Gemeinsam und anti-neoliberal

Christine Buchholz geht der Frage nach, was für eine Neue Linke wir brauchen.


Auf dem Weg zu einer neuen Linken

März 2004: Gründung der Initiativen „Arbeit & soziale Gerechtigkeit“ und „Wahlalternative 2006“ als Reaktion auf die neoliberale Politik der rot-grünen Bundesregierung. Ziel war es schon damals, ein breites gesellschaftliches Bündnis als politische Alternative zur SPD zu schaffen. Die beiden Initiativen, wie auch später der Verein „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, waren nie Selbstzweck, sondern haben sich als Instrumente zum Aufbau eines breiten Linksbündnisses verstanden.

November 2004: Entscheidung auf der Bundesdelegiertenkonferenz zum Antritt zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen; eine goldrichtige Entscheidung, die zeigte, dass es trotz der beschränkten Mittel – wir waren unerfahren, hatten zu wenig Geld und kaum flächendeckende Strukturen – ein Potential für eine linke Alternative zur SPD gab. Wir bekamen ein achtbares Ergebnis von 2,2 Prozent, die PDS damals trotz besserer Ressourcen nur 0,9 Prozent.

Januar 2005: Parteigründung der Partei Arbeit und soziale Gerechtigkeit – die Wahlalternative (WASG)

Mai 2005: Nach der NRW-Wahl kündigen Schröder und Müntefering Neuwahlen an. Oskar Lafontaine tritt aus der SPD aus und steht als Spitzenkandidat für ein Linksbündnis aus WASG und PDS zur Verfügung.

Juni 2005: In einer Urabstimmung sprechen sich 81 Prozent der WASG-Mitglieder für einen gemeinsamen Antritt mit der in Linkspartei umbenannten PDS und 85 Prozent für den Parteibildungsprozess aus.

September 2005: Gemeinsam erkämpft die Linke den Wahlerfolg von 8,7 Prozent. Von nun an sind Linkspartei und WASG mit einer starken und immer besser vernehmbaren Fraktion im Bundestag vertreten. Für die Öffentlichkeit sind beide Parteien bereits als eine gemeinsame Linke wahrnehmbar. Die Vorstände beider Parteien und die Gliederungen auf fast allen Ebenen der Partei treiben deshalb den Parteibildungsprozess mit der Linkspartei voran.12

März 2006: Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sowie den Kommunalwahlen in Hessen erringt die vereinigte Linke in vielen Wahlkreisen Achtungserfolge und kann dort die 5% deutlich hinter sich lassen. Das ist ein Schritt nach vorne, den die PDS alleine nie geschafft hätte. Allerdings gelingt es im Westen nicht, im Durchschnitt an das Bundestagswahlergebnis anzuknüpfen und die Nichtwähler zu mobilisieren.

Eine zweite Urabstimmung der WASG bestätigt den Kurs des Bundesvorstandes. Die große Mehrheit der Mitglieder spricht sich dafür aus, dass der Neubildungsprozess nicht mehr offen ist und fordert den Vorstand auf, bis zum Herbst einen Vorschlag zu Programm, Struktur und Satzung der Neuen Linken zu machen. 79,67 Prozent stimmen mit Ja und 20,09 Prozent mit Nein.

Nach dem erfolgreichen gemeinsamen Bundestagswahlkampf bereiten WASG und Linkspartei.PDS die Gründung einer neuen gesamtdeutschen linken Partei vor. Doch der Parteibildungsprozess hat zwei harte Belastungsproben zu bestehen. Die eine äußert sich in der Entscheidung der Berliner WASG zum Konkurrenzantritt gegen die Linkspartei.PDS bei der Abgeordnetenhauswahl 2006. Die andere hat sich durch die Zustimmung von neun Stadträten der Linkspartei.PDS zum Verkauf von 47.000 Wohnungen der Dresdener Wohnungsbaugesellschaft WOBA an den US-Investor Fortress ergeben.

Eine starke neue Linke, die attraktiv ist für Millionen, kann nur entstehen, wenn es der Linken gelingt, die Spaltungen der Vergangenheit zu überwinden und sich zugleich deutlich gegen den Neoliberalismus zu wenden.

