In ständiger Angst

Der beste Doku-Filmer in den USA hält einer Nation die Kamera an den Kopf.Kommt ein dicker Mann in die Bank und sagt: „Ich will ein Konto eröffnen.“ Antwortet die Bankangestellte: „Zum Dank dürfen sie sich ein Gewehr aussuchen.“ Der Mann kreuzt an, dass er weder geisteskrank noch kriminell sei und spaziert mit der Waffe aus der Bank. Ein dummer Witz, schlecht inszeniert? Es ist die bittere Wahrheit, festgehalten in einem gewöhnlichen Geldinstitut in Flint, Michigan.
So lässt Regisseur Michael Moore („Roger & Me“) seinen Dokumentarfilm beginnen, eine bissige, kluge, immer gegen die herrschende Politik gerichtete und höchst unterhaltsame Antwort auf die Frage: Warum sind in den USA 250 Millionen Schusswaffen in Privatbesitz, mit denen jährlich 11.000 Menschen getötet werden?

Laut Moore liegt es vor allem daran, dass die weißen US-Amerikaner wie kein anderes Volk von Regierung und Medien seit Jahrhunderten in ständiger unbegründeter Angst gehalten werden. Früher war es die Angst vor Indianern, später die Angst vor Schwarzen und seit dem 11. September die Angst vor Terroristen. Seit den Anschlägen auf das World Trade Center ist der Verkauf von Waffen und Alarmanlagen in den USA stark gestiegen, obwohl Terroristen noch nie in Wohnungen eingebrochen sind.

Als roter Faden dient der Amoklauf an der Columbine Highschool in Littleton, wo die Schüler Dylan Klebold und Eric Harris am 20. April 1999 13 Menschen und sich selbst erschossen. An diesem Beispiel zeigt der Regisseur, wie lächerlich es ist, gewalttätige Filme oder die Musik von Rocksänger Marilyn Manson für die Morde verantwortlich zu machen. Ebenso hätte Bowling die Schüler aggressiv machen können, schließlich wurden sie direkt vor dem Massaker auf einer Bahn gesehen: Bowling for Columbine.

Wie im Vorbeigehen erwähnt Moore, dass am 20. April auch die schwersten Angriffe der USA auf Jugoslawien geflogen wurden und dass in Littleton die Zentrale des größten Waffenkonzerns der Welt steht. Warum sollten Schüler vor Gewalt zurückschrecken, wenn „ihre“ Politiker viel mehr Menschen umbringen und die Eltern mit der Herstellung der Mordwerkzeuge beschäftigt sind?

Weitestgehend unkommentiert und dadurch umso wirkungsvoller werden Zeugen des Littleton-Massakers oder Waffennarren wie der schwer bewaffnete Komplize des Oklahoma-Bombers gezeigt: „Och, der Besitz von Atomwaffen sollte reglementiert werden – da draußen gibt es zu viele Idioten!“

Trauriger Höhepunkt ist der Auftritt von Charlton Heston, Präsident der US-Waffenliga NRA und Freund des ehemaligen US-Präsidenten Reagan. Heston hält trotzig eine Rede in Flint, nur einen Tag nachdem dort ein sechsjähriger Junge ein gleichaltriges Mädchen erschossen hat. Heston prahlt, seine Waffe könne man nur seinen „kalten, toten Händen“ entwinden. Doch Moore schafft es im Interview, selbst ihn als begriffsstutzigen Revolverhelden zu entlarven.

Die vielen interessanten Fakten und die satirische Erzählweise machen „Bowling for Columbine“ zu einem Highlight des Dokumentarfilms, der die Welt nicht nur beschreiben, sondern besser machen will.

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