Interview mit Bernd Riexinger: "Wir brauchen einen langen Atem"

Linksruck sprach mit dem Stuttgarter ver.di-Bezirksgeschäftsführer Bernd Riexinger über außerparlamentarischen Widerstand, rot-grüne Politik und die Zukunft der Gewerkschaften.Bernd, Mitte Oktober wird in Berlin der verdi-Gewerkschaftstag stattfinden. Ver.di-Chef Frank Bsirske zählte zu den schärfsten Kritikern der Agenda 2010. Wird die Gewerkschaft zum Widerstand gegen Sozialabbau aufrufen?
Das ist bei der ver.di noch schwieriger zu sagen als bei anderen Gewerkschaften, weil so viele unterschiedliche Strömungen und Traditionen unter einem Dach stehen.
An der offiziellen Haltung der ver.di-Führung zur Agenda 2010 hat sich nichts geändert – die Gewerkschaft lehnt Schröders Kürzungen ab. Doch den Worten folgen zu wenig Taten.

Nun sagen Gewerkschaftsführer für eine Mobilisierung fehlt der Rückhalt der Mitglieder
Im Mai ist ein großer Fehler gemacht worden. Die Führungen haben die Mitglieder nicht auf eine lange Auseinandersetzung vorbereitet. Die Angriffe auf den Sozialstaat sind nicht durch einen Aktionstag zu stoppen. Wir brauchen eine breite Diskussion in den Betrieben, Information der Kollegen und einen langen Atem.
Ich denke, dass jetzt die Bedingungen für Widerstand besser geworden sind. Die Arbeitnehmer merken, dass sie geschröpft werden.

Die Gewerkschaftsführer haben sich mit Schröder getroffen. Bringt das was?
Nein, solche Treffen bringen gar nichts und sind rein symbolische Akte. In bin fest davon überzeugt, das die Gewerkschaften nur etwas bewegen können, wenn sie auf der Straße und im Betrieb Druck machen.

Warum?
Wir müssen sehen, dass die SPD-Führung bewusst einen Kurswechsel eingeleitet hat. Sie will den Sozialstaat nicht mehr Schritt für mehr Schritt abbauen, sondern vollständig aushöhlen und umbauen. Um die Wettbewerbsfähigkeit in der internationalen Konkurrenz zu erhöhen soll die Ausbeutung der Arbeitskraft gewaltig gesteigert werden. Das geht in Quantität und Qualität weit über Kohl hinaus. Das ist ein Bruch mit der Sozialpolitik der letzten 50 Jahre.
Angesichts dieser Situation brauchen wir eine Diskussion über die Rolle der Gewerkschaften.

In anderen Länder läuft die Diskussion über das Verhältnis von Gewerkschaften und Sozialdemokratie bereits auf Hochtouren. Die englische Gewerkschaft UNISON diskutiert, ob sie ihre Zahlungen an die Labour Party einstellt
Die Koalition der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie ist von der Sozialdemokratie aufgekündigt worden. Die Politik der SPD-Führung unterscheidet sich heute nur noch in Nuancen von den Konservativen. So ist kein Bündnis absehbar, außer die Gewerkschaften würden sich von ihren wesentlichen Grundsätzen verabschieden. Diese Einsicht in den Gewerkschaften durchzusetzen wird ein schmerzhafter und mühevoller Prozess sein.

Welche Rolle spielt die bundesweite Demonstration am 1. November in Berlin für den Widerstand gegen Sozialabbau?
Diese Demonstration muss Ausgangspunkt für die Wiederbelebung und Ausdehnung des Widerstands gegen Sozialabbau sein. Niemand sollte glauben, dass dadurch die Agenda 2010 verändert oder gar verhindert wird.
Was wir aber erreichen können, ist, einen Fokus für die breite Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu bilden. Niemand kann genau sagen, wohin die Stimmungen in der Bevölkerung sich bewegen. Doch sicher ist, das immer weniger Menschen den Versprechungen von mehr Jobs und baldigen Aufschwung glauben. Diese Stimmung braucht einen Kristallisationspunkt. Da kann diese gemeinsame Demonstration eine große Anziehungskraft haben. Wir müssen sie als den Anfang einer Auseinandersetzung begreifen, die Jahre andauern wird.

Wächst die Unterstützung der Demo in den Gewerkschaften?
Mehr und mehr gewerkschaftliche Gliederungen unterstützen die Demo – bei uns neben ver.di Stuttgart auch der DGB-Bezirk Stuttgart.
Ich habe wenig Hoffnung, auf die Unterstützung durch den Bundesvorstand einer Gewerkschaft. Doch wenn die Unterstützung von unten durch Gewerkschaftsgliederungen wächst, setzt das ein Zeichen in die Gewerkschaften hinein.

Eure Kollegen in Frankreich bereiten sich schon auf das Europäische Sozialforum im November Paris vor. Spielt das ESF in der ver.di eine Rolle?
Innerhalb der Gewerkschaft gibt es natürlich Kräfte, die einen engen Kontakt zu Attac und anderen Gruppen pflegen und auch auf das ESF orientieren. Die Angriffe auf den Sozialstaat rollen in ganz Europa. Ein europaweiter Aktionstag wäre die richtige Antwort.