Neoliberale Offensive

Trotz Rekordgewinnen und wachsendem Reichtum einer kleinen Minderheit geht der neoliberale Umbau der Gesellschaft weiter. Der Neoliberalismus war seit den 70ern eine Reaktion auf die erste Krise des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hat zwar nicht die Krise des Kapitalismus gelöst, aber die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten einer kleinen Minderheit verschoben. Oskar Lafontaine nennt Deregulierung, Privatisierung und Sozialabbau als wesentliche Elemente dieses Neoliberalismus.1

Dennoch ist es weiterhin schwierig für die Herrschenden, ihr Kapital profitabel zu verwerten. In dieser Situation wollen sie immer weitere Bereiche in die kapitalistische Verwertung einbeziehen. Der Geograph und Marxist David Harvey nennt diesen Prozess „Akkumulation durch Enteignung“. Dazu gehört beispielsweise die Privatisierung immer neuer Wirtschaftsbereiche wie des Gesundheitswesens, des Wohnungsmarkts, der Renten etc. Internationale Investmentfirmen drängen auf den Renten- und Immobilienmarkt, um dort ihre Pfründe zu sichern.

Außerdem wollen die neoliberalen Eliten die organisierte Gegenwehr gegen diese Maßnahmen schwächen, vor allem die Gewerkschaftsbewegung. Die Zerschlagung des Flächentarifvertrages und die Fragmentierung der Gewerkschaften ist ihr Ziel.

Das andere Gesicht des Neoliberalismus zeigt sich in einem neuen Imperialismus. Die Kriegsdrohungen gegen den Iran, bei denen auch die Bundesregierung eifrig mitmischt, sind ein Beispiel dafür. Genauso wie bei den Kriegen gegen den Irak und Afghanistan geht es um die geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen der westlichen Industrienationen und nicht um Demokratie und Menschenrechte.2

Diesem Projekt der Herrschenden steht ein gewachsener gesellschaftlicher Widerstand gegenüber, der sich in den letzten Jahren über die sozialen Proteste, die Antikriegsbewegung und die globalisierungskritischen Mobilisierungen entwickelt hat.

Die Kämpfe gegen Arbeitsplatzabbau und Entlassungen, der Streik im Öffentlichen Dienst gegen Arbeitszeitverlängerung und auch Mobilisierungen wie die Kampagne gegen die so genannte Bolkestein-Richtlinie, die größte Mobilisierung dieser Art unter Beteiligung der Gewerkschaften, Attac und linker Parteien, sind Ausdruck eines neuen Aufschwungs an gesellschaftlicher Gegenwehr. Diese Gegenwehr ist nötig, um Angriffe zurückzuweisen und neue Handlungsspielräume zu erkämpfen.

SPD in der Zwickmühle

Der Erfolg der neuen Linken bei den Bundestagswahlen speist sich aus der wachsenden Bereitschaft zur Gegenwehr und aus der Krise der SPD – die unterdessen weitergeht. Das Einknicken bei der Mehrwertsteuererhöhung ist ein großer Schock für all diejenigen gewesen, die immer noch Hoffnungen in die SPD als sozialem Korrektiv in der großen Koalition gesetzt haben. Dass ausgerechnet Franz Müntefering der Vorreiter für die Rente mit 67 ist, verstärkt die Desillusionierung. Die SPD ist die Achillesferse der großen Koalition, was sich auch in Umfragen niederschlägt.3

Die SPD befindet sich in der Zwickmühle. Zum einen muss sie die Koalitionsvereinbarungen mittragen. Zum anderen muss sie immer versuchen, sich als das soziale Gegengewicht zur CDU zu profilieren.

Deutlich wurde das in der Auseinandersetzung um die Arbeitszeitverlängerung im Öffentlichen Dienst. Die SPDler in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) können, obwohl auch sie Kürzungen im Öffentlichen Dienst wollen, den „Thatcher-Kurs“ von Verhandlungsführer Hartmut Möllring (CDU) nicht mittragen, weil ihnen sonst sowohl Wähler weglaufen als auch die Felle in den Gewerkschaften wegschwimmen. Letzteres ist wesentlicher Verdienst von WASG und Linkspartei.PDS, die innerhalb der Gewerkschaften inzwischen eine nicht zu übersehende Alternative darstellen und so die SPD enorm unter Druck setzen. Die Berliner Zeitung schreibt: „Mit großer Sorge wird in der SPD beobachtet, wie sich Linkspartei und Gewerkschaften derzeit näher kommen. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, stattete der Bundestagsfraktion der Linkspartei kürzlich einen Besuch ab. Beim Linkspartei-Tag in Dresden sprach Verdi-Chef Frank Bsirske ein Grußwort. Vor allem aber genießt die neue Partei unter den Gewerkschaftsfunktionären der mittleren Ebene große Sympathien.“4

