Studentenproteste geben der außerparlamentarischen Bewegung Schwung.Die Demonstration gegen Schröders Sozialabbau am 1. November war ein Wendepunkt. Als Hunderttausend in Berlin zusammenkamen, um gegen Schröders Sozialabbau zu demonstrieren, sagte die Mehrheit: "Das ist erst der Anfang".
In den vergangenen Wochen ist aus dieser Hoffnung Gewissheit geworden. Innerhalb kürzester Zeit ist die größte studentische Protestbewegung seit den Studentenstreiks 1997/98 entstanden. Zehntausenden wehren sich gegen Unterfinanzierung der Unis und drohende Studiengebühren.
Universitäten in Berlin, Hessen und Niedersachsen werden bestreikt. In Bayern demonstrierten mehr als 40.000 Studenten. In Sachsen-Anhalt organisierten Studenten die größten Uni-Proteste in der Geschichte des Landes.
Die Einschnitte bei den Universitäten sind Teil eines Generalangriffs auf den Sozialstaat deshalb gibt es ein großes Potential für gemeinsamen Widerstand. In Hessen, wo Ministerpräsident Roland Koch das nach eigenen Angaben "größte Sparpaket der Nachkriegsgeschichte" durchziehen will, brachte eine Großdemo mit 50.000 Teilnehmern alle Betroffenen zusammen Studenten, Arbeiter, Arbeitslose und Schüler.
Die Proteste auf der Straße sind eine Ermutigung für Aktivisten in Betrieben, ihrerseits Aktionen zu organisieren. Es mehren sich die Anzeichen, das genau dies geschieht.
7.000 Metaller protestierten am 20. November in Saarlouis gegen die Abschaffung der Tarifautonomie und Agenda 2010. Wenige Tage zuvor waren 3.500 Arbeiter des VW-Werks Baunatal aus demselben Grund auf die Straße gegangen.
Die gewerkschaftlichen Aktionen gegen die Angriffe auf den Sozialstaat können auch die Gegenwehr gegen Angriffe der Unternehmer stützen. Bei Ford versammelten sich 900 Kollegen zu einem spontanen Streik gegen Entlassungen. 3.000 Arbeiter aus den 15 Werken des MAHLE-Konzerns kamen in Stuttgart zusammen, um gegen Entlassungen und Arbeitszeitverlängerungen zu demonstrieren. Auf Plakaten stand "Bei Mahle entlassen. Mit Agenda 2010 verarmt".
Der Protest auf der Straße und der Unmut in den Betrieben haben den Druck auf die Gewerkschaftsführungen erhöht, ihren Passivität gegenüber der Bundesregierung aufzugeben. Im Frühjahr hatten die Gewerkschaften noch eine "Protestpause" ausgerufen. Ihre Begründung: Niemand lasse sich zu Aktionen mobilisieren.
Dieses Argument ist angesichts der jetzt beginnenden Bewegung nicht mehr zu halten. Zudem hat der SPD-Parteitag gezeigt, dass es innerhalb der SPD momentan keine Kraft gibt, die Schröder beim Sozialbbau in den Arm fällt. SPD-Generalsekretär Scholz und Wirtschaftsminister Clement wurden zwar bei Wahlen abgestraft die Agenda 2010 und Schröder selbst haben jedoch klare Mehrheiten bekommen. Die SPD-Basis grummelt und die Krise der SPD geht weiter. Doch ein Einlenken von Schröder aufgrund von innerparteilichen Druck ist nicht in Sicht.
Deswegen zeichnet sich bei den Gewerkschaftsspitzen ein Kurswechsel ab. Frank Bsirske, der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, kündigte auf dem Europäischen Sozialforum an, dass ver.di sich wahrscheinlich nach mit allen organisatorischen Kräften an der Initiative zu einem europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau beteiligen werde.
Das ist eine positive Entwicklung. Ohne die Kraft der organisierten Arbeiterbewegung werden die Kürzungsmaßnahmen nicht zu stoppen sein.
Trotzdem wird diese Entwicklung nicht einhellig begrüßt. Viele Redner auf dem Treffen der deutschen Beteiligten beim Europäischen Sozialforum sorgten sich davor, das der Apparat der Gewerkschaften die neue außerparlamentarische Opposition vereinnahmt und abwürgt.
Diese Sorge ist verständlich angesichts der Tatsache, dass die Gewerkschaftsspitze in der Vergangenheit lieber der Demontierung des Sozialstaates zusah, als gegen "ihren" Kanzler zu mobilisieren.
Wenn diese Skepsis aber dazu führt, sich von den Gewerkschaften insgesamt zu distanzieren und die Chance auf eine Verbreiterung der Proteste in die Betreibe hinein zu verspielen, dann ist das ein Problem.
Die Mobilisierung zur Demonstration am 1. November hat das Erfolgsrezept zur Einbeziehung der Gewerkschaften gezeigt. Eine hohe Basisaktivität einzelner Betriebsräte und Aktivisten viel Gewerkschafter aus den Betreiben in den Protest geholt. Diese Basisaktivität war immer gekoppelt, mit der Aufforderung an die gewerkschaftliche Führung, endlich aktiv zu werden und die gewerkschaftliche Maschinerie in den Kampf zu werfen. Wenn jetzt Gewerkschaftsführer öffentlich über Widerstand nachdenken, zeigt das nur, wie richtig diese Strategie war. Die gewerkschaftliche Führung drücken, ohne sich von ihr abhängig machen das ist der Kurs für die ausserparlamentarische Bewegung.
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