Eine andere Welt ist möglich: Sozialismus

Die globalisierungskritische Bewegung braucht Alternativen zum herrschenden System, meint Alex Callinicos.


(Der Text ist eine gekürzte Version eines Beitrags zur ESF-Sonderbeilage der Jungen Welt. Der vollständige Text ist hier erhältlich)

Die Kritik der globalisierungskritischen Bewegung am Neoliberalismus umfasst meiner Meinung nach die Verpflichtung auf vier Grundwerte: Gerechtigkeit, Effizienz, Demokratie und Nachhaltigkeit. Dabei versteht man unter Gerechtigkeit am besten gleich drei weitere Werte: Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Eine Variante des egalitären Gerechtigkeitsprinzips ist, dass jedem Menschen der gleiche Zugang zu den von ihm benötigten Ressourcen gewährt wird, damit er sein Leben so führen kann, wie er es für richtig hält. Unter Effizienz ist zu verstehen, daß keine Ressourcen verschwendet werden; auch dann nicht, wenn es um wünschenswerte Ziele geht. Demokratie schließlich ist das zentrale Element in der Kritik der Bewegung an der Diktatur der Finanzmärkte: So wie sich die Demokratie in der Praxis der Bewegung darstellt, beinhaltet sie das Engagement für radikale Formen von Selbstorganisation und Selbstbestimmung. Und schließlich Nachhaltigkeit: Wir wollen ein System, in dem jede Generation die Erde in einem mindestens so guten Zustand verlässt, wie sie sie vorgefunden hat.

Nun verletzt jede denkbare Variante des Kapitalismus systematisch alle diese vier Werte. Denn der Kapitalismus ist ein System von wettbewerbsgesteuerter Akkumulation, das auf der Ausbeutung von Lohnarbeit beruht. Er zerstört Solidarität, macht aus Freiheit eine Formalität und verteilt Reichtum und Einkommen im Interesse derer, die glücklich genug sind, schon über Reichtum und Macht zu verfügen. Der Kapitalismus verursacht eine systematisch ungerechte Verteilung von menschlichen und materiellen Ressourcen, verschwendet sie, indem er sie für unnütze oder destruktive Aktivitäten wie »Verteidigung« benutzt, und vernichtet sie massenhaft während wirtschaftlicher Rezessionen. Er konzentriert wirtschaftliche und politische Macht in der Hand von Konzernen und Staaten. Die blinde Profitgier des Kapitalismus entfesselt einen Zerstörungsprozess, der unsere Umwelt und das Leben auf unserem Planeten in hohem Maße bedroht.

Wenn wir sagen »Eine andere Welt ist möglich«, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass dies ein anderes soziales System mit einer anderen sozialen Logik als der des Kapitalismus bedeutet. Teilreformen – etwa die Regulierung der Finanzmärkte oder der Partizipationshaushalt mögen zwar hier und jetzt erstrebenswert sein, aber sie müssen als Teil eines größeren Prozesses, eines Kampfes für eine systemische Transformation, gesehen werden.

Es ist eine Schwäche der jetzigen Bewegung, dass sie sich dieser Realität bislang noch nicht ausreichend gestellt und sich statt dessen auf die vollkommen berechtigte Kritik am Neoliberalismus, sowie auf das Vorbringen spezieller Forderungen, konzentriert hat. Dieser Fokus hat sicherlich zunächst dazu beigetragen, eine immer größer werdende globale Bewegung zu vereinen. Aber nach den Fortschritten der letzten Jahre ist diese Bewegung reif genug, Alternativen zum Kapitalismus zu diskutieren.

Ein Grund, weshalb Alternativen derartig vorsichtig begegnet wird, ist der (nicht mehr) »real existierende Sozialismus«. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war die ursprüngliche Vision einer progressiven, modernen Alternative zum Kapitalismus diskreditiert. Es wäre aber ein Fehler, vor dieser Stimmungslage zu kapitulieren.