In den nächsten Monaten wird es von der SPD immer wieder unterschiedliche Signale geben. Sie wird versuchen, sich gleichzeitig vor dem Koalitionspartner und ihrer eigenen Basis zu profilieren. Aber selbst wenn sie kurzfristig als soziales Korrektiv erscheint – aus der beschriebenen Zwickmühle wird sie sich auf Grundlage des Koalitionsvertrags und des Drucks von Seiten des Kapitals nicht nachhaltig lösen können.

Der Druck des Kapitals wird nur mit Gegendruck und Widerstand zu beantworten sein. Für die Neue Linke ist es daher zentral, dass sie den Einfluss der SPD in der Gewerkschaftsbewegung weiter zurückdrängt und zur Partnerin im Kampf um ihre Interessen wird.

Aufgaben der Linken

Von daher steht die Linke erst am Anfang. In den nächsten Jahren werden sich noch viele Anhänger und Mitglieder der SPD von ihrer Partei abwenden. Das ist das Historische an der momentanen Situation. Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs besteht die Chance, eine relevante Kraft links von der Sozialdemokratie zu etablieren. Wir haben die Möglichkeit, die vielen Enttäuschten zu organisieren und eine politische Alternative wirksam zu machen, wenn die neue Linke zu den zentralen Fragen der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Stellung bezieht. Dafür brauchen wir Geduld.

Die Landtagswahlen in Baden Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie die Kommunalwahlen in Hessen am 26.3.2006 haben gezeigt, dass die neue Linke im Westen kein Selbstläufer ist. Alle Parteien haben enorme Schwierigkeiten gehabt, Wähler zu mobilisieren. Die Linke konnte v.a. dann punkten, wenn sie eine aktive Bündnispolitik gemacht und ihre lokalen Anliegen mit der Agenda des bundesweiten Neuformierungsprojektes verbunden hat.5

1. Die Spaltungen überwinden

Die Linke in Deutschland ist durch mehrere Spaltungen geprägt. Früher war die Bewertung des Stalinismus eine Grundlage vieler Trennlinien. Diese Frage kann heute keine getrennte Organisierung von Linken mehr rechtfertigen. Die Linke in Westdeutschland nach 1968 war zudem gespalten in viele kleine radikale Gruppierungen und konnte nie in das sozialdemokratische Milieu ausgreifen. Erst mit der rot-grünen Koalition hat der Entfremdungsprozess zwischen SPD-Führung und ihren Mitgliedern, v.a. in den Gewerkschaften, im großen Stil begonnen – und bietet damit erstmalig die Chance, eine relevante politische Kraft in der Arbeiterbewegung aufzubauen. Die dritte Spaltung verläuft zwischen Ost und West. Diese ist historisch-kulturell gewachsen und sie schwächt die Linke insgesamt. Der Osten wurde zum neoliberalen Experimentierfeld gemacht und hat somit eine Vorreiterfunktion für Deregulierung und Tarifbruch. Um eine weitere Absenkung der sozialen Standards zu verhindern, brauchen wir eine geeinte Linke in Ost und West.

2. Eine anti-neoliberale Plattform formulieren

Die Neue Linke muss auf der politischen Grundlage der Zurückweisung neoliberaler Politik bestehen. Als Kernforderungen der Linken kristallisieren sich folgende Forderungen heraus:

  • Privatisierung stoppen
  • Kein weiterer Sozialabbau

  • Kein weiterer Stellenabbau, keine Arbeitszeitverlängerung im Öffentlichen Dienst
  • Gegen Tarifflucht
  • Gegen Kriegseinsätze
  • Das Eckpunktepapier zur programmatischen Diskussion der neuen Linken umreißt diese Aspekte und nennt zudem einen Teil potentieller Konfliktpunkte.6

    WASG und Linkspartei.PDS haben eine Vielzahl von Übereinstimmungen. Differenzen verlaufen nicht zwischen den Parteien, sondern quer durch die Mitgliedschaften.