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Interview mit Bernd Riexinger: "Wir brauchen einen langen Atem"

Linksruck sprach mit dem Stuttgarter ver.di-Bezirksgeschäftsführer Bernd Riexinger über außerparlamentarischen Widerstand, rot-grüne Politik und die Zukunft der Gewerkschaften.Bernd, Mitte Oktober wird in Berlin der verdi-Gewerkschaftstag stattfinden. Ver.di-Chef Frank Bsirske zählte zu den schärfsten Kritikern der Agenda 2010. Wird die Gewerkschaft zum Widerstand gegen Sozialabbau aufrufen?
Das ist bei der ver.di noch schwieriger zu sagen als bei anderen Gewerkschaften, weil so viele unterschiedliche Strömungen und Traditionen unter einem Dach stehen.
An der offiziellen Haltung der ver.di-Führung zur Agenda 2010 hat sich nichts geändert – die Gewerkschaft lehnt Schröders Kürzungen ab. Doch den Worten folgen zu wenig Taten.

Nun sagen Gewerkschaftsführer für eine Mobilisierung fehlt der Rückhalt der Mitglieder
Im Mai ist ein großer Fehler gemacht worden. Die Führungen haben die Mitglieder nicht auf eine lange Auseinandersetzung vorbereitet. Die Angriffe auf den Sozialstaat sind nicht durch einen Aktionstag zu stoppen. Wir brauchen eine breite Diskussion in den Betrieben, Information der Kollegen und einen langen Atem.
Ich denke, dass jetzt die Bedingungen für Widerstand besser geworden sind. Die Arbeitnehmer merken, dass sie geschröpft werden.

Die Gewerkschaftsführer haben sich mit Schröder getroffen. Bringt das was?
Nein, solche Treffen bringen gar nichts und sind rein symbolische Akte. In bin fest davon überzeugt, das die Gewerkschaften nur etwas bewegen können, wenn sie auf der Straße und im Betrieb Druck machen.

Warum?
Wir müssen sehen, dass die SPD-Führung bewusst einen Kurswechsel eingeleitet hat. Sie will den Sozialstaat nicht mehr Schritt für mehr Schritt abbauen, sondern vollständig aushöhlen und umbauen. Um die Wettbewerbsfähigkeit in der internationalen Konkurrenz zu erhöhen soll die Ausbeutung der Arbeitskraft gewaltig gesteigert werden. Das geht in Quantität und Qualität weit über Kohl hinaus. Das ist ein Bruch mit der Sozialpolitik der letzten 50 Jahre.
Angesichts dieser Situation brauchen wir eine Diskussion über die Rolle der Gewerkschaften.

In anderen Länder läuft die Diskussion über das Verhältnis von Gewerkschaften und Sozialdemokratie bereits auf Hochtouren. Die englische Gewerkschaft UNISON diskutiert, ob sie ihre Zahlungen an die Labour Party einstellt
Die Koalition der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie ist von der Sozialdemokratie aufgekündigt worden. Die Politik der SPD-Führung unterscheidet sich heute nur noch in Nuancen von den Konservativen. So ist kein Bündnis absehbar, außer die Gewerkschaften würden sich von ihren wesentlichen Grundsätzen verabschieden. Diese Einsicht in den Gewerkschaften durchzusetzen wird ein schmerzhafter und mühevoller Prozess sein.

Welche Rolle spielt die bundesweite Demonstration am 1. November in Berlin für den Widerstand gegen Sozialabbau?
Diese Demonstration muss Ausgangspunkt für die Wiederbelebung und Ausdehnung des Widerstands gegen Sozialabbau sein. Niemand sollte glauben, dass dadurch die Agenda 2010 verändert oder gar verhindert wird.
Was wir aber erreichen können, ist, einen Fokus für die breite Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu bilden. Niemand kann genau sagen, wohin die Stimmungen in der Bevölkerung sich bewegen. Doch sicher ist, das immer weniger Menschen den Versprechungen von mehr Jobs und baldigen Aufschwung glauben. Diese Stimmung braucht einen Kristallisationspunkt. Da kann diese gemeinsame Demonstration eine große Anziehungskraft haben. Wir müssen sie als den Anfang einer Auseinandersetzung begreifen, die Jahre andauern wird.

Wächst die Unterstützung der Demo in den Gewerkschaften?
Mehr und mehr gewerkschaftliche Gliederungen unterstützen die Demo – bei uns neben ver.di Stuttgart auch der DGB-Bezirk Stuttgart.
Ich habe wenig Hoffnung, auf die Unterstützung durch den Bundesvorstand einer Gewerkschaft. Doch wenn die Unterstützung von unten durch Gewerkschaftsgliederungen wächst, setzt das ein Zeichen in die Gewerkschaften hinein.

Eure Kollegen in Frankreich bereiten sich schon auf das Europäische Sozialforum im November Paris vor. Spielt das ESF in der ver.di eine Rolle?
Innerhalb der Gewerkschaft gibt es natürlich Kräfte, die einen engen Kontakt zu Attac und anderen Gruppen pflegen und auch auf das ESF orientieren. Die Angriffe auf den Sozialstaat rollen in ganz Europa. Ein europaweiter Aktionstag wäre die richtige Antwort.

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