Die iranische Tragödie 1979: Von der Arbeitermacht zur Ayatollahdiktatur

Die Opposition der Islamisten

Die Basis des Klerus bestand vor allem aus Kleinbürgern – den
Basaris. Sie hatten, genau wie die Arbeiter und Studenten, unter dem Schah
zu leiden – allerdings aus anderen Gründen. Die Basaris hatten in
der kapitalistischen Entwicklung des Iran kaum noch eine Bedeutung. Die
politische Macht des Klerus war immer weiter zurückgegangen. Die Mullahs
in den Moscheen boten aber einen Sammelpunkt für viele andere Kräfte,
die gegen die "Verwestlichung" kämpften, weil ihre Oppositionsrolle
staatlich geduldet war.

Die Unterstützung, die der fortschrittliche Teil des islamischen
Klerus erfuhr, gründete sich auf revolutionäre Rhetorik. Er prangerte
die Vernachlässigung der ökonomischen Bedürfnisse der Arbeiter
und Bauern, die barbarischen Gefängnisse, die Einschränkung der
Freiheit an.

Der traditionelle Flügel, darunter zunächst auch Ajatollah
Khomeini, isolierte sich von den Massen. Khomeini sah diese Entwicklung
und zog die Konsequenz: Er fing an, die Forderungen der sozialen Bewegung
aufzunehmen. Dafür wurde er 1968 ausgewiesen.

Auch aus dem Exil konzentrierte er sein Feuer auf den Sturz des Schahs
und baute so seine Glaubwürdigkeit auf. Er wurde zur Hauptoppostitionsfigur.
Bis zu seinem Tode galt er als der "Revolutionsführer".

An den Massen vorbei: Stalinisten und Guerilla

Proteste der Studenten und der nationalen oder religiösen Minderheiten
hatten im Iran eine lange Tradition. Die mächtigste Kraft gegen den
Schah stellte aber der Arbeiterwiderstand dar. Von all diesen Bewegungen
profitierten die linken Parteien.

Die größte von ihnen war die kommunistische moskautreue
Tudeh-Partei.

Die Tudeh-Partei wuchs mit Stalins "Volksfront-Taktik" auf. Nach dieser
Theorie sollten sich die Kommunisten in sozialen Bewegungen auf fortschrittliche
bürgerliche Kräfte stützen, statt auf die Macht der Arbeiter.

Dies führte die Anhänger dieser Taktik regelmäßig
zu Fehleinschätzungen. Sie behaupteten trotz der zunehmenden Aktivitäten
der Arbeiterklasse, der Iran sei noch nicht reif für eine sozialistische
Revolution und trennten ihre Politik von den Interessen der sich radikalisierenden
Arbeiter ab.

1946 hatten sie sogar im Interesse der Profite ausländischer Investoren
einen Generalstreik der Ölarbeiter verhindert.

Die zwei iranischen Guerillabewegungen, die Modschahedin und die Fedayin,
spiegelten die revolutionäre Ungeduld der iranischen Jugend gegenüber
den traditionellen Oppositionsparteien wider.

Die Modschahedin hatten einen religiösen Hintergrund, die Fedayin
waren eine Abspaltung der Tudeh-Partei. Beide rekrutierten sich vor allem
aus städtischen Intellektuellen. Mit Terroraktionen von den Bergen
aus versuchten sie, die Masse der Iraner in Aktivitäten gegen den
Schah zu drängen.

Gleichzeitig schnitten sie sich damit von jeglicher Massenaktion in
den Städten ab und errangen nie wirkliche Massenunterstützung.

Beide Strategien zielten an den Massen vorbei und mußten die
fortschrittlichen Arbeiter schließlich im Stich lassen.

Von der Revolution im Iran ist oft nur ein verzerrtes Bild übrig.
Daß das Regime des Schahs durch die Massen hinweggefegt wurde, ließ
sich aus der Geschichte nicht streichen. Aber der Umsturz wird als Terror
unter Führung fanatischer Islamisten dargestellt. Die wahre Geschichte
der iranischen Revolution ist ein Festival der Unterdrückten auf der
Grundlage von Arbeiterräten und Massenbewegungen. Wie konnte daraus
die Diktatur der Mullahs entstehen?

Der Iran galt einmal als Vorzeige-Entwicklungland. Öleinkünfte
ermöglichten ein riesiges Wirtschaftswachstum. Die Verhandlungsposition
der jungen iranischen Arbeiterklasse war so stark, daß jährliche
Lohnzuwächse von 30-50% möglich waren.

Ab 1975 gingen die Öleinnahmen zurück, was zu hoher Verschuldung
führte. Schließlich entstand eine Inflation, die die Iraner
mit dem Gesicht in den Dreck der Wellblechslums drückte.

Die Zahl der städtischen Armen explodierte. Es kam zu Zusammenstößen
zwischen Staatsmacht und demonstrierenden Studenten oder Slumbewohnern.
Trotzdem erklärte der Schah im Juni 1978: "Niemand kann mich stürzen.
Ich habe die Unterstützung von 700.000 Soldaten, eines Großteils
des Volkes und aller Arbeiter."

Das änderte sich grundlegend. Die Forderungen der Arbeiter, die
oft auf die Betriebe beschränkt gewesen waren, konnten immer seltener
erfüllt werden und neue Streikforderungen tauchten auf : "Beendigung
des Notstands" oder "Freilassung aller politischen Gefangenen".

Im September 1978 traten die mächtigen Ölarbeiter in den
Ausstand.

Sie kamen aus den Fabriken und versammelten sich millionenstark in
den Zentren der Industriestädte.