    Die Erarbeitung einer politischen Grundlage muss in dem Bewusstsein geschehen, dass wir den schärfsten Angriff auf den Sozialstaat seit der Gründung der Bundesrepublik erleben. Wir brauchen eine bundesweite pluralistische Linke, die sich auf Kernforderungen festlegt und Raum für Differenzen und Auseinandersetzungen lässt.

    Die Neue Linke muss sich als Verteidigerin der sozialen Interessen gegen die SPD profilieren. Das heißt auch, dass sie Kräfte nicht ausschließen darf, die sich nicht als sozialistisch verstehen, damit sie eine wirklich breite Kraft aufzubauen kann.7

    Auf diese Art kann die Linke politische Alternativen formulieren, die helfen, Widerstand zu entwickeln und einen politischen Pol aufbauen, der diesem Widerstand parlamentarischen Ausdruck verleiht. Das ist die Voraussetzung dafür, den lähmenden Einfluss der SPD in der größten aller sozialen Bewegungen, der Gewerkschaftsbewegung, zu brechen. Nur so können wir eine soziale Basis für gesellschaftliche Veränderung schaffen.

    Nun brechen an mehreren Stellen Konflikte auf. Die neue Linke wird von zwei Seiten in Frage gestellt.

    Konfliktlinie I:Sektierertum statt Einheit der Linken

    Die Mehrheit des WASG-Landesverbandes in Berlin arbeitet seit Sommer 2005 darauf hin, dass es eine Konkurrenzkandidatur zur Abgeordnetenhauswahl 2006 gibt.8 Argumentationslinie ist, dass die WASG ihre Glaubwürdigkeit verliert, wenn sie mit der Linkspartei zusammengeht, die die Sparpolitik des rot-roten Senats mitzuverantworten hat.

    Bundesweit hat sich um diese Berliner Position ein Netzwerk zusammengefunden, dass eine skeptische Position gegenüber dem Parteibildungsprozess formuliert und Hürden für eine neue Linke aufbaut, welche die Linkspartei nicht schnell überspringen kann: „Voraussetzung für eine gemeinsame Kandidatur mit der Linkspartei/PDS ist ein grundlegender Kurswechsel, ein Bruch mit der neoliberalen Senatspolitik und als Konsequenz – da die SPD nicht mitgehen wird – die Beendigung der Regierungsbeteiligung in Berlin.“9

    So berechtigt viele Kritik Punkte in der Sache sind, die notwendige Auseinandersetzung über die Bedingungen einer Regierungsbeteiligung in Berlin und anderswo können aber nur im gemeinsamen Streit geklärt werden, nicht durch Ultimaten. Die Konkurrenzkandidatur führt zur Spaltung, noch bevor es eine Einheit gibt. Die mittelfristige Perspektive eines eigenständigen Antritts liegt entweder in einer Berliner Lokalpartei links neben einer neuen Linkspartei oder in der bundesweiten Abspaltung, also einer weiteren linken Partei neben der sich neu formierenden Linkspartei.

    Ersteres ist vor allem deshalb nicht hilfreich, da jede substantielle Veränderung, die wir in Berlin erreichen wollen, davon abhängig ist, dass wir die Kräfteverhältnisse bundesweit ändern. Zweiteres ist fatal, da der Loslösungsprozess von der Sozialdemokratie in der Bevölkerung und in der Gewerkschaftsbewegung gerade erst angefangen hat und kein Mensch versteht, warum die Linke schon wieder anfängt, sich zu spalten. Das würde die Linke und die außerparlamentarischen Bewegungen schwächen, weil sie stärker mit der Abgrenzung voneinander beschäftigt sein würde, als mit dem Kampf gegen den politischen Gegner.

    Dies ist das Dilemma vieler Kritiker der Senatspolitik der Berliner Linkspartei.PDS, auch wenn ihre Anliegen berechtigt sind. Dieses Dilemma lässt sich nur mit der nötigen Geduld in der politischen Auseinandersetzung lösen und nicht dadurch, dass unerfüllbare Bedingungen als Voraussetzung für die Vereinigung an die Linkspartei.PDS gestellt werden.

    „Aber werden wir nicht wie die Grünen“, fragen die einen und begründen damit ihren Versuch, politische Klarheit gegen die Öffnung des Projektes zu setzen. Diese Sorge ist verständlich. Allerdings ist die Situation heute recht unterschiedlich zu der, in der die Grünen entstanden sind.

