 14. Mai 1948 gründeten die Zionisten auf 76 Prozent der Fläche Palästinas den Staat Israel.
Arafat kämpfte zu diesem Zeitpunkt in der ägyptischen Armee. Die arabischen Staaten wollten die Gründung Israels verhindern, mussten aber schnell aufgeben. Denn Israel erhielt von Beginn an Waffen und Geld von den Staaten, die ihre Vorherrschaft in Nahost sichern wollten.
Während seines Studiums in Kairo arbeitete Arafat in der Palästinensischen Studentenvereinigung.
1959 ging aus dieser Gruppe die Widerstandsbewegung Fatah hervor. Der Name steht für: Bewegung zur Befreiung Palästinas.
Fatah nahm sich die nationalen Befreiungsbewegungen in Algerien, China, Kuba und Vietnam zum Vorbild. Ihr Ziel von Fatah war, ganz Palästina zu befreien und einen demokratischen Staat mit gleichen Rechten für Juden und Araber zu errichten.
Erst 1964 gründeten die arabischen Staaten die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO. Die arabischen Herrscher forderten zum Schein Freiheit für die Palästinenser, um deren Unterstützung zu bekommen. Gleichzeitig wurden jedoch palästinensische Flüchtlinge in allen arabischen Ländern brutal unterdrückt.
Im Sechs-Tage-Krieg 1967 besiegte die israelische Armee Syrien, Jordanien und Ägypten. Die israelische Regierung besetzte die restlichen Teile des früheren Palästina: den Gazastreifen, das Westjordanland und Ostjerusalem. Seitdem werden diese Regionen "Besetzte Gebiete" genannt.
Nach dem Krieg gingen hunderte Palästinenser in die Besetzten Gebiete, um gegen Israel zu kämpfen. Darunter waren Arafat und andere Mitglieder der Fatah.
1968 wurde die Fatah über Nacht auf der ganzen Welt bekannt. Eine von Arafat geführte Einheit zwang die israelische Armee sich zurückzuziehen. Zehntausende Palästinenser schlossen sich der Fatah an.
1969 wurde die Fatah Teil der PLO. Arafat wurde zum Vorsitzenden der PLO gewählt. Dieses Amt hat er bis heute. Das Hauptquartier der PLO war in Jordanien. Sieben von zehn Bewohnern Jordaniens waren Palästinenser. Der König von Jordanien fürchtete, seine Macht an die PLO zu verlieren. Im "Schwarzen September" 1970 befahl er einen massiven Angriff auf die PLO. Die Armee ermordete tausende Palästinenser. Die PLO floh in den Libanon.
1973 unterlagen die syrische und die ägyptische Armee Israel im Jom-Kippur-Krieg. Die arabischen Herrscher begannen Frieden mit Israel zu schließen. Auch die PLO erkannte, dass ein militärischer Sieg über das hochgerüstete Israel unmöglich ist.
Sie veränderte ihre Strategie. 1974 verzichtete die PLO auf den Anspruch, ganz Palästina zu befreien. Sie wollte sich mit einem kleinen Staat zufrieden geben, den sie mit Israel und der US-Regierung aushandeln wollte. Israel erkannte Arafat jedoch nicht an.
1982 fiel die israelische Armee unter dem damaligen Verteidigungsminister und heutigen Ministerpräsidenten Scharon im Libanon ein. Die israelische Armee belagerte die palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila, während rechtsradikale Milizen dort 2.000 Menschen ermordeten.
Arafat flüchtete wieder, diesmal nach Tunesien. Doch die Palästinenser führten ihren Widerstand weiter. Denn für die Menschen in den Besetzten Gebieten bedeutete die Besatzung nichts als Armut, Arbeitslosigkeit und Erniedrigung.
1987 haben die Palästinenser ihren ersten großen Aufstand begonnen – die Intifada. Intifada ist das arabische Wort für "Abschütteln". Der Anlass war ein israelischer Armeetransporter, der in eine Reihe Taxis raste und vier Palästinenser tötete. Seitdem haben sich die Palästinenser in den besetzten Gebieten gegen die Besatzung gewehrt.
Aber die PLO war nicht mehr die einzige politische Kraft, die Widerstand gegen Israel organisierte. Mit Beginn der Intifada wurde die islamische Bewegung Hamas gegründet.
Der andauernde Aufstand zwang Israel und die USA dazu, mit der PLO zu verhandeln. Arafat unterschrieb 1993 in Oslo einen angeblichen Friedensvertrag. 1994 kehrte Arafat in den Gazastreifen zurück und wurde dort gefeiert. Im gleichen Jahr verlieh man ihm und dem israelischen Ministerpräsident Rabin den Friedensnobelpreis. Eine palästinensische "Autonomiebehörde" wurde eingesetzt, welche die palästinensischen Gebiete kontrollieren sollte.
Doch der "Friedensprozess" war von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Die palästinensische Autonomiebehörde sollte nur 17 Prozent des Westjordanlandes und 60 Prozent des Gazastreifens kontrollieren. Die Gebiete unter ihrer Kontrolle hingen nicht zusammen, sondern waren lediglich Inseln im Machtbereich Israels und konnten jederzeit von Israel abgeriegelt werden. Keiner der inzwischen Millionen Palästinenser in den Flüchtlingslagern sollte zurückkehren dürfen.
Arafat verteidigte den "Friedensprozess" mit aller Macht. Seine Autonomiebehörde regierte undemokratisch und mit Gewalt.
30.000 palästinensische Polizisten unterdrückten nun alle, die Arafat kritisierten. Die israelische Regierung hatte die Unterdrückung der Palästinenser an eine kleine Minderheit der Palästinenser selbst abgegeben.
Das Elend bekämpfte die Autonomiebehörde hingegen nicht. Mitte der 90er betrieb sie im ganzen Gazastreifen nur 5 Krankenhäuser. Ebenso viele hatte dort inzwischen die Hamas gebaut.
90 Prozent ihres Millionenbudgets fließen in Schulen, Krankenhäuser und Suppenküchen. Die Hamas versorgt rund die Hälfte der Bevölkerung im Gazastreifen. Die Beliebtheit der islamischen Organisation wuchs immer weiter – nicht nur wegen der Selbstmordanschläge.
Arafat unterstützten hingegen immer weniger Palästinenser. Darum lehnte er 2000 einen neuen Scheinfrieden mit Israel und den USA ab. Kurz drauf haben die Palästinenser die zweite Intifada begonnen.
Arafat unterstützte den neuen Aufstand, um seine Macht erhalten zu können. Die israelische und die US-amerikanische Regierung verlangten neue Verhandlungen, diesmal mit dem Ministerpräsidenten Abbas, um den Aufstand 2003 zu beenden. Die Palästinenser sollten sich in einen neuen angeblichen Friedensprozess fügen oder verschwinden.
Nach den Erfahrungen der 90er, sind die meisten Palästinenser dazu nicht bereit. Abbas konnte sich nicht durchsetzen und trat zurück.
Arafat ist dagegen heute wieder der Anführer von Millionen Palästinensern in den Besetzten Gebieten und den Flüchtlingslagern. Deshalb will die israelische Regierung ihn loswerden.

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