Die Flut stieg täglich. Medienarbeiter verhinderten regimetreue
Radio- und Fernsehsendungen. Eisenbahner weigerten sich, Militär zu
befördern. Die Arbeiter in den Atomkraftwerken streikten und erklärten:
"Die AKW sind dem Iran durch die Großmächte im Interesse des
Atomkrieges aufgezwungen worden."

Die Bosse verließen fluchtartig das Land.

Revolution

Die herrenlosen Fabriken wurden von den Arbeitern übernommen,
die in Schoras (iran.: Räte) die Produktion kontrollierten.

Am 16. Januar 1979 mußte der verhaßte Schah endlich das
Land verlassen. Euphorie breitete sich aus: Die Mengen warfen den Soldaten
Blumen zu und verbrüderten sich mit ihnen. Gemeinsam stürzten
sie die Statuen des Diktators.

Am 1. Februar kehrte Ajatollah Khomeini aus dem Exil zurück. Er
erklärte sich fünf Tage später zum Staatsoberhaupt. Der
Staatsapparat und das Militär kooperierten sofort, heilfroh, sich
gegen die Arbeiter zusammenschließen zu können.

Eine Doppelherrschaft war entstanden: die Macht über die Betriebe
lag bei den Schoras, aber die Macht über den Staat hielt Khomeini
in seinen Händen. Die Einmischung von Arbeitern in leitende Funktionen
wurde von der Regierung sofort für unislamisch erklärt.

Ein Shellarbeiter erzählt: "Die vom Staat ernannten Manager haben
die gleiche Einstellung wie die alten Manager. Die wissen, daß ihr
Schicksal besiegelt ist, wenn die Schoras ihre Macht behalten. Sie können
ihre arbeiterfeindliche Politik nicht direkt umsetzen; also bekämpfen
sie die Schoras erstmal auf der Grundlage des religiösen Glaubens."

Ende Februar erließ Khomeini Gesetze, die gegen die Frauen gerichtet
waren. Das Scheidungsrecht wurde allein den Männern zuteil, gleichzeitig
wurde ihnen die Polygamie erlaubt. Tag für Tag wurden Frauen aus neuen
Berufen verdrängt.

Am Frauentag, dem 8.März, wurde eine Gegendemonstration von Regierungstreuen
angegriffen. Die gesamte Linke ließ die Frauen im Stich und behauptete,
Frauenrechte seien nur "bürgerliche Forderungen". Die islamische Reaktion
erschien um so stärker, weil die Linke sich nicht wehrte.

Machtkampf

Doch so schnell kam der Sieg nicht. Als eine Arbeitslosendemonstration
von Khomeinis Revolutionsgarden zusammengeschossen wurde, besetzten Arbeiter
das Justiz- und das Arbeitsministerium. Einer von ihnen sagte: "Ich schlage
vor, daß wir an diesem Ort bleiben, bis dieses Ministerium der Bosse
zu einem Ministerium der Arbeiter wird. Werft uns nicht Ungläubigkeit
vor. Ihr erfüllt unsere Forderungen und wir werden 37 mal am Tag beten
statt 17 mal."

Auch die Demonstration am 1. Mai zeigte die Stärke der iranischen
Arbeiter. Eineinhalb Millionen Menschen marschierten sechseinhalb Stunden
lang. Ihre Banner trugen Slogans wie "Nieder mit den alten Arbeitsgesetzen
– schreibt ein neues Gesetz unter Mitwirkung der Arbeiter!" oder "Schulen
für Kinder, nicht Kinderarbeit!"

Die Islamisten hetzten Schlägertrupps auf die Arbeiter. Die Linke
reagierte wieder nicht, weil sie argumentierte, daß sie nur eine
Minderheit seien. Also gelang es den Trupps, Parolen wie "Lang lebe der
Islam, Tod den Kommunisten!" zu rufen und Banner niederzureißen.

Die Guerilleros der Modschahedin fürchteten, man könne ihnen
Gegnerschaft zur islamischen Republik vorwerfen und blieben der Kundgebung
fern.

Schritt für Schritt drängte Khomeini mit religiösen
Argumenten seine Gegner zurück.

Doch bis zum Herbst stand der Iran im Zeichen der Revolution: Frauen
widersetzten sich massenhaft den Gesetzen, die Schoras arbeiteten weiter
und überall fanden Demonstrationen statt.

Niederlage

Im November ließ Khomeini die US-Botschaft in Teheran besetzen.
Er behauptete, damit den Kampf gegen den Imperialismus aufzunehmen.

Er appellierte an die nationale Einheit und erklärte damit alle
Aktivitäten, die der Regierungslinie widersprachen, für imperialistisch.
Alle linken Parteien akzeptierten dieses Argument. Sie fielen den Arbeitern
in den Rücken. Um das zu rechtfertigen, sagten sie, der Bewußtseinsstand
der Arbeiter sei zu niedrig – die Schoras hätten bloß wirtschaftlichen
Charakter!

Als 1980 der Irak in den Iran einmarschierte, schlug Khomeini erneut
erfolgreich in die Kerbe der "nationalen Einheit".

Damit war der größte Teil der Opposition gebrochen. Die
Linke hatte sich von ihrer Unabhängigkeit verabschiedet.

Das war aber nicht unvermeidlich. Sie hätte auf Grundlage der
Schoras für die Übernahme der politischen Macht kämpfen
können. Einzig die politischen Fehler der Linken haben den Sieg der
Mullahs zu verantworten. Eine revolutionäre Bewegung braucht eine
politische Partei, die kompromißlos für die Macht der Arbeiter
kämpft.

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