    Die Grünen entstanden aus einer Bewegung im Niedergang und haben sich gegen die Orientierung an Arbeiterkämpfen der 70er-Jahre-Linken abgegrenzt. Die heutige Linke entsteht aus einem neuen Aufschwung von Bewegungen und definiert sich in Abgrenzung zum Rechtsschwenk der SPD. Die Bewegungsrichtung ist also eine komplett andere.

    Das heißt nicht, dass sich die neue Linke an einer bestimmten Stelle nicht nach rechts entwickeln kann. Jetzt aber mit einer Abschottung zu reagieren und nicht mit einer Öffnung und einer offensiven Auseinandersetzung um Positionen, verengt die neue Linke und nimmt ihr ihre Dynamik und politische Ausstrahlungskraft.

    Auch die Annahme, die Linkspartei.PDS durch Druck von „außen“ nach links schieben zu können, ist falsch. Die Konkurrenzkandidatur nimmt den Druck von der Linkspartei.PDS, sich zu verändern. Denn sie gibt denen in der Linkspartei, die kein großes Interesse an einer Selbstveränderung haben, einen Vorwand, ihre Politik nicht in Frage zu stellen.

    Die Auseinandersetzung um den Verkauf der Dresdener WOBA zeigt hingegen, dass der Parteibildungsprozess vorhandene Konflikte nach oben bringt und der so genannte Flügel der „Realpolitiker“ in der Linkspartei unter Rechtfertigungsdruck kommt. Die Vorreiter des WOBA-Verkaufs müssen sich an der Mehrheitsposition der Dresdner Linkspartei.PDS, die auf einer Seite mit Lafontaine und der WASG gegen die Privatisierung stehen, abarbeiten.10

    Es wäre ein unverzeihlicher Fehler, wenn sich Linke aus Enttäuschung über die LP.PDS aus dem Vereinigungsprozess verabschiedeten. Zwar stellt kaum jemand den Neuformierungsprozess an sich in Frage, aber es kommt eben nicht nur auf Lippenbekenntnisse an, sondern darauf, konkrete Schritte einzuschlagen, die es dem Bündnispartner ermöglicht, mitzukommen und die Latte nicht so hochzulegen, dass er sie nicht überspringen kann.

    Konfliktlinie II: WOBA-Verkauf und die „Realpolitiker“

    Die Dresdener Linkspartei-Stadträte Christine Ostrowski und Ronald Weckesser haben offensiv die Privatisierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WOBA verteidigt. Sie leugnen die Folgen von Privatisierungen, begründen den positiven Effekt des Verkaufes mit den gestiegenen Handlungsmöglichkeiten durch die gefüllten Kassen und erheben das Ziel der Haushaltskonsolidierung zum „sozialpolitischen Imperativ“. Sie schreiben in einem offenen Brief an ihre Mitglieder: „Gerade angesichts unbestreitbarer Fakten wie demografische Entwicklung und Globalisierung ist unsere soziale Idee nur dann langfristig für viele, gerade jüngere Menschen attraktiv und in der politischen Konkurrenz wettbewerbsfähig, wenn wir sie aus den Fesseln altsozialdemokratischen und altkommunistischen Denkens befreien. Wir sind nur erfolgreich, wenn wir innovativ sind und zu situationsadäquaten Lösungen kommen. Den WOBA-Verkauf halten wir unter den konkreten Bedingungen für eine solche Lösung.“

    Ostrowski und Weckesser machen drei entscheidende Fehler. Zum einen nehmen sie an, dass Privatisierung populär sei und sitzen so der neoliberalen Propaganda auf. Laut einer Forsa-Umfrage lehnen aber 68 Prozent „Privatisierungen wie in Dresden“ ab. Nur 23 Prozent sind dafür. Der Grund dafür ist eindeutig: 75 Prozent der Befragten erwarten Nachteile als Folge der Privatisierung. Nur 9 Prozent glauben an positive Folgen und 11 Prozent meinen, dass die positiven und negativen Auswirkungen sich die Waage halten.