Die Alternative ist der Sozialismus. Marx stellte sich den Sozialismus als einen Prozess der Selbstemanzipation vor – in den Worten des amerikanischen Marxisten Hal Draper als »Sozialismus von unten« im Gegensatz zum »Sozialismus von oben«, dem Stalinismus und der Sozialdemokratie. Marx entwickelte die Idee einer sozialistischen Transformation als »Revolution gegen den Staat«.

Dabei steht außer Frage, dass diese Vorstellung von Sozialismus sich genau so radikal von den späteren Gesellschaften der UdSSR und Osteuropas unterscheidet wie von dem, was in veränderter Form immer noch in China, Nord-Korea oder Kuba anzufinden ist.

Als erstes würde der Sozialismus die radikale Erweiterung der Demokratie bedeuten, was bedeutet, dass die wirtschaftlichen Prozesse denselben demokratischen Prinzipien unterworfen würden, denen auch das politische Leben unterliegt. Es wäre eine Vertiefung von Demokratie – an die Stelle einer passiven Wählerschaft, die immer weniger gewillt ist, sich zwischen den mehr oder minder identischen, vom großen Geld und den Medienkonzernen hofierten Politikern zu entscheiden, würde eine neue Form der partizipativen Demokratie treten, die die Macht so weit wie möglich dezentralisiert und in der jene Menschen die Entscheidungen zu treffen, die auch selbst von ihnen betroffen sind. Institutionell wäre dies dann eine Regierung eines sich selbst verwaltenden Bundes aus Arbeiter-, Verbraucher- und Nachbarschaftsräten. Damit eine solche Demokratie funktionieren kann, benötigen alle freien Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, an der öffentlichen Debatte teilzunehmen. Die moderne Informationstechnologie macht das im Prinzip sehr einfach, aber zur Zeit wird die Öffentlichkeit (noch) durch die Medienkonzerne beherrscht.

Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist für diese Demokratie die Vergesellschaftung fast aller materiellen Produktionsmittel und auch der für die Massenkommunikation benötigten Infrastruktur notwendig. Dazu gehört auch ein System demokratischer Planung zur kollektiven Entscheidung über die Verteilung der Ressourcen. Und schließlich würde die Verteilung des Einkommens so weit wie möglich auf dem Prinzip »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen« beruhen. Rohstoffe und Fabriken sollten generell gesellschaftliches Eigentum sein, Arbeitskräfte jedoch nicht: die Freiheit des Individuums, seine Tätigkeit zu wählen und zu wechseln, ist ein Versprechen, das der Kapitalismus gibt, aber nicht halten kann. Diese Freiheit wäre dagegen grundlegend für eine sozialistische Gesellschaft.

In meinen Augen entspricht der so verstandene Sozialismus den Werten, für die sich die globalisierungskritische Bewegung einsetzt. Individuen, die die Kontrolle über die Produktionsmittel miteinander teilen, sähen ihr Recht auf gleiche Freiheit nicht mehr verletzt, weil sie nicht mehr gezwungen wären, sich der kapitalistischen Ausbeutung zu unterwerfen. Sie wären nicht mehr der fundamentalen Ungerechtigkeit des Kapitalismus unterworfen, durch die die Lebenschancen eines jeden Menschen an Zufälle wie Geburt oder Marktschwankungen gebunden sind. Und sie hätten alle denselben Anspruch auf die Ressourcen der Gesellschaft.

Der Sozialismus als politisches und wirtschaftliches System bedeutet eine fortschrittliche Form der partizipativen Demokratie. In ihm würde die Demokratie, zu der die liberalen kapitalistischen Gesellschaften nur Lippenbekenntnisse abgeben, erst Realität werden lassen. Die demokratische Planung würde das dem Kapitalismus innewohnende blinde Streben nach wettbewerbsgesteuerter Akkumulation beenden. Damit wäre es der Menschheit möglich, gemeinsam die wichtigen Schritte einzuleiten, die beispielsweise zur Umkehrung der durch den Kapitalismus verursachten Klimaveränderung nötig sind. Und sie würde die Möglichkeit eröffnen, in Zukunft jegliche durch den Menschen verursachte Umweltzerstörung zu vermeiden oder wenigstens schnell zu bekämpfen.

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