Die Befreiung der Frau

Sowohl die Männer wie
die Frauen haben unter der kapitalistischen Familie gelitten. Aber
während die Frau durch die Verantwortung für die
Kindererziehung an das Haus gebunden war, kam der Mann über
seinen Arbeitsplatz und in Wirtshäusern wenigstens mit anderen
Menschen zusammen. Es gibt jemanden, der für ihn sorgt, niemand
umsorgt dagegen eine Ehefrau. Er leistet harte Arbeit tagsüber –
aber der Feierabend gehört ihm. Das Leben der Ehefrau gehört
ganz der Familie.

Das bedeutet, daß
jegliche Bewegung gegen die kapitalistische Familie von der
Selbstorganisation der Frauen abhängt, weil sie das
unterdrücktere Geschlecht sind und deshalb den Kern einer
Befreiungsbewegung stellen müssen.

So schrieb Eleanor Marx,
die Tochter von Karl Marx, vor über neunzig Jahren: »Die
Frauen können ihre eigene Befreiung sowenig von den Männern
abhängig machen wie die Arbeiterklasse von der Bourgeoisie.«

Das heißt nicht, daß
sich alle Frauen oder auch nur ihre Mehrheit das Ende der
kapitalistischen Familie wünschten. Tatsächlich waren die
Anhänger der kapitalistischen Familie stets in der Lage, einen
großen Teil gerade der unterdrücktesten Frauen für
den Erhalt der Familie zu mobilisieren: sie sehen "die
Abschaffung der Familie" als Freibrief für ihre Männer,
sie mit der Verantwortung für die Kinder im Stich zu lassen.

Deshalb bringt es auch
nichts, einfach die "Abschaffung der Familie" zu predigen.
Stattdessen ist es notwendig zu zeigen, daß in einer besseren,
sozialistischen Gesellschaft Frauen nicht mehr in das öde,
eingeschränkte Leben der heutigen Familie gezwungen werden.

Die ersten Ansätze für
eine Frauenbefreiungsbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren
relativ klein und hauptsächlich auf die bürgerlichen
Schichten beschränkt. In England war es die
Suffragetten-Bewegung, die sich fast ausschließlich für
das Wahlrecht für Frauen einsetzte. Als sie ihr Ziel erreicht
hatte, fiel die Bewegung zusammen, obwohl die Frauen genauso
unterdrückt blieben wie vorher.

In der deutschen
Arbeiterbewegung kam dem langjährigen Führer der deutschen
Sozialdemokratie August Bebel das Verdienst zu, mit seinem Werk "Die
Frau und der Sozialismus" (1883) die Diskussion über die
Familie und die Frauenbefreiung eröffnet zu haben. Aber erst
nach der Jahrhundertwende entwickelte sich gegen starke Widerstände
der männlichen Parteimitgliedschaft eine aktive und radikale
Frauenbewegung um die Sozialdemokratie. Ihre bekannteste Vertreterin,
Clara Zetkin, gehörte mit vielen anderen zum linken Flügel
der SPD. Teile dieser frühen Frauenbewegung der Arbeiterklasse
traten zusammen mit Clara Zetkin in die 1919 gegründete KPD über
und führten dort den Kampf um die Befreiung der Frauen fort.

Die Frauenbewegung hat sich
jedoch nach dem zweiten Weltkrieg für lange Jahre nicht
erneuert. Erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sind in
den entwickelten kapitalistischen Ländern erneut
Massenbewegungen für die Befreiung der Frauen entstanden. In der
Bundesrepublik hat die Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre zur
Wiedergeburt einer Frauenbefreiungsbewegung geführt.

Die Ursache war, daß
der Kapitalismus selbst seit dem Krieg eine grundlegende Veränderung
der ökonomischen Stellung vieler Frauen brachte. Durch seinen
riesigen Bedarf an Arbeitskräften, zog er immer mehr Frauen in
die Produktion.

Das gab Millionen Frauen
eine Unabhängigkeit von ihren Männern, die sie nie zuvor
erlebt hatten. Frauen in der ganzen Welt fingen an, ihre Rechte zu
fordern und durchzusetzen. Sie wollten selbst ihr Leben und ihren
Körper kontrollieren. Deshalb organisierten sie sich und
demonstrierten gegen die Rolle, an die sich ihre Mütter und
Großmütter notgedrungen geklammert hatten.

Als Sozialisten
unterstützen wir die Frauenbewegung, so wie wir jede Bewegung
der Unterdrückten gegen ihre Unterdrückung unterstützen.

Aber ihre Hauptschwäche
ist, daß sie niemals ernsthaft den Versuch unternommen hat, die
große Mehrheit der Frauen zu organisieren – die Arbeiterfrauen.
Stattdessen war die Frauenbewegung der letzten zehn Jahre von
bürgerlichen und kleinbürgerlichen Frauen dominiert –
Journalistinnen, Schriftstellerinnen, Universitätsassistentinnen,
Frauen aus den gehobenen Angestelltenbereichen. Die Tipperinnen,
Locherinnen, Maschinenarbeiterinnen wurden im Abseits gelassen.

Auf diese Weise hat die
Frauenbewegung allzuoft nur die Bedürfnisse einer Minderheit von
Frauen angesprochen, während sie die Unterdrückung und
Ausbeutung der Mehrheit außer acht ließ. Häufig sind
die Sprecherinnen dieser Bewegung für eine Veränderung des
"Lebensstils" eingetreten, was der Mehrheit der
Arbeiterinnen, die in Fabriken arbeiten und unter beengtem Wohnraum
leiden, einfach nicht offensteht.

Darüberhinaus bleiben
die kapitalistischen Herrschaftsstrukturen, unter denen Millionen
Frauen leiden müssen, durch diese Art der "Befreiung"
unangetastet.

Ohne die Stärke, die
nur von den Frauen der Arbeiterklasse, vor allem den Arbeiterinnen in
den Fabriken, Verwaltungen und Büros, aufgebracht werden könnte,
besitzt die Frauenbewegung keinen Hebel, um auch nur geringfügige
Verbesserungen durchzusetzen. Ihre Sprecherinnen geben den Kampf dann
entweder auf, indem sie sich zurückziehen und nur noch "sich
selbst befreien" oder sie verwässern ihre Forderungen und
setzen auf Reformen durch das Parlament.

Trotzdem haben die
grundlegenden Ideen der Frauenbewegung einen großen Einfluß
auf Millionen Arbeiterinnen gehabt, die heutzutage die Vorstellung in
Frage stellen, daß sie sich immer und stets vor dem Mann beugen
müssen.

Aber
wenn sie über einen bestimmten Punkt hinaus kommen wollen,
müssen sich diese Bewegungen auf die Basis sozialistischer
Arbeiterpolitik stellen. Wir müssen deshalb versuchen, innerhalb
der Frauenbewegung eine Strömung aufzubauen, die für die
Befreiung der Frauen kämpft, die aber zugleich zusammen mit den
Männern für die Arbeitermacht und den Sozialismus kämpft.
Weil die Unterdrückung der Frauen ein unlösbarer
Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaft ist, kann die
Frauenbefreiung nur erreicht werden, wenn Frauen und Männer die
Macht des kapitalistischen Staates besiegen.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.