    Zum zweiten übernehmen sie den Irrglauben der Neoliberalen, dass auf diese Weise die Finanzkrise gelöst werden kann. Aber auch ein kurzfristiger Geldsegen löst nicht die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen. Genauso wenig wie Sozialabbau und Steuererhöhungen für die Bevölkerungsmehrheit Jobs schaffen. Dies ist ein Kernargument der gesamten globalisierungskritischen Bewegung und der neuen Linken. Unser Ziel ist es ja gerade, diese Rahmenbedingungen zu ändern.

    Zum dritten sehen sie nicht, dass sie mit der Entscheidung der Privatisierungswelle in Deutschland Vorschub leisten und die Linke in ein Glaubwürdigkeitsproblem hineinmanövrieren. So traten beispielsweise Die Linke.WASG im hessischen Kommunalwahlkampf im Frühjahr 2006 gegen Privatisierung öffentlichen Eigentums an. Die lokale SPD griff genüsslich den WOBA-Verkauf in Dresden auf und versuchte die Linke dafür anzugreifen, dass sie woanders ebenfalls privatisiere. Wenn die Linke ihren Blick nur auf die gegebenen Bedingungen in den Ländern und Kommunen richtet, wird ein bundesweiter Aufbruch nicht möglich sein.

    Der Fall Dresden hat deutlich gemacht: Es gibt viele zentrale inhaltliche und strategische Fragen, um die die Linke streiten muss. Nur wenn es eine starke Linke auf anti-neoliberaler, bzw. antikapitalistischer Grundlage gibt, kann der Widerstand gestärkt und keinen Lernprozess in der Bevölkerung angestoßen werden.

    Praktische Schritte

    Die bürgerliche Presse versucht jeden Konflikt zum Ende des Linksprojektes zu deklarieren. Vor allem die SPD-nahen Blätter berichten mit Genuss über die Schwierigkeiten zwischen WASG und Linkspartei.

    Wir können nur gewinnen und vor allem – wir können nicht zurück. Wie Manfred Coppik, ehemaliger MdB für die SPD, in den frühen 80er Jahren Gründer der Demokratischen Sozialisten und heute Mitglied der Linkspartei, richtigerweise erklärt, „kann heute nicht so getan werden, als ob es das Linksbündnis zur Bundestagswahl nicht gegeben hätte. Eine Rückkehr zu dem Stand vor der Bundestagswahl gibt es nicht mehr. Schon ein solcher Versuch würde zur Zerschlagung des erfolgreichen Bündnisses führen und damit wieder für eine lange Zeit die Chance für den Aufbau einer linken Alternative in Deutschland zerstören. In Anbetracht der gerade heute bestehenden Notwendigkeit, überall der Ausplünderung des Volkes, der Militarisierung Europas und der Unterordnung des Menschseins unter den Profitvorbehalt entgegenzutreten, wäre das nicht zu verantworten – auch wenn man berechtigte Kritik an der Politik der PDS in Berlin oder anderswo geltend macht. Dann muss eben die Änderung dieser Politik das Ziel sein, nicht die Aufgabe des entstandenen Bündnisses.“

    Daraus ergeben sich drei Aufgaben:

    1. Wir müssen den Parteibildungsprozess zielstrebig voranbringen, denn es geht nicht mehr um das „Ob“, sondern um das „Wie“ einer neuen Linkspartei. Dabei wird es wichtig sein, dass sichergestellt wird, dass durch Quoten und andere Übergangsregelungen die WASG trotz ihrer geringeren Mitgliederzahl weiterhin an Gremien und Funktionen angemessen beteiligt wird.11

    2. Auf der Basis des Eckpunktepapiers und der Beiträge von Oskar Lafontaine sollten wir eine kontroverse Diskussion über die politischen Grundlagen der neuen Linken führen. Dazu hat Oskar Lafontaine im Neuen Deutschland darauf hingewiesen, dass, wer immer weiter neoliberalen Politikinhalten nachgeben wolle, dies gerne tun könne, sich aber überlegen müsse, ob er nicht besser in einer anderen Partei aufgehoben sei als in der neuen Linken.

    3. Dabei müssen wir praktische Schritte der Zusammenarbeit entwickeln, auswerten und weiterentwickeln. Dies bezieht sich auf Kampagnen gegen die Angriffe der großen Koalition und Projekte wie die gemeinsame Kampagne für einen Mindestlohn, mit denen die Linke konkrete Erfolge organisieren kann. Ein weiteres Beispiel ist die Vorbereitung der G8-Gipfelproteste in Heiligendamm 2007.

    So können wir eine starke Linke schaffen, die nach den vielen Experimenten und Spaltungen der Vergangenheit den Menschen Mut macht, sich für ihre Interessen einzusetzen.

    Fußnoten:

    1 Oskar Lafontaine hat seine Kernpositionen bei vielen Gelegenheiten formuliert, u.a. auf der XI. internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 14. Januar in Berlin, dokumentiert in der Jungen Welt vom 19./20.1.2006, sowie in der Rede am 20.2.2006 im IG-Metall-Gewerkschaftshaus in Berlin, dokumentiert in der ersten Ausgabe der WASG-Zeitung „neue linke“.

    2 Vgl. Oxford Research Group, www.oxfordresearchgroup.org.uk

    3 Forsa fragt: „Haben sie großes Vertrauen in die Bundesregierung?“. 61 Prozent der CDU-Anhänger, aber nur 36 Prozent der SPD-Anhänger sagten „Ja“. In: Forsa für www.n-tv.de, 20.3.2006

    4 Berliner Zeitung, SPD umwirbt Gewerkschaften, 2.3.2006

    5 Zur Wahlanalyse von Linksruck siehe: http://www.sozialismus-von-unten.de/lr/artikel_1816.htmls. Die Wahlanalyse des geschäftsführenden Landesvorstandes der WASG Hessen zeigt auf, wie erfolgreich gearbeitet werden kann. Siehe: http://www.wahlalternative-hessen.de/index.php?sparte=artikel&rubrik=100

    6 http://media.w-asg.de/1223.html

    7 Dies ist die entscheidende Schwäche des Aufrufes „Antikapitalistische Linke“ www.antikapitalistische-linke.de, der zwar viele richtige Punkte nennt, aber keine strategische Orientierung darauf ist, wie man die Widersprüche im sozialdemokratischen Lager vertieft.

    8 Der Berliner Alleingang war bereits angelegt in einem Leitantrag zum Landesparteitag im Juni 2005, der von Aktiven der so genannten „Wasserfraktion“ formuliert wurde. Sie schmiedeten ein Bündnis mit der Gruppe um den Ex-PDSler und isl-Mitglied Michael Prütz und der SAV, sowie einer Reihe Aktiver aus den Bezirken, von denen sich viele über die Hartz IV-Bewegung politisiert haben.

    9 Berliner Appell, http://www.linkspartei-debatte.de/index.php?name=News&sid=52

    10 Offener Brief von Christine Ostrowski und Ronald Weckesser „Die neue Linkspartei aus den Fesseln alten Denkens befreien“, http://www.w-asg.de/28+M52147afb3fb.html

    11 In dem zweiten Kooperationsabkommen zwischen Linkspartei und WASG wurde vereinbart, dass alle Gremien im Parteibildungsprozess paritätisch besetzt werden, um eine Dominanz des Apparates der Linkspartei zu vermeiden. http://media.w-asg.de/1221.html?&FE_SESSION_KEY=f9be193258-497b440aec5

    12 Es gibt eine paritätische Steuerungsgruppe, die den Prozess koordiniert, eine paritätische Programmgruppe, die in Rückkopplung mit der Bundes-Programm-AG arbeitet und in Kürze ein erstes Papier zur Diskussion um die politischen Grundlagen veröffentlicht. Es werden Gutachten zu den rechtlichen Möglichkeiten einer politischen Neugründung eingeholt und so Grundlagen erarbeitet, auf der sich die Mitgliedschaften beider Parteien für oder gegen die Neugründung entscheiden können. Der Parteibildungsprozess ist unter anderem Dokumentiert in der ersten Ausgabe der Mitgliederzeitung „neue linke“ der WASG.
    Daneben gibt es eine Menge gemeinsamer praktischer Arbeit – beispielsweise die Mobilisierung gegen die Bolkestein-Richtlinie, die Unterstützung der Streikaktionen im Öffentlichen Dienst, aber auch die gemeinsamen Wahlantritte in Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachen-Anhalt.

    Christine Buchholz lebt in Berlin und ist Mitglied des Bundesvorstandes der WASG. Sie beteiligt sich an den Vorbereitungen der Proteste gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Außerdem ist sie Mitglied bei Linksruck.

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